Neben Offenbachs „Ritter Blaubart“ ist wohl kein fremdsprachiges Werk des Musiktheaters in deutscher Übersetzung so eng mit der Komischen Oper Berlin verknüpft wie Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“, das Walter Felsenstein hier 1956 inszeniert hat und das – noch in Schwarzweiß – auch verfilmt wurde (Arthaus DVD 101 297). Andreas Homoki wagte als Auftakt seiner Abschiedsspielzeit einen bejubelten Gegenentwurf, fern vom Realismus Felsensteins, aber auch fern jener poetischen Kinder-Fabelwelt von Katharina Thalbachs Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin.
Mit seiner 1924 vollendeten Partitur auf ein eigenes Libretto verherrlichte der damals bereits siebzigjährige Komponist seine Liebe zu einer 38 Jahre jüngeren Frau. In der Berliner Neuinszenierung blickt der Förster als alter Mann nicht erst im Schlussmonolog zurück auf sein Leben. In der pausenlosen Aufführung erlebt der Zuschauer mit ihm die Geschichte als ein psychologisch spannend gebautes Déjà-vu aus den Jugendjahren des Försters.
Die Füchsin, die er sich ins Haus holt, ist eine lebenslustige, junge Frau, welche die anderen, hennegleich gackernden Schulmädchen zur Revolte anstachelt und dazu bringt, im Bewusstsein ihrer Weiblichkeit ihrem Beispiel zu folgen: alle Frauen ziehen ihre Schlüpfer aus und winken damit. Der junge Fuchs, der um sie wirbt, ist niemand Anderes als der jungendliche Wiedergänger des Försters selbst.
Gleichwohl muss der Zuschauer nicht auf das Tierambiente verzichten, denn in rasanter Folge wechseln die Handlungsträger, rund um den Förster, in der Erzählweise sich verdichtender Sequenzen von Traum- und Wachzuständen ihre eigene Physiognomie mit der von Tieren, deren Köpfe sie sich blitzschnell überstülpen.
Die klassische Koppelung der Rollen von Dachs und Pfarrer (Frank van Hove) wurde für die Neuinszenierung beibehalten, aber die Kombination von Schulmeister und Mücke, sowie Hahn und Eichelhäher vermieden. Der Schulmeister (Andreas Conrad) ist auch der Hahn seiner gackernden Schülerinnen und Hennen, singt also die Sopranpartie des Hahns auch die oktaviert in der Tenorlage. Auch das junge Füchslein am Ende ist kein Kindersopran, sondern die trefflich intonierende und agierende Sängerdarstellerin der Füchsin Spitzohr selbst, die Sopranistin Brigitte Geller. Die dem Förster und seinem Gegenspieler, dem Wilddieb Harašta (fern der Klamotte: Carsten Sabrowski) gemeinsame Nostalgie der begehrten jungen Terynka ist hier identisch mit der Füchsin einerseits und der Braut und späteren Frau des Försters (Caren van Oijen) andererseits, doch die letztere wird idem Förster durch ihre Streitereien sichtbar zur Eule. Jens Larsen bietet als Förster ein spannendes Rollenpsychogramm. Alle Sympathien für Stimmgebung und Darstellung versammelt jedoch sein junges Alter Ego, der das schlaue Füchslein freiende Fuchs, auf sich: die Mezzosopranistin Carolina Gumos.
Da die Aufführung auf Kinderstimmen gänzlich verzichtet, ist auch der Rahmen schaffende Frosch (und sein späterer Enkel) mit einem Tenor (Yuhei Sato) besetzt. In der neuen deutschen Textfassung von Werner Hintze gibt es freundliche Lacher, etwa beim Abschiedsgruß des Fuchses, „Küss die Pfote!“ (anstelle des altösterreichischen „Küss die Hand!“).
Homokis intensive Inszenierung betont wird das Spielerische, bis hin zum Spiel im Spiel. So wird bei der Prophezeiung des Fuchses gegenüber seiner Füchsin, „über dich schreibt bald jemand eine Oper“, der Zuschauerraum halbhell erleuchtet. Der Chor der Komischen Oper, einstudiert von André Kellinghaus, macht den Verzicht auf das Ballett vergessen, singt und spielt, dass es eine Freude ist. Und das Orchester der Komischen Oper Berlin lässt unter Alexander Vedernikov die Fülle an Klangpracht dieser Partitur aufblühen: entfesselter Eros in der ungebundenen Natur, im Gegensatz zu der in ihren Zwängen und Konventionen befangenen Menschenwelt. Selten ist die Nähe Janáčeks zu seinem Zeitgenossen Richard Strauss so deutlich geworden, wie in der musikalischen Interpretation durch den Moskauer Dirigenten, etwa bei der Dreierbeziehung von Füchsin, Fuchs und Jäger zu den Worten, „Kann es wahr sein, dass ich so schön bin“, mit melodischen Assoziationen zum „Rosenkavalier“, oder auch bei den stilisierten Signalen der Jagdhörner vor dem Schlussmonolog.
Am Ende des kurzweiligen Premierenabends dankt das Publikum mit lang anhaltendem, uneingeschränkten Beifall für alle Beteiligten, inklusive dem Regieteam um den Ende dieser Spielzeit als Intendant ans Opernhaus Zürich wechselnden Andreas Homoki.