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Die glutfarbene Pracht von Devotionalien. Hindemiths „Mathis“ im Theater an der Wien. Foto: PhotoWerk / Werner Kmetitsch
Die glutfarbene Pracht von Devotionalien. Hindemiths „Mathis“ im Theater an der Wien. Foto: PhotoWerk / Werner Kmetitsch
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Geschichtspanorama und Lehrstück: Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ im Theater an der Wien

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Dieses großformatige Werk aus der ersten Hälfte der 1930er Jahre ist eine Künstleroper und kräftiger Nachhall der Lehrstücke, dem neuen Genre des vorangegangenen Jahrzehnts. Zu ihm hatte Paul Hindemith als einer der Kombattanten Bertolt Brechts ebenso beigetragen wie Kurt Weill oder Hanns Eisler.

„Mathis der Maler“ entrollt, gruppiert um fiktive Szenen zur Biographie von Mathis Gothart Nithart (~1480–1528), ein Bauernkriegs-Panorama. Es verhandelt mit heiligem Ernst zentrale Fragen der von Martin Luther initiierten reformatorischen Bewegung, auch die der militärischen Auseinandersetzungen um kirchliche Einheit. Es stöhnt vom Umbruch und ereifert sich über die Folgen einer „Zeitenwende“.

Die Uraufführung der von viel Willen zu altmeisterlich geprägtem Kontrapunkt durchzogenen Arbeit fand Ende Mai 1938 im Züricher Stadttheater statt – im Schweizer Exil. Im Deutschen Reich war eine Aufführung nach der auch kulturell durchschlagenden „Machtergreifung“ von 1933 unerwünscht. Obwohl der von Gemeinschaftsgeist beseelte Musiker Hindemith das Zeug für einen Führungsposten in der Reichsmusikkammer mitbrachte, gab es zu Beginn der Diktatur eine Kontroverse um seine Mathis-Symphonie, drei vorab publizierte Sätze: Die Auseinandersetzung zwischen Hardlinern des Systems um den „Führer“ und den noch etwas pluralistisch gestimmten Mitläufern, in diesem Fall Staatsrat Furtwängler, zeitigte eine Grundsatzentscheidung zugunsten des rigideren Totalitarismus.

Ausgehend von der Betrachtung des Isenheimer Altars, der dem Maler Mathis zugeschrieben wird, entwickelte der Komponist, nachdem er sich mit Brecht und Gottfried Benn entzweit hatte, das Libretto für sein Hauptwerk selbst. Es wurde jetzt nach mehr als einem halben Jahrhundert wieder im Theater an der Wien präsentiert. Bertrand de Billy steuerte zunächst mit kontrollierter Zurückhaltung den emsig kontrapünktelnden Tonsatz, verhalf ihm dann zum großen Crescendo. Die Musik ballt die Fäuste: In den Massen-Szenen der über die Fragen der Glaubensrevolution sich ereifernden Mainzer Bürger, bei der Bücherverbrennung und den bewaffneten Konfrontationen verlässt der Sound den kunstgewerblichen Zuschnitt und entwickelt Sogkraft.

Wolfgang Koch erarbeitet sich reichlich Beifall durch sein Engagement für die anspruchsvolle Titelpartie dieses Künstlerdramas, das sich in die Traditionslinie des „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz, des „Fernen Klangs“ von Franz Schreker und des „Palestrina“ von Hans Pfitzner stellte. Kurt Streit imponiert als langhaariger, eleganter, eloquent-selbstbewusster Erzbischof von Mainz (gewisse Probleme in den politischen und stimmlichen Höhen bleiben allerdings unüberhörbar). Mit Souveränität rundum gibt der altgediente Franz Grundheber den steinreichen Bürger Riedinger, der seine Tochter Ursula dazu bewegen will, den hohen geistlichen Herrn für eine Ehe und damit für den Protestantismus zu gewinnen. Diese ehrbare Bemühung der Geliebten von Mathis erweist sich trotz des höchst überzeugenden Auftritts von Manuela Uhl für die damalige Sache der Frau als vergeblich. Katerina Tretyakova steht der dunkel glühenden Ursula in der Partie der durch Welt und Feld getriebenen Tochter des Bauernkriegsführers Schwalb in nichts nach: Zwei starke Frauen in schwerer Zeit und in heftigen Klangbrechern.

Johan Engels entwickelte für die Inszenierung von Keith Warner ein Groß-Symbol: Eine flachgelegte Riesenplastik des gemarterten und gekreuzigten Christus, an die zehn Meter lang, versperrt die Bühne. In die nackte Haut wurden die Spuren der Geißelung minutiös eingearbeitet. Die Figur zersetzt sich. Dies verweist auf die Auflösung der so lange beschworenen „Einheit des Christentums“ (eine Legitimationskonstruktion der zu Staatsmacht gelangten Kirche, der allenthalben mit Feuer und Schwert Nachdruck verliehen wurde). Unter und hinter der Groß-Skulptur finden sich die Treppenstufen, auf denen die Mainzer Bürger parlamentieren und werden die verkohlten Bücher sichtbar, die signalisieren, wie es um den „freien Geist“ bestellt ist bei den Deutschen, wenn ein schärferer Wind bläst. „In Flammen geht die neue Zeit“ – die Anspielungen des Librettos auf Ereignisse der frühen 30er Jahre unterstreichen Emma Ryotts Kostüme: Die der kaiserlichen bzw. papistischen Schergen erinnern an die Montur der SA-Leute, die des armen Frauenchors aus der Slowakei an das Grau der Weltkriegszeit – und taffe nackte Männeroberkörper erfreuen die Community. Es wird fast fotorealistisch gehenkt und vergewaltigt. Auch das eine helle Freude!

Regisseur Warner tarierte die den beiden Konfliktparteien zugeordneten Gewalttaten symmetrisch aus. Er lässt die verschiedenen Handlungsstränge der Künstler-Vita wie der Glaubenskriegszeitgeschichte 1 : 1 absingen und abschreiten, jedoch keinerlei Distanz zu den pathetischen Botschaften des Textes entwickeln. Der kränkelt ohnedies daran, dass der Musiker Hindemith wohl doch kein besonders begnadeter Dichter war.

Zu Bildern der Versuchung des Hl. Mathias/Antonius und den Engelsgesängen gönnt sich die Bühne glutfarbene Pracht. Die Stilhöhe der Bühnenkunst korrespondiert den Devotionalien, wie sie heute von Nazareth oder Tschenstochau bis Altötting und Lourdes die walfährigen Touristen erbauen. Die Teile des zerstückten Christus werden schließlich aufs Neue zusammengerückt. Entgegen der religionsgeschichtlichen Realität stellt sich auf der Bühne der Warner Brothers die Einheit der Christen sinnbildlich wieder her.

Hindemith charakterisierte seinen Mathis als Kunstmaler, der sich in turbulenten Zeiten an die Seite des „kämpfenden Volkes“ stellen will. Daher überlässt er z.B. auch dem fliehenden Schwalb sein Pferd (heute wäre es der Autoschlüssel) und verlangt Beurlaubung vom Erzbischof Albrecht von Brandenburg. Der will nur sein Bestes (nämlich Gemälde seiner Hand), hält Mathis allerdings vor, sich dem höheren Heilsplan deutscher Kunstgeschichtsteleologie und nationaler Größe zu widersetzen: „Dem Volk entzogst du dich, als du zu ihm gingst“. Spätestens bezüglich der völkischen Phraseologie, die mit Brustton über die Rampe kommt, mag man sich wenigstens nach einer kleiner Prise kritischer oder ironischer Brechung von einschlägig vorbelasteten Sentenzen wie  „dem Volke dienen“ gewünscht haben: „Der Mund des Volkes spricht aus dir“. Zähneputzen bitte nicht vergessen!

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