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v.l.n.r.: Filippo Mineccia (Silla), Jeffrey Kim (Lepido). Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle/ Copyright by Anna Kolata
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Händeloper zwischen Psychokrimi und Zickenkrieg

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Mit den zwei aktuellen Opernbeträgen steuern die Händelfestspiele in Halle auf einen Erfolg zu: Das Opernhaus holt Händels „Lucio Cornelio Silla“ aus dem Schatten der Musikgeschichte und in Bad Lauchstädt wird der nachgeholte „Alessandro“ zu einem Triumpf.

.In Halle: das Psychogramm eines Diktators

Wird Mozarts „Lucio Silla“ auf die Bühne gebracht, dann ist das meist eine Art Pflichtübung gegenüber dem Genie. Als ausgesprochener Festspielglücksfall erwies es sich jetzt, „Lucio Cornelio Silla“ von Georg Friedrich Händel aus der Versenkung zu holen. Dort hat der Dreiakter seit dem Jahre 1713 als Fragment vor sich hingeschlummert bis vor 20 Jahren eine spielbare Fassung für die von Terence Best herausgegebene Hallische Händel-Ausgabe rekonstruiert wurde. In diesem Falle sind nicht mal Entstehungsgeschichte und Uraufführung eindeutig belegt. Die Aufführungsgeschichte bietet da nur ein Fragezeichen und den Verweis auf einige wenige Aufführungen (unter anderem 1990 in Paris und 1993 konzertant in Halle). Die erste „richtige“ szenische Aufführung können sich jetzt die Händelfestspiele und das Opernhaus getrost auf die Fahnen schreiben.

Dabei dauert das Werk in der vokal erstklassig ausgestatteten und in sich stimmigen Inszenierung gerade mal zwei Stunden. Wozu auch das erfrischende bis atemberaubende Tempo, das Enrico Onofri mit dem bestens aufgelegten Händelfestspielorchester präzise und mit Verve im Graben vorlegte, beitrug. Es ging nicht nur dem Opernintendanten Axel Köhler so, dass es in dem Falle, ruhig noch etwas länger hätte dauern können. 

Aber irgendwann reichte es der Entourage des macht- und überhaupt geilen Diktators und sie ertränkten ihn mit vereinten Kräften kurzerhand in der Badewanne. Das ist zwar beim Librettisten Giacomo Rossi nicht so vorgesehen, aber irgendwie gut nachvollziehbar. Dass der Tote dann plötzlich wieder ins Leben zurückkehrt und geläutert auf die Macht (die er nicht mehr hatte) und seine Perversitäten verzichtet, ist nur eine der etwas jähen Wendungen, die Barockopern bereithalten und erlaubt es auch das obligatorische lieto fine anzufügen. Aber Stephen Lawless (dem Halle 2007 schon den „Ariodante“ verdankte) traut dem nicht, entlässt den Psychopaten und seine ganze Truppe in ein imaginäres Zypressen-Idyll, in dem er sich dann doch wieder in Denkmals-Pose als notorischer Killer entpuppt. Ob sie alle real getroffen zu Boden sinken, nach dem Silla mit der Hand auf sie gezielt und geschossen hat, oder ob dieses Ende nur die Einbildung des kranken Diktatorenhirns ist, das kann sich jeder aussuchen. Wobei dieses lieto fine eines Rücktritts im Falle des historischen Silla-Vorbildes Lucius Cornelius Sulla (138 bis 78 v. Chr.) sogar den Tatsachen entspricht.

Bei Lawless wird aus Silla ein Duce im Westentaschenformat. An eine Art ins faschistische Rom verlegtes Hotel Lux erinnert die Drehbühne von Frank Philipp Schlößmann. In den dunklen, großformatigen Räumen mit den schwarz-weiß überblendeten Türen stehen der Möchtegernherrscher und seine Leute unter Hausarrest. Komplettiert wird das durch punktgenau dosierte Videos von Anke Tornow, die raffiniert mit der historischen Patina einer Leni-Riefenstahl-Ästhetik spielen. Inklusive Kriegsbildern. 

Dass Silla eigentlich mehr ein Fall für den Psychiater ist, wird gleich zu Beginn klar. Eigentlich von den siegreichen Bürgerkriegsgegnern interniert, faselt er nicht nur von seiner Machtvollkommenheit, sondern nutzt sie in dem kleinen Kreis, in dem er sie noch hat, rigoros aus. Der junge, aus Florenz stammende, kraftvoll auftrumpfende Counter Filippo Mineccia ist für diesen Duce-Verschnitt auch ein darstellerischer Glücksfall schlechthin. So, wie Romelia Lichtenstein, die mit ihrer bewährten Melange aus vokaler Leuchtkraft und barocker Virtuosität brilliert und Sillas Gattin Metella alle Hände voll zu tun hat, den angeordneten Mord an ihrem Neffen (Antigone Papoulkas mit beredtem Mezzo in der Hosenrolle des Silla-Kritikers Claudio) und am Leibarzt Lepido (mit virtuosem Counter-Florett: Jeffry Kim) zu verhindern. Diese Morde hatte Silla angeordnet, weil er auf die jeweiligen Frauen (Ines Lex als stimmlich und darstellerisch hinreißende Arztgattin Flavia und Eva Bauchmüller als Silla-Mündel und Claudio-Freundin Celia) scharf war. In der Doppelrolle als Diener und im Traum erscheinender Gott wechselt der bassprofunde Ulrich Burdack hier die Seiten. Vom Mordhandlanger zum Verhinderer.

So wie sich das exzellente Ensemble jetzt in Halle den musikalischen Arien-Schmuckstücken und wunderbar kunstvoll verschlungenen Duetten angenommen hat, muss das abschätzige Urteil der Fachwelt über diese kurze aber effektvolle Händeolper revidiert werden. Das begeisterte Premierenpublikum fing damit schon mal an.

In Bad Lauchstädt: Zickenkrieg

Gefeiert wurde auch die zweite Opernpremiere der laufenden Festspiele. Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt, kam jetzt die schon vor zwei Jahren geplante, dann aber wegen des Saalehochwassers abgesagte Produktion von Händels „Alessandro“ als spritzige Mischung aus musikalischem Feuerwerk, traumhaften Kostümen und Komödie doch noch zu Bühnenehren.

Dass das Wetter für die obligatorische zweite Opernpremiere der Händelfestspiele den bis dahin wärmsten Tag im Jahreskreis bereithalten würde, darauf konnte man wetten. Aber die Gemeinde hielt ohne Ausfälle in dem zurzeit nackig (ohne Putz) dastehenden Goethe-Theater durch. Und wurde reichlich belohnt!

Wie das manchmal so geht: Zum aktuellen Motto „Händel und seine Interpreten“ passt sie jetzt beim Nachholen noch besser. „Alessandro“ ist nämlich eine von den zu seiner Zeit populären Händelwerken, die den Mythos von den eitlen Kastraten und dem Zickenkrieg der Diven begründeten. Die Brisanz der Uraufführungsbesetzung ist selbst heute noch nachvollziehbar. Neben dem Kastratensuperstar Senesino auch noch Fracesca Cuzzoni und Faustina Bordoni auf der Bühne zu haben – bei dieser Drängelei um den Platz an der Rampe dürfte der Komponist dem Geschäftsmann Händel das Theater ums Theater geradezu eingeplant haben. Das Echo glaubt man heute noch zu hören.

Und die Regisseurin Lucinda Childs und der in Sachen Ausgrabungsfindigkeit (mit seiner eigenen Firma Parnassus ARTS Produktions) ebenso clevere wie als Star der Counterszene gereift schillernde Max Emanuel Cencic fangen mit ihrer gewitzt ironischen Interpretation diesen Ball nach fast 300 Jahren so gekonnt auf, dass die Herzen der Händelfans höher schlagen. Da spielten dann weder die Hitze, noch die gefürchteten Lauchstädter Sitzbänke eine Rolle.

Cencic ist natürlich als gülden geharnischter Alessandro der Star in der Mitte, den die beiden Diven Rossane (mit beredtem Sexappeal: Blandine Staskiewicz) und Lisaura (glockenklar: Dilyara Idrisova) für sich haben wollen. Die Inszenierung setzt auf die Melange aus der Biographie von Alexander dem Großen und ihrer Vermarktung als Theater beziehungsweise Film. Mit dem Wechsel zwischen ausgestellter barocker Geste, für eine historische Inszenierung oder einen Kostüm-Filmschinken etwa, und den Backstage-Intrigen der Protagonisten funktioniert das bestens.

Da fällt denn auch für jeden Komödiantenaffen auf der Bühne reichlich Zucker ab. Immer wieder knallt eine Filmklappe, der Schauplatz wechselt zwischen Garderobe und Bühne, wo die Rivalitäten in aller Öffentlichkeit eskalieren. Einmal so sehr, dass der Alessandro-Sänger hinschmeißt und der warm geschmeidige Altus Xavier Sabata als Tassile genötigt wird, Cencics respektive Alessandros Part zu singen und auch noch zu tanzen…. Grandios ist auch der Zickenkrieg der beiden Damen, die mit (und genauso faszinierend ohne) die traumhaften Bühnenroben von Paris Mexis auftrumpfen. Hier wird sogar als des anachronistischen Blödsinns schönste Blüte mal gesteppt, gewalzert oder das Bein wie beim Cancan geschwungen. Oder scharf mit der Wasserpistole geschossen. Weil der Counterstar in der Mitte genauso divenhaft ist, wie die Damen drum herum, büßt er schon mal sein Toupee ein und wird strampelnd von der Szene getragen. Es macht wirklich Spaß, zu hören und zu sehen, wie sich auch der Bass Pavel Kudinov, Tenor Juan Sancho und der Altus Vasily Khoroshev als mazedonische Hauptmänner hier einfügen und George Petrou mit dem fabelhaften Armonia Atena diesem barocken Bühnenfest vom Graben aus einheizt.

Wenn das so weitergeht, dann wird das ein erstklassiger Festspieljahrgang!

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