Von der sogenannten Zeitoper zur Beinahe-Ausgrabung. Das ist auch eine Karriere für ein Stück. Es ist kaum noch nachvollziehbar, was einen Teil des Publikums in Leipzig im Februar 1927 bei der Uraufführung von „Jonny spielt auf“ so in Rage versetzt hat. Das Werk avancierte alsbald zum Hassobjekt der Nazis. Das Werbeplakat mit dem farbigen Jazzmusiker missbrauchten sie für ihre denunzierende Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 in Düsseldorf.
Wobei auch im Falle von Ernst Krenek die neuen Dogmen nach dem Krieg verhinderten, das Verdammungsurteil der Nazis schnell zu revidieren. So wird im Grunde auch heute noch jede Neuproduktion zur verdienstvollen Rehabilitierungsbemühung.
Die Handlung ist eine Variante von „Menschen im Hotel“, nach dem Muster: Künstler auf Reisen, Komponist verliebt sich in Sängerin, Ausländer stellt Zimmermädchen nach und klaut Super-Geige, ein unglücklicher Todesfall und am Ende eine große Abreise der Protagonisten. Oder triumphale Ankunft der neuen Musik aus der Neuen Welt.
Dabei dringt Krenek beim Versuch sich aus dem immer noch nachwirkenden Würgegriff von Wagners Musikdrama zu lösen, gar nicht mal bis in die atonale Radikalität vor. Der im gleichen Jahr wie Kurt Weill mit dem Jahrhundert geborene und 1991 gestorbene Komponist hat das Golden-Twenties-Gefühl mit allerhand technischen Geräuschen in seine Partitur integriert. In dieser Oper kommt sogar einer der Protagonisten unter die Räder einer Schnellzuglokomotive. Interessant bleiben vor allem der flotte Wechsel zwischen dem Pathos von Banalität und das bedeutungsschwangere Parlando, aber auch die fröhlicher Selbstironie. Vor allem im zweiten Teil entfaltet suggestiven Charme, um sich dann, in einem Crescendo, im Chaos aufzulösen.
Martin Hoff und die Staatskapelle Weimar machen das mit viel Hingabe und Verve, lassen dabei die Anklänge an (oder Polemiken gegen) Richard Strauss ebenso durchscheinen, wie Rhythmen, die an Weill oder auch Schostakowitsch erinnern.
Der farbige Jazzmusiker Jonny aus Amerika wird dabei zur Projektion einer utopischen Erneuerung des alten (!) Europa aus der Neuen Welt. Jonny selbst spielt dabei gar nicht so viel auf, obwohl er sich die Wundergeige des Violinenvirtuosen Daniello unter den Nagel reißt. Und das Ganze Jazzoper zu nennen, weckt wohl auch eher falsche Erwartungen. Am Ende triumphiert Jonny mit der Geige über dem Chaos …
Im zweiten Teil schwingt sich die Story in den Selbstreflexionen des Komponisten im Stück für Momente zum Künstlerdrama auf. Weil Schaffenskrise und Beziehungsstress zusammenkommen, wird er einmal sogar gerade noch vorm Selbstmord bewahrt. Auch sonst fliegen die (Beziehungs-)Fetzen. Nicht nur zwischen Max (mit beeindruckend intensiver vokaler Kraft: Alexander Günther) und der Sängerin Anita (mit Divengeste: Larissa Krokhina), auf die auch der Violinenvirtuose Daniello (Bjorn Waag) scharf ist. Auch zwischen Jonny (als Exot im Silberanzug: Krister St. Hill) und dem flotten Stubenmädchen Yvonne (Minirock und Maxi-Ausstrahlung: Steffi Lehmann) funkt es.
Regisseur Frank Hilbrich nähert sich in Weimar dem kolportierten Zeitgeist durch ironische Distanz. Bei Krenek (der sein eigener Librettist war) spielt die Handlung eigentlich in den Hochalpen, in irgendeiner Großstadt und in Paris. In Weimar beginnt alles mit einer Museumssituation, in der zunächst Dutzende von Besuchern an einem riesigen Gletscher-Ölschinken vorbei defilieren. Dieser pantomimische Griff ins volle Leben der Touristenstadt Weimar hat Witz. Und die drei Senioren, die als grün uniformiertes Aufsichtspersonal auch sonst immer präsent sind, werden zu mehr als nur einem running gag. (Schade, dass sie im Programmheft nicht genannt werden). Im Handumdrehen wird dann Volker Thieles Bühne vom Museum zu einem Gang mit lauter Hotelzimmern, einem Salon oder einem Bahnhofswartesaal.
Mit dem optimistischen Aufbruch von Max und Anita wird es bei Hilbrich ebenso wenig etwas, wie mit dem Aufbruch des alten Europa in eine neue Zeit zu amerikanischen Rhythmen. Hier wird aus dem Warten auf den großen Aufbruch ein gewaltiger (exzellent choreografierter) Tumult, bei dem das Aufsichtspersonal, sozusagen als Menetekel, auf der Strecke bleibt. Es bleiben nur Sprüche auf den sich auflösenden Kulissen wie: „Die Freiheit nehme ich mir“ oder „Yes, we can". Am Ende gibt es in Weimar viel Beifall für die Interpreten. Und auch für ein Regieteam, das sich einem Stück der Operngeschichte angemessen von heute aus genähert hat, ohne gleich mit dem didaktischen Zeigefinger rumzufuchteln.
- Nächste Vorstellung: 5., 9. Juni, 5. Juli 2014