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Dmitri Schostakowitsch in der Sächsischen Schweiz
Dmitri Schostakowitsch in der Sächsischen Schweiz
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Deutsch-russischer Kulturaustausch - Schostakowitsch in der Sächsischen Schweiz

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Ein einziges Musikstück hat der Komponist Dmitri Schostakowitsch nicht in seiner russischen – respektive sowjetischen – Heimat geschrieben: Das Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110. Dieses Zentralwerk der neueren Kammermusik entstand vor genau fünfzig Jahren in einem kleinen Nest in der Sächsischen Schweiz. Grund genug, sich des Aufenthalts von Schostakowitsch dort wieder zu besinnen und mit einem kleinen Festival auch zu würdigen.

Gohrisch? Gohrisch kennt niemand, der nicht selbst dortgewesen ist. Dabei ist Gohrisch seit 1870 ein Kurort, Reiseziel für Wanderer, Kletterer und Erholungssuchende. Die Festung Königstein, ganz in der Nähe, die ist bekannt. Sie wird alljährlich von Zigtausenden Gästen besucht. Aber Gohrisch?

Dass der abgeschiedene Ort, benannt nach dem gleichnamigen Berg von 440 Meter Höhe, eher als Geheimtipp gehandelt wurde, mag kein Zufall sein. Zu DDR-Zeiten residierten hier namhafte Besucher, die möglichst ungestört ausspannen oder schöpferisch tätig sein sollten. Im damaligen Gästehaus des Ministerrats, nach der politischen Wende durch die Treuhand-Anstalt privatisiert und heute als Hotel unter Denkmalschutz (und Zwangsverwaltung) stehend, residierten Politiker wie der koreanische Diktator Kim Il Sung ebenso wie literarische Geistesgrößen von Konstantin Fedin bis Michail Scholochow – und eben auch Dmitri Schostakowitsch. Im Sommer 1960 sollte er nahe am Drehort von „Fünf Tage – fünf Nächte“, jenem propagandistischen Film über die Bergung von Dresdens Kunstschätzen gleich nach der Befreiung, die Filmmusik dazu schreiben. Die aber entstand dann erst später. In Sachsen notierte er, häufig am Klavier im Park-Pavillon des Gästehauses von Gohrisch sitzend, das 8. Streichquartett mit der persönlichen Notation D-Es-C-H, wie er es im dritten Satz seiner 10. Sinfonie bereits (als Befreiungsschlag?) verwendete. Die tief verinnerlichten Ängste, wie sie ihm durch die Repressionen der Stalin-Zeit eingeimpft worden sind, die hatte er wohl zeitlebens nicht mehr ablegen können. Auch 1972, als Dmitri Schostakowitsch ein zweites Mal nach Gohrisch kam, diesmal gemeinsam mit Gattin Irina, soll er – obendrein nach einem Beinbruch – sehr zurückhaltend gewirkt haben.

Der historische Ort soll nun, ein halbes Jahrhundert danach, wiederbelebt werden. Ein neugegründeter Verein, angeregt von Einheimischen aus Gohrisch sowie vom Konzertdramaturgen der Sächsischen Staatskapelle, Tobias Niederschlag, plant für den kommenden Herbst ein Schostakowitsch-Festival in der Sächsischen Schweiz. Das einstige Gästehaus dürfte zwar durchaus eine Pilgerstätte werden, ist für Konzertaufführungen aber nur bedingt geeignet. Also soll eine Scheune der Agrargenossenschaft umgewidmet und von Musikern der Staatskapelle bespielt werden. Zudem sind während der „Internationalen Schostakowitsch-Tage“, die vom 10. bis zum 12. September unter der Schirmherrschaft von Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich stehen sollen, Foren und Gespräche geplant, um an den berühmten Gast in dieser Idylle gebührend erinnern zu können.

Namhafte Künstler haben die Veranstalter geladen, Zeitzeugen wie der 1912 geborene Schostakowitsch-Weggefährte Kurt Sanderling beispielsweise, der zahlreiche Werke des russischen Meisters aufgeführt hat. Aber auch Irina, die zweite Ehefrau des Komponisten, wird in Gohrisch erwartet und steuert dann sicherlich ureigenste Erinnerungen an den damaligen Aufenthalt bei.
 

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