Wahrscheinlich ist Bobby „Blue“ Bland, geboren am 27. Januar 1930, der beste Blues-Sänger, den es je gegeben hat - auch weil er stets mehr als „nur“ ein Blues-Sänger war. Seltsam also, dass der 80. Geburtstag eines Mannes, so wichtig wie Ray Charles, James Brown und Sam Cooke, so wenig Beachtung gefunden hat.
In Memphis wurde Bland immerhin von Weggefährten und Freunden – unter anderem B. B. King und Bobby Womack – mit einem Konzert gefeiert. Aber in den Medien würdigten nur die „Süddeutsche Zeitung“ und der Wiener „Standard“ den Sänger - mit Texten von Jonathan Fischer und Karl Fluch. Ansonsten: Fehlanzeige, auch und gerade in der amerikanischen Presse.
Schade. Nicht so sehr, weil es darum geht, jeden runden Geburtstag zu feiern. Sondern, weil die großartigen Aufnahmen von Bobby „Blue“ Bland aus den späten 50er und 60er Jahren ein Lehrstück für viele Soul-, Blues- und R&B-Sänger sein könnte. Für all jene nämlich, die den möglichst üppigen Gebrauch schöner Stimmen bereits für Singen halten.
Natürlich war Bland mit einer besonderen, Gospel-geschulten Stimme gesegnet. Einem Organ von majestätischem Umfang, das Kritiker zu zahllosen Bildern inspiriert hat: Von einer Stimme, die wie „schwarze Seide“ aus dem Mund fließe, war die Rede, von einem „zärtlichen Vulkan“, von einem Sänger, bei dem sogar der Schrei etwas Intimes, Leises habe. Aber es ist nicht so sehr diese großartige Bariton-Stimme, die ihn zu einem Blues-, Soul-, ja sogar Pop- und Country-Sänger der Extraklasse machte. Sondern die Art und Weise, wie Bland dieses mächtige Instrument inszenierte: Sein Stil.
In seinen besten Aufnahmen entwirft Bland packende Minidramen – ähnlich wie die großen Country-Sänger, deren Storytelling Bland stets bewundert hat. Bland setzt Spannungsbögen und scharfe Kontraste wie ein Filmregisseur: Häufig beginnt er elegant zurückgenommen, um erst nach einer ausgefeilten Dramaturgie den explosiven Ausbruch folgen zu lassen. So entsteht eine oft kopierte, aber niemals erreichte Dynamik des Singens, die einen Drei-Minuten-Song von Bobby Bland so viel epischer und spannender erscheinen lässt als andere Pop- oder R&B-Aufnahmen.
Nähert sich Bland einem Song mit Understatement und Selbstkontrolle, dann hat dies etwas vom Crooning eines Nat King Cole oder Perry Como. Man hat ihn deswegen auch schon den „Sinatra des Blues“ getauft. Bland kann den Blues elegant wie ein Jazzsänger phrasieren – und dabei so unterkühlt sexy klingen, als ob er eine Cool-Ästhetik des Blues entwickeln wollte. Der andere, im Hintergrund stets lauernde Pol von Blands Ausdrucksskala hat mit seiner Fähigkeit zum ekstatischen Ausrasten zu tun: Er lässt seine Stimme, die eben noch „cool“ klang, so überwältigend explodieren als ob plötzlich der Heilige Geist in ihn gefahren wäre.
Diese Ekstase des Gospel war Bland von Kindheit an vertraut. Zu seinem Markenzeichen wurde sie jedoch erst, nachdem er sich nach einer Mandeloperation – irgendwann zwischen „Farther Up the Road“ (1957) und „Little Boy Blue“ (1958) – als Sänger neu erfinden musste: Die hohen Falsett-Töne seiner frühen Aufnahmen traf er nicht mehr, seine Stimme war tiefer geworden. Als neues Stilmittel legte er sich etwas zu, was er bei C. L. Franklin, dem Vater von Aretha Franklin, kennen gelernt hatte: Den „Squall“. Niemand hat diesen Gospel-Schrei des Bobby Bland, Ausdruck von größter Gefühlsintensität und Spannung, treffender beschrieben als Sean Elder (http://www.salon.com/people/bc/2000/03/14/bland/print.html): „Ein nervöses Zucken der Stimme, halb Schrei, halb Räuspern, das wie das Vorspiel zu einem Herzstillstand klingt.“
Die besten Aufnahmen des Sängers mit dem „Squall“ entstanden für Duke Records. Dort regierte Don Robey, einer der gerissensten, fragwürdigsten und erfolgreichsten Produzenten der Blues- und Soul-Geschichte, der sich unter dem Namen Deadric Malone ein Leben lang die Urheberrechte zu mehr als 2.500 Songs unter den Nagel riss. Für Bland machte das jedoch keinen Unterschied – der Sänger schrieb keine Songs.
Bland hielt Robey die Treue. Auch weil dieser mit seinen Produzentenentscheidungen stets richtig lag. Er war es, der Bland mit den Musikern zusammenbrachte, die ihn so grandios in Szene setzen. Allen voran der Arrangeur, Trompeter, Produzent und Songwriter Joe Scott, der Blands Stimme in einen Big Band-Sound zwischen Count Basie und Soul-Revue packte – einen Klang, den die „Blues Brothers“ später zum Klischee erheben sollten.
Wichtig für den Sound des Bobby „Blue“ Bland waren auch die Gitarristen. Sie umspielten Blands Stimme, als ob es darum ginge, einen psychotherapeutischen Dialog zwischen Gesang und Gitarre zu führen. Der wichtigste dieser Gitarrenhelden war Wayne Bennett (1931-1992), der das Call-and-Response-Spiel ebenso beherrschte wie Jazz oder den Texas Blues eines T-Bone Walker. In den besten Momenten klinge seine Gitarre wie das schlechte Gewissen des Bobby „Blue“ Bland, hat Sean Elders über Wayne Bennett treffend bemerkt.
Unter Musikern und Sängern genießt Bland bis heute eine legendären Ruf: So unterschiedliche Bands und Künstler wie Grateful Dead, David Bowie, Whitesnake und Eric Clapton haben Bobby Bland-Songs gecovert. Van Morrison, einer von Blands größten Fans, verdankt seinen ersten Plattenvertrag mit „Them“ einer Coverversion von „Turn On Your Lovelight“. Mick Hucknall von „Simply Red“ hat vor zwei Jahren gleich ein ganzes Album mit Bobby „Blue“ Bland-Nummern aufgenommen – „Tribute to Bobby“. Auch im Hip Hop ist Bland angekommen: 2001 hat Jay-Z „Ain’t No Love (In The Heart Of The City“) gesampelt.
Nie jedoch hat dieser Legenden- und Vorbild-Status Bland einen längerfristigen Erfolg auch im Mainstream des Rock und Pop beschert. Anders als B. B. King schaffte er nie den Sprung von den Clubs und Festivals des „Chitlin’ Circuit“ in die Arenen des Rock und Pop. Bobby Bland tritt heute zwar immer noch auf – aber schon Ende der 60er Jahre waren seine besten (Studio-) Jahre eigentlich vorüber. Nicht nur, dass sich damals wichtige Musiker wie Joe Scott oder Wayne Bennett von ihm trennten: Bland kämpfte mit seiner Alkoholsucht. Außerdem wurde das Label verkauft, das er und das ihn berühmt gemacht hatte: Duke Records.
In den 70-er Jahren versuchten neue Plattenfirmen den Sänger an den Mainstream heranzuführen, was nur ansatzweise gelang. Bland nahm ein Album mit Country-Songs auf, das auch deswegen verrissen wurde, weil sich in den meisten Kritikerköpfen die fixe Idee vom immerwährenden Gegensatz zwischen R&B und Country festgesetzt hatte. Bland unternahm dieses und jenes – sogar halbherzige Disco-Aufnahmen –, um zu guter Letzt bei Malaco Records zu landen, einem Label, das vielen Veteranen des Blues und Southern Soul zu einer Art Altersheim wurde. Noch heute ist Bland dort unter Vertrag.
Vielleicht liegt der fehlende Erfolg aber auch daran, dass Bland kein Gitarrist war. Irgendwann in den 60-er oder 70-er Jahren hatte nämlich der Rock seine eigene Gitarren-Fixiertheit auf seinen stilistischen Vorläufer, den Blues, übertragen. Seitdem wollen Bland und andere Nicht-Gitarristen nicht mehr so gut in das etablierte Blues-Schema passen, während etwa ein Robert Johnson – samt Teufelspakt und der rohen Archaik des Delta-Blues – zum Mythos all jener Hardcore-Puristen wurde, die Blues und nichts anderes als den Blues hören wollen.
Für sie mag Bobby „Blue“ Bland zu raffiniert, zu großstädtisch, zu jazzig, zu soulful, zu sehr nach Gospel und Country klingen. Dabei sind es genau diese „fremden“ Elemente, die Bland zu einem einzigartigen Sänger machen: Einen Blues-Sänger, der sich nicht nur auf dem Cover seines berühmtesten Albums, sondern auch musikalisch „Two Steps from the Blues“ befindet.
Als erstes haben dies vielleicht sogar diejenigen bemerkt, die sonst nicht gerade im Ruf stehen, den Blues zu lieben: die Frauen. Weil Blues bei Bobby „Blue“ Bland nicht nur nach testosteron-gesteuerter Herrenmucke, sondern zart und verletzlich klingt, hatte der Sänger schon in den 60-er Jahren so viele weibliche Fans wie kein anderer Blues-Star vor und nach ihm. Bland war derjenige, so Sean Elders, der den Blues ins Schlafzimmer geholt hat.
Auf solche Lobeshymnen reagiert der Sänger bescheiden. Der Mann, der sich Ende der 40-er, Anfang der 50-er Jahre noch als Chauffeur, Diener und Vorband bei erfolgreicheren Blues-Kollegen verdingen musste, reicht Lob gerne weiter. Am liebsten an seinen Erzieher in Sachen Stil, den Arrangeur und Bandleader Joe Scott, der für Bland das war, was Nelson Riddle für Sinatra bedeutete: „Er hat mir alles beigebracht, was ich heute weiß. Er hat meinen Stil entwickelt und mir gezeigt, wie man sich einer Note, einem Ton annähert. Ich hatte die Stimme, aber ich wusste nicht, was ich mit ihr anfangen sollte. Ohne Joe wäre ich wahrscheinlich an meinen Geburtsort zurückgekehrt und hätte mit dem professionellen Singen aufgehört.“
Gut, dass es dazu nicht gekommen ist. Die Welt wäre um einen Sänger ärmer, den B. B. King seinen Lieblings-Sänger genannt hat. Wenn jemand den Blues in seiner größten Kunstfertigkeit und Ausdruckdrucksstärke verkörpert und ihn zugleich transzendiert, dann Bobby Bland. B. B. King hat es so ausgedrückt: „Bland kann alles singen. Aber dem Blues verleiht er mit seiner hinreißenden Samt-Stimme etwas, was diese Musik zuvor nie hatte. He lifts the blues“.
CD-Tipps:
- Bobby “Blue” Bland – The Anthology: 2 CDs (MCA/Universal)
- Two Steps from the Blues” (Chess/Universal)
- The Duke Recordings - Greatest Hits, Vol. 1 u. Vol. 2
- Bobby Bland – The Voice: Duke Recordings 1959-1969 (Ace/Soulfood)
- Bobby “Blue” Bland: The Definitive Collection (Geffen/Universal)