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Gerard Mortier. Foto: Javier del Real
Gerard Mortier. Foto: Javier del Real
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Gerard Mortier: Eine Kämpfernatur ist tot

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Er konnte nicht alle Kämpfe gewinnen. Aber wo immer er es für sinnvoll hielt, da hat er gekämpft und gerungen. Zumeist mit Erfolg. Nun musste er sich einem grausamen, seinem wohl tückischsten Gegner beugen: Gerard Mortier starb am Sonntag an Krebs.

Gerard Mortier wird jetzt sicherlich mit vielen Attributen bedacht werden. Der Ruf des streitbaren Erneuerers und Reformators hatte sich mit seinem Tun seit Jahrzehnten verbunden. Wo auch immer der 1943 geborene belgische Bäckerssohn agierte – nach Jurastudium und Promotion diente er sich zunächst als Assistent beim Flandern Festival sowie in den künstlerischen Betriebsbüros Christoph von Dohnányis und Rolf Liebermanns sehr geradlinig hoch –, er fand Dinge, die es zu ändern und zu erneuern galt. Doch kaum einen Umsturz um seiner selbst willen, nein, dieses agile Engagement galt letztendlich dem Bewahren der schönen Kunst des Musiktheaters.

Wie er damit zu überzeugen vermochte, war gewiss auch seinen reichen Überzeugungstalenten geschuldet. Nicht umsonst hatte Mortier in einem Zweitstudium noch Kommunikationswissenschaften belegt. Ins öffentliche Licht rückte der Flame spätestens ab 1981, als er das Théâtre Royal de la Monnaie übernahm und gemeinsam mit Sylvain Cambreling binnen kurzer Zeit zu einem der angesehensten und aufregendsten Opernhäuser umstrukturierte. Was zunächst als Wagnis erschien – Regiehandschriften etwa von Ruth Berghaus und Luc Bondy an einem sich eher historisch verstehenden Tempel –, wurde rasch zum Markenzeichen des Theaterleiters.

Er wird heute oft als Musikmanager apostrophiert und ganz gewiss hat er auch reichlich gemanagt, sein Netzwerk beständig erweitert und davon auch viel Nutzen gezogen. Gerard Mortier muss aber schon früh den Dreh rausgehabt haben, hoffnungsvolle Talente aus seinem Umfeld zu fördern und ihnen Chancen zu geben. Es kommt nicht von ungefähr, dass an zahlreichen Opernhäusern heute Mortier-Schüler walten.

Sein Dezennium in Brüssel gilt noch heute als Ära, ebenso die darauf folgenden zehn Jahre in Salzburg. Dieses Festival aller Festivals mit neuem Glanz zu versehen, es wieder zu „verlebendigen“, das war eine Aufgabe, wie sie sich ein Mortier wohl nur wünschen konnte. Als Intendant und künstlerischer Leiter hat er es vermocht, die Salzburger Festspiele jungem Publikum und moderner Musik zu öffnen. Legendäre 25 Uraufführungen legten ein mehr als beredtes Zeugnis dieser Leistungen ab. Wiewohl, es war eine Zeit, die nicht ohne Blessuren blieb. Möglich, dass Mortiers deutliche Abgrenzung der Salzburger von den Bayreuther Festspielen ihm noch nachgetragen wurde, als er sich 2008 gemeinsam mit Nike Wagner um eine überfällige Erneuerung auf dem Grünen Hügel bemühte.

Zuvor sorgte er 2002 als erster Leiter der Ruhr-Triennale für Aufsehen, rückte den Pott plötzlich ins Bewusstsein von Künstlernaturen und breitestem Publikum, anschließend leitete er für fünf Jahre die Opéra National de Paris (bis 2009) und übernahm danach das Teatro Real in Madrid. Bereits zwei Jahre vor seinem für 2009 erwarteten Amtsantritt als General Manager und Artistic Director an der New York City Opera zog er sich von dieser Position wieder zurück, weil er dort aufgrund von Finanzproblemen nicht sein Verständnis von zeitgemäßem Musiktheater hätte umsetzen können. Auch darin war Mortier nur konsequent.

Zuletzt sorgte diese Kämpfernatur noch einmal im Januar für Schlagzeilen mit der Uraufführung von „Brokeback Mountain“ von Charles Wuorinen, einer Umsetzung des berühmt gewordenen Wildwest-Schmonzette um zwei schwule Cowboys. Dass man ihn nach Bekanntwerden seiner Erkrankung den Stuhl vor die Tür stellen wollte, nahm er nicht hin: Man könne ihn nicht hinauswerfen, wetterte er. „Ich habe zwar Krebs, aber ich bin nicht tot, auch wenn dies einigen gefallen würde.“ Sein Vertrag mit Madrid wäre bis 2016 gegangen. Dass er ihn nun nicht mehr gewohnt kampflustig wird erfüllen können, dürfte niemandem gefallen.

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