Es war ein Auftakt wie man sich ihn nur wünschen kann. Im November letzten Jahres feierte Richard Wagners Oper „Das Rheingold“, das Vorspiel zur Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ Premiere am Theater im Pfalzbau Ludwigshafen. Der Start für die erste Aufführung von Wagners Monumentalwerk im Bundesland Rheinland-Pfalz überhaupt und dazu, auch das einmalig und erstmalig in der Rezeption dieses Werkes, war der Beginn einer „deutsch-deutschen“ Gemeinschaftsproduktion dieses deutschen Ausnahmewerkes mit der Oper in Halle an der Saale.
Hier findet die Fortsetzung statt, „Die Walküre“ kommt am 23. September zur Aufführung, „Siegfried“ folgt, ebenfalls als Premiere in Halle, am 28. April 2012. Mit dem grandiosen Finale „Die Götterdämmerung“ wird sich am 30. November 2012 in Ludwigshafen der Ring runden. Im Wagnerjahr 2013, anlässlich des 200. Geburtstages und des 130. Todestages des in Leipzig geborenen Komponisten, kommen die Ring-Zyklen in beiden Städten zur Aufführung.
Hansgünther Heyme, geboren 1935, ein Künstler der wie kaum ein anderer als Schauspieler, Regisseur, Intendant und Lehrer seit fast 50 Jahren für die Aktualität des Theaters in Deutschland steht, dem es an internationaler Aufmerksamkeit nicht mangelt, führt Regie, zeichnet für Bühnenbilder und Kostüme verantwortlich.
Heyme kennt man als ausgewiesenen Spezialisten für zeitgemäße und zeitbezogene Interpretationen antiker Stoffe ebenso wie für die der deutschen Klassik. Unermüdlich ist sein Einsatz für die Moderne. Er wird als Begründer des „Regietheaters“ bezeichnet, kann aber selbst mit einer solchen Etikettierung nichts anfangen. In der Nachfolge seines großen Lehrer Erwin Piscator möchte er lieber davon sprechen, dass es ihm immer darum ging, zunächst im Reflex auf den Schock des politischen Missbrauchs der Kunst in der Nazizeit, jeglicher Art von unverbindlichem und ahistorischem Theater, das sich mit dem Mantel im Winde der Werktreue schützt, ein Theater der Verantwortung entgegen zu stellen. Provokationen, in dem Sinne, dass eine Aufführung sowohl auf der Bühne als auch bei den Zuschauern etwas hervorruft, was über das Maß des Alltäglichen hinausgeht, sieht er als positives und legitimes Mittel dieser Kunst, in der es letztlich so etwas wie Allgemeingültigkeit gar nicht geben kann.
In diesem Sinne verwendet Heyme auch gern den von Adorno geprägten Begriff der „besseren Treue“. Auf das Musiktheater bezogen heißt dies, dass es auf jede Note ankomme, dass musikalische Änderungen unzulässig sind und es die Pflicht der Interpreten sei um sperrige oder zunächst kaum verständliche Passagen so lange zu ringen bis sich eine angemessene Möglichkeit der Interpretation ergibt. Das gelinge nicht immer, und es mag kreativer und vor allem ehrlicher dem Werk gegenüber sein, sich dies einzugestehen. Dabei ist gerade im Zusammenhang mit Wagners Ring interessant, dass für Hansgünther Heyme der Versuch einer Inszenierung der Tetralogie zu Beginn der 70ger Jahre in Nürnberg nach dem „Rheingold“ abgebrochen werden musste.
Das ging auch bedeutenden Kollegen wie Peter Stein oder Luca Ronconi so, da klebte noch zu viel braune Farbe dran, noch waren weder Kraft noch Mittel gereift diese unmissverständlich zu entfernen. Und jetzt, mehr als 40 Jahre später? Jetzt gibt es für den erfahrenen Theatermann, der sich schon immer, spätestens seit seinen Inszenierungen der Opern „Woyzeck“ und „Lulu“, dem Musiktheater verbunden fühlt und auch beständig der Musikalität des Theaters in der Vielfalt seiner Formen nachspürt, gerade mit dieser Gemeinschaftsproduktion eine neue und angemessene Herausforderung. Dabei mag sogar die Länge und die mitunter ungeheuerliche Dimension dieses Werkes, das viel von der deutschen Geschichte, ihren Ängsten und Todesängsten, ihren Großmacht- und Untergangsfantasien, ihren Vertragsbrüchen und Verbrechen, aber vor allem auch ihren großen Sehnsuchtsentwürfen, wie dem allen zu entkommen sei, in sich trägt, in hohem Maße ausschlaggebend sein, sich der Herausforderung zu stellen.
Für Heyme führt Wagners Ring zu den antiken Wurzeln unseres Theaters, daher auch das Verständnis für die groß angelegten Monologe und wiederkehrenden Berichten von Ungeheuerlichkeiten, denen sich die direkte Abbildung versagen muss. Und wenn jetzt die Theater zweier deutscher Städte, jeweils ihre Mittel und Kräfte zusammenbringen um sich einer solchen Herausforderung zu stellen, dann ist das an sich schon ein künstlerisch-kreativer Vorgang, der zeitgeschichtlich grundiert ist, und dazu führen kann, dass am Ende das Theater zum Forum der Gesellschaft wird, in dem stellvertretend all das, was uns Angst macht, was uns missraten ist, was auch unlösbar bleiben wird so intensiv durchgespielt wird, dass das Erlebnis von kathartischer Wirkung ist. Wir werden die Aufführung verlassen, es wird sich an den Umständen unseres Alltages, unseres Landes nichts geändert haben. Aber vielleicht haben wir etwas in der Erinnerung, vielleicht etwas von den stürmischen Liebesgesängen der „Walküre“ in ersten, und dem ergreifenden Abschiedsgesang Wotans im letzten Aufzug, im Ohr. Vielleicht gelingt es, uns im besten Sinne zu provozieren mit diesem Sturm des Aufbruchs, den Zwängen der Vergeblichkeit an denen hier selbst ein Gott scheitern muss und der großen Trauer, ohne die es keinen Neubeginn geben kann.
Ein solcher Versuch, ein Werk von Wagners Dimensionen sich zu erschließen, ist nicht möglich mit knapper Probenzeit und durchreisenden Stars. Hansgünther Heyme spricht mit Bewunderung und Hochachtung von der Besetzung und den Gästen des Ensembles der Oper Halle, mit denen er derzeit intensiv und zeitlich angemessen arbeiten kann. Nur so hält er es für verantwortbar, sich diesem Werk, in dem es um die Fragen der Menschheit und ihr Verhältnis zur Angst geht auszusetzten. Nicht um die Fragen zu beantworten, die Angst zu leugnen, sondern sich zu stellen und dagegen an zu singen. Vielleicht ist Wagners Werk auch so etwas wie der unermüdliche Gesang der Unentwegten im finsteren Wald unserer Geschichte.
Mit dem Dirigenten Karl-Heinz Steffens, Chefdirigent der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und Generalmusikdirektor der Oper Halle ist auch an jeweiligen den Pulten die künstlerische Kontinuität gewahrt.