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Wer hat eigentlich das Sagen? Blick in eine Jahreshauptversammlung der GEMA. Foto: GEMA
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GEMA-Schwerpunkt in der September-nmz: die Petition als Ventil für unzufriedene Mitglieder

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In der eben erschienenen September-Ausgabe nimmt die nmz mit zwei Beiträgen die Hauptaspekte der Online-Petition zur GEMA in den Blick. nmz-Chefredakteur Juan Martin Koch hat die direkten Gegenspieler zum Gespräch gebeten: die Initiatorin der Petition Monika Bestle und Jürgen Baier, Leiter der Direktion Außendienst der GEMA. Lothar Scholz beschäftigt sich in seinem Artikel mit der Unzufriedenheit der GEMA-Mitglieder selbst. Hier die Vorabveröffentlichung:

Am 17. Juli endete die Mitzeichnungsfrist der GEMA-Petition mit einem Rekordergebnis: 106.575 Mitzeichner haben die von Beschwerdeführerin Monika Bestle, Geschäftsführerin der Sonthofener Kulturwerkstatt, eingereichte Petition unterstützt. Das ist die dritthöchste Zahl, die seit Oktober 2008 bei den über 500 im Internet veröffentlichen Petitionen erreicht wurde. Ein Mitarbeiter des Petitionsausschusses spricht von einem Erfolg, ein anderer geht davon aus, dass bei der GEMA tatsächlich etwas „faul“ ist. Noch bemerkenswerter als die hohe Zahl an Mitzeichnern ist aber die Tatsache, dass sich der Klageschrift eine Vielzahl von GEMA-Mitgliedern angeschlossen hat.

GEMA-Vorstandsvorsitzender Dr. Harald Heker hätte sich sicherlich nicht träumen lassen, dass er mit dem von ihm eingerichteten Lobbybüro einmal gegen eigene Mitgliedern antreten müsste. Das Hauptstadtbüro Berlin wurde geschaffen, um sich Gehör bei der Politik für die Interessen der GEMA zu verschaffen. Und nun wird die Politik mit konträren Botschaften von der Verwertungsgesellschaft selbst konfrontiert. Auf der einen Seite steht die eloquente und sich sachlich gebende GEMA-Führung aus Vorstand und Aufsichtsrat, auf der anderen Seite eine aufgebrachte Menge scheinbar rechtloser Mitglieder, kurioserweise angeführt von einer Veranstalterin. Für die GEMA-Führung beruht diese Spaltung auf einem Missverständnis, Unwissenheit und Instrumentalisierung, für die Petitions-Anhänger jedoch auf nicht weiter hinnehmbare Missstände bei der GEMA. Doch warum nutzen GEMA-Mitglieder eine Petition, um ihrem Unmut Luft zu machen und was wird im Einzelnen beanstandet?

Kein Mitspracherecht?

Die GEMA-Führung spricht zwar von demokratischen Strukturen, doch die meisten Mitglieder haben de Facto kein Mitspracherecht. Von den insgesamt 63.752 Mitgliedern gehören 60.501 zu den angeschlossenen und außerordentlichen Mitliedern. Sie können nicht unmittelbar an Satzungsänderungen, Änderungen des Verteilungsplans oder bei der Wahl des Aufsichtsrats mitwirken. So ist es in der Satzung der GEMA festgelegt. Ihnen wird aber die Wahl von 34 Delegierten zugestanden, die Ihre Interessen in der jährlichen Hauptversammlung der ordentlichen Mitglieder vertreten. 3.251 Mitglieder der GEMA haben als ordentliche Mitglieder ein direktes Mitspracherecht. Die Delegierten sind den ordentlichen Mitgliedern zahlenmäßig derart unterlegen, dass sie kaum die Interessen der von ihnen vertretenen Mitglieder-Gruppen durchsetzen können.

Das ist von der GEMA nicht gewünscht: „Die ordentlichen Mitglieder, die den Großteil des wirtschaftlich relevanten Repertoires in die GEMA einbringen, sollen bei der Entscheidungsbildung nicht durch die Vielzahl der außerordentlichen oder angeschlossenen Mitglieder dominiert werden“, heißt in einer Stellungnahme zum Schlussbericht der Enquete Kommission „Kultur in Deutschland“. Darin werden Verwertungsgesellschaften wie die GEMA aufgefordert, „die umfassende Repräsentanz aller Wahrnehmungsberechtigten, die an der Wertschöpfung tatsächlich beteiligt sind, in den entscheidungserheblichen Gremien [bei der GEMA wären das Mitgliederversammlung und Aufsichtsrat], sicherzustellen.“ Die GEMA wiederum beruft sich auf das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWG), das die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit von Verwertungsgesellschaften vorgibt. Nach § 6 Abs. 2 UrhWG ist zur angemessenen Wahrung der Belange der Berechtigten, die nicht als Mitglieder der Verwertungsgesellschaft aufgenommen werden, eine gemeinsame Vertretung zu bilden. Bei der GEMA sind das eben die 34 Delegierten, die die angeschlossenen und außerordentlichen Mitglieder vertreten.

Auch der neue GEMA-Aufsichtsratsvorsitzende Jörg Evers plädiert für ein Festhalten am bestehenden Mitspracherecht: „Es könne bezüglich der weit reichenden Entscheidungen bei Mitgliederversammlungen nicht angehen, dass ordentliche Mitglieder der GEMA, die durch ihr Werkschaffen – welches mit durchschnittlich 60.000 Euro meist ihren Lebensmittelpunkt darstellt –, von einer Mehrzahl von Gelegenheits-Urhebern, größtenteils aus dem Amateurbereich majorisiert werden. Besonders wenn man bedenkt, dass das GEMA-Aufkommen 50 Prozent der angeschlossenen und außerordentlichen Mitglieder unter 25 Euro liegt!“ Umgekehrt ließe sich argumentieren, dass mit den Werken dieser beiden Mitgliedergruppen über ein Drittel der Gesamterträge der GEMA erwirtschaftet wird. Dem entsprechend müssten sie ein Drittel aller Stimmberechtigten ausmachen und nicht, wie derzeit der Fall, ein Hundertstel.

Es ist nicht davon auszugehen, dass sich an den gegenwärtigen Verhältnissen ohne politischen Druck etwas ändert. In diesem Fall empfiehlt die Enquete-Kommission der Bundesregierung, gesetzgeberisch tätig zu werden. Ob die Bundesregierung der Empfehlung folgt ist allerdings fraglich.

Unzureichende Aufsicht?

Warum allerdings auch ordentliche Mitglieder trotz ihres direkten Mitspracherechts die Petition unterzeichnet haben, scheint erst einmal unverständlich. Die GEMA-Führung spricht von Instrumentalisierung durch Konzertveranstalter. Ordentliches GEMA-Mitglied Hans Brunckhorst sieht das anders: „Die sind alle unzufrieden mit dem Verein und darüber, dass Verteilungspläne willkürlich zu Lasten einiger Mitglieder geändert werden. Da braucht uns keiner zu instrumentalisieren!“

Komponist und Verleger Chris Kramer befürwortet sogar ein dem Ertrag angemessenes Mitspracherecht für alle Mitglieder, obgleich er damit als ordentliches Mitglied sein eigenes Stimmrecht beschneiden würde. Ihm geht es um die Grundrechte der Urheber, die er bei der GEMA auf nicht hinnehmbare Weise eingeschränkt sieht. Da werde zum Beispiel die Unschuldsvermutung, nach der jemandem erst einmal die Schuld bewiesen werden muss, ehe er bestraft wird, umgedreht. „Sobald der Verdacht besteht, dass ein Bezugsberechtigter Schmu gemacht hat, muss der seine Unschuld beweisen. Bis dahin können 100 Prozent der Ausschüttung zurückbehalten werden“, klagt Kramer. Problematisch sei auch, dass die Leitung der Mitgliederversammlung vom Aufsichtsratsvorsitzenden übernommen wird. Der könne gar nicht neutral sein, da er in der Regel auch Antragsteller von Anträgen ist, die zur Abstimmung vorgelegt werden.

Das größtes Problem bei aller Kritik ist: Nichts ist kontrollierbar. Zahlen und Studien werden vorgelegt, die nicht nachgeprüft und deren Wahrheitsgehalt anzweifelt werden. Die GEMA sei zu einem Staat im Staat verkommen. Gefordert wird deshalb eine stärkere staatliche Aufsicht entsprechend der Handlungsempfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Diese hat in ihrem bereits erwähnten Schlussbericht der Bundesregierung empfohlen, auch im Einzelfall zu kontrollieren, dass die Verwertungsgesellschaften ihren gesetzlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachkommen.
Die GEMA-Führung hält alle Anschuldigungen für haltlos.

Aufsichtsratsmitglied Karl-Heinz Klempnow stellte auf der Petitions-Pressekonferenz klar: „An jeder Aufsichtsratssitzung nimmt ein Vertreter des Patent- und Markenamtes teil. Jede Veränderung des Verteilungsplanes muss genehmigt werden. Es können keine willkürlichen Dinge gemacht werden!“ Gegen eine stärkere Aufsicht sei auch nichts einzuwenden, erklärte Heker, davon profitiere die GEMA nur. „Wir haben nichts zu verbergen!“. Dass sie tatsächlich umgesetzt wird, damit muss er aber vorerst nicht rechnen. So hat sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries dafür ausgesprochen, bei der Aufsicht alles so zu belassen, wie es ist. Freiwillig die Türen während der Mitgliederversammlung zum Beispiel für die Presse zu öffnen, dazu ist die GEMA-Führung nicht bereit. Und so müssen sich Journalisten ihren eigenen Reim aus den widersprüchlichen Geschichten, Behauptungen und Gegenbehauptungen machen.

Von unten nach oben?

„Der Vorwurf, die GEMA würde ungerecht verteilen, ist nicht richtig!“ erklärte Heker auf der Petitions-Pressekonferenz. Sie verteile eben nicht von unten nach oben, das sei nachweislich nicht der Fall. „Es findet tatsächlich eine Umverteilung von oben nach unten statt!“ Nähere Erklärungen, warum es „nachweislich“ und „tatsächlich“ so sein soll, gab er nicht. Stattdessen wiederholte er mehrmals „von oben nach unten“, als ob er damit den Wahrheitsgehalt der Aussage steigern wolle. Einige Mitglieder behaupten dagegen, es werde von unten nach oben verteilt. Von einigen, die oben sind, nämlich die ordentlichen Mitglieder, wird dies sogar bestätigt. Im aktuellen „Musiker Magazin“ des Deutschen Rock und Pop Musikerverbandes wird vorgerechnet, wie diese Umverteilung funktioniert. Veranstalter zahlen eine Lizenzgebühr und nur ein Bruchteil davon landet bei den entsprechenden Rechteinhabern. Die Berechnung stimmt, doch es gibt Gegenbeispiele, die ebenso richtig sind. Zu welcher Lösung man kommt, hängt von den verwendeten Beispielen ab.

Im „Musiker Magazin“ wird von einem Konzert in einem 350 qm großen Club und 20 Euro Eintritt ausgegangen. Hier erhält der Rechtinhaber deutlich weniger, als die GEMA vom Veranstalter eingenommen hat. Die GEMA verwendet als Beispiel dagegen ein Konzert, das kostenlos in einem 200 qm großen Club gegeben wird. In diesem Fall profitiert der Autor vom Solidarprinzip und erhält mehr als vom Veranstalter gezahlt wurde. Doch welches Beispiel ist die Ausnahme und welches die Regel? Auch hier wäre eine umfassende Aufklärung nötig, um allen Spekulationen ein Ende zu machen.

Kulturtarif ohne Folgen?

Klärungsbedarf besteht auch bei dem von der GEMA eingeführten Kulturtarif, mit dem auf eine Forderung der Enquete-Kommission reagiert wurde. Der Tarif soll Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, begünstigen. Die Bedingungen dafür stellte Lorenz Schmidt, Direktor der Bezirksdirektion Dresden, auf der Petitions-Pressekonferenz vor: Eintrittgeld von maximal 9 Euro, nicht mehr als 150 Personen und ein Konzert, das die musikalische Nachwuchsarbeit rechtfertigt. Letzteres Kriterium lässt allerdings einen großen Interpretationsspielraum.

Schmidt sagt überraschenderweise aber auch, dass sich für kleine Clubs, Jugendzentren und Einrichtungen, die den musikalischen Nachwuchs fördern, nichts verändert habe. Es werde weiterhin der gleiche Tarif wie bisher angewendet. Bei 100 qm Veranstaltungsfläche und kostenlosem Eintritt wird eine Pauschale von unter 20 Euro berechnet; bei 4 Euro Eintritt sind es 62,70 Euro. Es hat sich also nichts geändert? Wie passt das mit dem neuen Kulturtarif zusammen? „Für Spielstätten der musikalischen Nachwuchsförderungen haben wir den Tarif noch mehr gesenkt“, sagte Heker. Das sei jedoch an bestimmte Bedingungen geknüpft. Die hat Schmidt bereits genannt, womit sich die Argumentation im Kreis dreht. Klar ist nur: Für Monika Bestles Sonthofener Kulturwerkstatt hat sich, wie sie sagt, mit dem Tarif nichts geändert.

„Wir sind die GEMA!“?

„Wir“, das sind die Kreativen, sagt die GEMA. Doch wer „Wir“ wirklich sind, lässt sich bezogen auf das Mitspracherecht auch anders deuten. Danach könnte es auch für den Kreis ordentlicher Mitglieder stehen, der an den Vereinstrukturen direkt mitwirken kann. Viele der übrigen Mitglieder – laut GEMA-Satzung keine Mitglieder im vereinsrechtlichen Sinne – scheinen dagegen misstrauisch gegenüber einer Führung geworden zu sein, die für sie hinter einem undurchdringlichen Dickicht an Regeln unerreichbar geworden ist. Ihr Vertrauen zurückzugewinnen, wird eine für die GEMA-Führung zentrale Aufgabe sein. Dabei werden Worte wie „Die Klagen unserer Mitglieder müssen wir sehr ernst nehmen“ nicht ausreichen. Und Aussagen wie „Natürlich haben wir mit den Initiatoren gesprochen“ schüren – weil das nicht der Fall gewesen scheint – eher noch das Misstrauen. Eine neutrale Instanz wie der Petitionsausschuss könnte eine Chance darstellen, den entfachten Klassenkampf innerhalb der GEMA zu schlichten und Antworten auf viele ungeklärte Fragen zu geben.

[Vorabveröffentlichung aus nmz 9-09, erhältlich im Abo und an Bahnhofskiosken]

 

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