Akkordeonorchester hört man eher selten. Zumindest scheinen sie aus einer Form des Vereinslebens zu stammen, zu der viele keinen Zugang haben. Der Deutsche Harmonika-Verband hat vor zwei Jahren das Bundesakkordeonorchester gegründet und öffnet sich insbesondere neuen Gefilden, bzw. besser: den Gefilden neuer Musik.
Akkordeonorchester sind – ästhetisch gesehen – große, mechanische Atemmaschinen. Darin sind sie künstlerisch sehr anregend. Die Realität eines Orchesters ist jedoch häufig eine andere: Institutionalisierung, Hierarchisierung und Konformismus. Elemente, die sicher auch auf das recht neu gegründete Bundesakkordeonorchester, als einem Projekt des Deutschen Musikrats, zutreffen.
Aber nur über diese Domestizierung – und diese Tatsache ist bedenkenswert - werden die Ausführenden zu einem funktionierenden ästhetischen Objekt, dessen sich KomponistInnen dann – aus unterschiedlichster Richtung – annehmen können. Aber wieweit vermittelt ein Komponist zwischen den Sphären des Ästhetischen und Sozialen; was vergisst oder betont er? Nach dem Konzertabend mit dem Nürnberger- und Bundesakkordeonorchester (NAO/BuAkkO), beide unter der Leitung des Dirigenten und Komponisten Stefan Hippe stehend, merkt man, dass es unabhängig dieser Fragen auch viel einfacher gehen kann; komponieren kann einfach ein Sich-Verhalten zu den Dingen in der Welt bedeuten.
Das sicher gelungenste Stück an dem Abend in der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst entstammt der Hand des Komponisten Claus Kühnl. Sein „assisi 06“ (2010) ist die Skizze eines besonderen ästhetischen Erlebnisses in der Natur. Das Stück bestach durch eine melodische Schlichtheit, die in ihrer Prägnanz die Intensität des Naturerlebens einen selbst widerfahren ließ. So erzählte der Einsatz eines Akkordverlaufs in die ansonsten statisch liegenden Klänge plötzlich „etwas“. Keiner weiß was. Und darin bestand die Stärke.
Eher schwach war Johannes S. Sistermanns „Luftzeichnen“ (2011), ein achtteilig fragmentarisches Stück, unterbrochen vom Notenblattwenden, das Sistermanns im Programmheft – zum Glück – als „mitkomponiert“ deklariert hatte. Allein der dritte Teil, der durch das Anziehen von weißen Samthandschuhen an die rechte Hand der Akkordeonisten eingeleitet wurde, bot eine Klanggewalt dar, die gerade in der Spannung zu ihrer zartbefühlenden Erzeugung zu einer großen Macht-Allegorie wurde.
Das abstrakteste Stück kam von Andreas Wagner. Kontinuierlich hantierten die Musiker des Bundesakkordeonsorchesters in „Rostfahles Herbstlaub – ein leiser Nachklang an den argentinischen Sommer“ (2011) an den vielen Schaltmechanismen und Knöpfen des Akkordeons. Verschiedenstes Klappern, Klacken und Strömen von Luft artikulierte sich objekthaft im Raum. Es brauchte Zeit – insbesondere im Kontext der anderen Stücke – sich auf diesen gegenläufigen Gestus des Stückes einzulassen.
Eine völlig andere Anmutung bot das Stück „Nachtmusik 1“ (2011) für Akkordeonorchester und Violine solo von Stefan Hippe. Der Geiger Kolja Lessing fidelte – unterstützt vom Nürnberger Akkordeonorchester – virtuos. Denn so war das Stück angelegt. Es war zu spüren, dass Hippe mit den Möglichkeiten eines Akkordeonorchesters besser vertraut war. Und trotzdem blieb er nicht bei diesen stehen. Er steuerte die Komposition zielsicher in die Form eines Virtuosenkonzert, dessen Melodien im Ohr blieben. Das muss man sich im Kontext neuer Musik auch erst einmal trauen.
Die anderen Komponisten – und das hat schon etwas Perfides an sich – hatten vorher noch nie mit einem Akkordeon zu tun gehabt. Der Gestus des Experiments ist entscheidender; KomponistInnen können heute scheinbar – je nach Kompositionsauftragslage – nahezu alles katalysieren. Die Komponisten des Abends entzogen sich jedoch durch ihre bescheidenen Ansprüche diesen Diskussionen; allein Robin Hoffmann hatte sich in dem schon älteren Stück „Dampf“ (1997) der Materialreflektion Lachenmanns angenommen.
Insgesamt also ein erfrischend undogmatischer Abend, sowohl von komponierender als auch kuratierender Seite. Vielleicht weil Akkordeonorchestermusik viel weniger historisch belastet ist als andere Genres wie das Streichquartett und die Komponisten sich dadurch zu sich und der Geschichte freier verhalten können.