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Bernard Hermann und „Blutsbruder“ Alfred Hitchcock
Bernard Hermann und „Blutsbruder“ Alfred Hitchcock
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Hitchcocks musikalisches Alter Ego: Am 29. Juni wäre Bernard Herrmann 100 Jahre alt geworden

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Jeder kennt das berühmteste Geigen-Glissandi der Filmgeschichte aus „Psycho“. Komponiert und orchestriert wurde es von Bernard Herrmann für Alfred Hitchcocks berühmte Duschsequenz. Pure Kinomusik, die sich eingeschrieben hat in das audiovisuelle Gedächtnis des 20. Jahrhunderts. Wie all die anderen Scores, die der New Yorker Komponist seit Orson Welles' genialem Debütfilm „Citizen Kane“ von 1941 geschrieben hatte: „Der Tag, an dem die Erde still stand“, „Vertigo“, „Der unsichtbare Dritte“ oder "Taxi Driver".

Zum Kino war Bernard Herrmann durch das Regie-"Wunderkind" Orson Welles gekommen, der 1938 mit seiner "Mercury Theatre"-Truppe ganz Amerika in Aufruhr versetzte, als er im Radio den "Krieg der Welten" inszeniert hatte, und viele geglaubt hatten, dass die Außerirdischen gelandet seien. Sein musikalischer Komplize dabei war Bernard Herrmann gewesen. Und so war es klar, dass Herrmann auch mit dabei sein musste bei Welles' Kinodebüt "Citizen Kane". Der "beste Film aller Zeiten", wie er noch heute immer genannt wird, ist vor allem auch ein Hörspiel. Nicht nur wegen der Schauspieler aus der "Mercury"-Gruppe, sondern auch wegen Welles' und Herrmanns Radiodramaturgie, den sparsamen szenischen Überleitungen und dem genialen Soundtrack. In der deutschen Synchronfassung von "Citizen Kane" hat man Herrmanns Score - wie damals üblich - ersetzt durch Archivmusik. Und so bleibt für den deutschen Zuschauer bis heute die ganze Schönheit von "Citizen Kane" verschlossen. Es empfiehlt sich also, den Film auf DVD nur in der amerikanischen Originalfassung anzuschauen - und vor allem anzuhören.

Nachdem der nächste gemeinsame Film "The Magnificent Ambersons" vom Studio verstümmelt wurde, trennten sich die Wege von Welles & Herrmann. Kurz danach bekam der Komponist für seine sehr konventionelle Musik zu Dieterles "The Devil and Daniel Webster" seinen ersten "Oscar". Es sollte sein einziger bleiben. Bei 20th Century Fox fand Herrmann ab 1944 ein Jahrzehnt lang eine neue musikalische Heimat. Schon die Motive aus seinem ersten Fox-Film "Jane Eyre" sollten den "schwarzen Romantiker" lange verfolgen und später in seiner großartigen Bronté-Oper "Wuthering Heights" wieder auftauchen. Von Anfang experimentierte er mit neuen Formen für Filmmusik herum, denn er wollte hinaus über die typische Filmmelodie. In einem Interview mit dem Filmmusiktheoretiker Royal S. Brown hat er seine Abneigung auf den Punkt gebracht: "Wissen Sie, der Grund, warum ich diese Idee mit der Melodie nicht mag, ist, dass eine Melodie acht oder sechzehn Takte haben muss, und das engt einen als Komponisten ein. Wenn man einmal angefangen hat, muss man sie zu Ende bringen - acht oder sechzehn Takte. Sonst weiß das Publikum nicht, worum zum Teufel es geht. Das legt einem Handschellen an."

Ausleben durfte er diese Abneigung dann bei dem "Blutsbruder", den er Mitte der 50er-Jahre kennen gelernt hat: Alfred Hitchcock. Für ihn "erfand" er den berühmten "Hitchcock-Akkord", mit dem viele gemeinsame Meisterwerke wie "Vertigo" oder "Psycho" beginnen, der nie "aufgelöst wird. Brown geht deshalb so weit, zu behaupten, "dass selbst in Momenten, in denen Hitchcocks visuell/narrative Amalgame scheinbar zu einem Schluss einladen, Herrmanns Musik dazu da ist, die Tür nie ganz zufallen zu lassen." Es gibt keine "Erlösung" in den großen Herrmann-Scores für Hitchcock, aber auch nicht in denen für Truffaut ("Fahrenheit 451"), Brian De Palma ("Obsession") oder Martin Scorsese ("Taxi Driver"). Als Herrmann am 24. Dezember 1975 die Musikaufnahmen zu "Taxi Driver" abgeschlossen hatte, davon also "erlöst" war, starb er wenige Stunden danach. Seine Musik aber wird uns weiter in den Bann ziehen - bis zum Ende der audiovisuellen Medien.

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