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Frau ohne Schatten, mit Aufnahmemikro: Evelyn Herlitzius als Färberin in Christof Loys Salzburger Halb-Inszenierung. Monika Rittershaus
Frau ohne Schatten, mit Aufnahmemikro: Evelyn Herlitzius als Färberin in Christof Loys Salzburger Halb-Inszenierung. Monika Rittershaus
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Halbkonzertant, als Preis für ein musikalisch hohes Niveau? „Die Frau ohne Schatten“ bei den Salzburger Festspielen

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Dirigent Christian Thielemann fordert bekanntlich das Primat der Musik und verlangt als (Nicht-)Partner der Szene schwache Regisseure, die möglichst nichts zu sagen haben mögen oder gar nicht zum Zuge kommen sollen, wie dies eklatant am letzten Bayreuther „Ring“ zu erleben war. So weit der Dirigent sie nicht von vorne herein ablehnt, scheinen starke Regisseure bei ihm zum Scheitern verurteilt. Christof Loy, ein durchaus eigenwilliger Regisseur, hat sich für Salzburg einen Kompromiss ausgedacht – aber Kompromisse können in der Regel im Theater nicht gelingen.

Christof Loys nahezu oratorienmäßige Lesart hatte den Dirigenten im Vorfeld offenbar zufrieden gestellt hat: der szenische Nachvollzug einer von Karl Böhm mit Sängern der Wiener Staatsoper im ungeheizten Großen Saal des Wiener Musikvereins, „im Winter und ohne Honorar“, im Jahre 1955 realisierten ersten Schallplattenaufnahme der „Frau ohne Schatten “, folglich eine dem Dirigenten adäquate, möglichst konzertante Aufführung.

Also hat Bühnenbildner Johannes Leiacker einen klassizistischen Wiener Aufnahmesaal realistisch nachgebaut: mit einem Podest für die Sänger, Mikrofonstativen und der Tonregie im Rang. Allerdings steht bei der Rekonstruktion der ersten Schallplattenaufnahme dieser Oper nun nicht Karl Böhm, sondern Thielemann am Pult der Wiener Philharmoniker.
Die Solisten in Mänteln, mit Klavierauszügen auf Notenpulten, bleiben im ersten Aufzug tatsächlich konzertant. Dazu Scharen von Statisten, als Chor und als Personal der Schallplattenfirma. Die Wächter der Stadt erklingen aus dem Off, nicht wie gewöhnlich solistisch, sondern chorisch.

Bisweilen erlischt das die Aufnahme signalisierende Rotlicht, aber selbstredend spielt das Orchester ohne Unterrechung bis zum Aktschluss weiter. Im zweiten Akt zieht Loy die dramatische Schraube etwas an. Der Einäugige trägt eine Binde über den Augen, und beim Einarmigen ist der linke Ärmel seines Mantels mit einem gelben Band zusammengebunden (Kostüme: Ursula Renzenbrink). Bei „O Tag des Glücks“ werden – ohne Aufnahmeleuchte – Pappkartons auf die Bühne getragen, der Kinderchor und die Statisterie essen, Barak trinkt aus der Flasche.

Den Brief der Kaiserin findet der Kaiser auf seinem Notenpult, dann wirft er ärgerlich mit einem Stuhl, was den Aufnahmeleiter die Aufnahme abbrechen und sich gestisch beschweren lässt (aber das Orchester spielt unerbittlich weiter; es ist zu etwas Anderem geladen).

Sechs Tänzerinnen im Glitzer-Bikini (nicht sehr konsequent im Winter) und mit Federfächern, ergänzen den Auftritt des Prinzen im Frack. Aber diese Szene gehört – so erläutert eine eigene, zweite Inhaltsangabe des Regisseurs im Programmheft – zur Vorstellungswelt der jungen Interpretin der Kaiserin. Die Auseinandersetzung des Färberpares soll gleichzeitig einen Schlagabtausch des prominenten Sängerehepaars Walter Berry-Christa Ludwig über ihre weitere Karriere mit oder ohne Kinder darstellen.

Ein kleines szenisches Moment beim Damenchor im 50erJahre-Dress: die Dienerinnen des Prinzen betrachten sich kollektiv mit Handspiegeln. Dann tanzt die Färberin – entgegen allen Gepflogenheiten bei Tonaufnahmen – aggressiv modern und wirft mit ihren Schuhen.

Die in diesem Akt ständig zwischen Falknerhaus und Färberhütte wechselnde Lokalität wird für den mit dieser Opernhandlung nicht bestens vertrauten Zuschauer nicht nachvollziehbar. Störend wirkt auch die Verkürzung der Dichtung Hugo von Hofmannsthals in den Übertiteln. Für den Traum der Kaiserin im Falknerhaus werden, psychologisch beziehungsreich zum Kinderwunsch der Kaiserin, die Angestellten der Schallplattenfirma durch Kinder gedoubelt.

Den Raum der Sofiensäle (anstelle des historisch korrekten Großen Saal des Musikvereins) hat Loy darum gewählt, weil hier auch die Österreichische NSDAP gegründet und dann die zur Deportation bestimmten Juden versammelt wurden. Also scharen sich diese (Mitte der 50erJahre!) erneut mit ihrem Gepäck beim zweiten Finale neben dem Podest – und gemahnen an die parallele Szene gegen Ende des zweiten Aufzugs in Stefan Herheims Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung.

Obgleich noch immer aus den Auszügen gesungen wird, erfolgt im dritten Akt eine weitere dramatische Zuspitzung, mit großer Oper beim zumeist gestrichenen, stark kontrapunktischen Quartett von Frau, Amme, Barak und Bote. Die Amme spielt faszinierend ihre schweißtreibende Angst aus, zwischen den Fronten von Geister- und Menschenwelt zerrieben zu werden, und der Geisterbote droht ausgiebig mit dem Zeigefinger. Als nächtliche Szene im verwaisten Aufnahmeraum deutet Loy die Szene der Kaiserin, mit einem auf spannenden Subtexten der Sängerdarstellerin basierenden Spiel.

Ein Bruch der Erzählweise erfolgt, wenn sich der Vorhang nach dem Duett Kaiserin-Kaiser schließt und die Szene Barak-Frau am linken Portal vor dem Vorhang stattfindet. Denn während dessen wird die Szenerie mit Weihnachtsbaum und Fahnen zu der eines öffentlichen Konzerts verändert. Die vier Hauptprotagonisten tragen nun lange, helle Abendkleider und Fräcke, und der „Salzburger Festspiele Kinderchor“ assoziiert kostümlich die Wiener Sängerknaben. Wie in Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung applaudiert ein pantomimisches Publikum auf der Bühne überschwänglich, aber lautlos. Die als Aufseherin beim Konzert anwesende Amme schlägt einem Kind strafend auf den Hinterkopf.

Die Stimmen der Ungeborenen erklingen aber weiterhin unsichtbar aus dem Off. Während sich die Inszenierung um ein gemeinsames Verklingen von Handlung und Musik bemüht, lässt Thielemann sich auch hier das letzte Wort nicht nehmen und dehnt seine Interpretation bis nach dem Schließen der Courtine.

Gegenüber der historischen Schallplatteneinspielung dieser Oper ist es Christian Thielemann zu danken, dass er Karl Böhms Striche aufgemacht hat und Richard Strauss’ Partitur ungekürzt zur Aufführung bringt. In seiner Interpretation sind die Piano-Stellen extrem leise, die Forte-Stellen aber, ohne Rücksicht auf die Solisten, im Fortissimo, der Klang häufig gesteigert bis zu dröhnend grobschlächtiger Effekthascherei. Erfreulich dabei jedoch die original aus Orchester peitschende Windmaschine.

Stimmlich – und so weit zugelassen auch darstellerisch – großartige Leistungen bei den Sängerdarstellern: Anne Schwanewilms gibt die junge Leonie Rysanek als Kaiserin, zunächst bewusst zurückhaltend gegenüber den erfahreneren, älteren Kollegen, mit einer ätherischen Stimme und mit glasklaren Tönen; nur beim Melodram im dritten Akt muss sie leider schreien, da der Dirigent keine Rücksicht darauf nimmt, ob das Schreien der Solistin dramatisch angebracht ist oder vom Regisseur tiefschichtiger, psychologisch interpretiert wird.

Evelyn Herlitzius schafft ein Psychogramm des hysterischen Charakters der titelgebenden Frau mit einer überaus sinnlichen stimmlichen Gestaltung. Die großen, warmen dramatischen Ausbrüche beweisen, dass die Sängerin ihre Stimmkrise voll überwunden hat.

Michaela Schuster zeichnet ihre Kollegin Elisabeth Höngen als Amme mit Witz nach, steuert aber eigener Intensität bei, mit heller, dramatischer Stimme. Wolfgang Koch gibt Walter Berrys Barak stimmstärker als sein apostrophierter Vorgänger, und Stephen Gould ist ein stimmlich strahlend obsiegender Kaiser, der in dieser schwierigen Partie keinen Wunsch offen lässt.

Während in den Pausen in Publikumsgesprächen viel Unmut und Frustration über die scheinbare Nicht-Inszenierung zu hören war, erfolgte der Schlussapplaus mit Bravorufen und ohne Widerspruch. Allerdings gab es bei der zweiten Aufführung im Großen Festspielhaus bemerkenswert viele freie Plätze.

Fazit: Das erzwungene Primat der Musik, „Prima la musica“, bei erstklassig besetzten Hauptpartien, schafft allein keine überzeugende Lösung, und auch die Musik-Interpretation ist keineswegs immer „prima“.

Weitere Aufführungen: 4., 11. 14., 17., 21. August 2011.

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