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Foto: Klaus Lefebvre
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Intrige in tristem Grau – Annette Wolf inszeniert Verdis „Otello“ im Theater Hagen

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Wo nehmen die Hagener Theatermacher eigentlich diese Energie her, mit der sie Abend für Abend gutes und anspruchsvolles Programm auf die Bühne stellen? Angesichts der Daumenschrauben, die dem Haus vor Jahren angelegt wurden und an denen beständig gedreht wird, um noch mehr und noch mehr zu sparen. Für Resignation oder Lethargie jedenfalls scheint dort offensichtlich kein Platz zu sein.

Im Gegenteil: es gab kaum Produktionen im Tanz-, Musik- oder Kinder- und Jugendtheater der letzten Jahre, die nicht von beachtlichen, wenn nicht herausragenden künstlerischen Qualitäten waren. Gestemmt trotz immer weiter eingedampfter finanzieller Mittel. Das ist nun auch bei der letzten Opernpremiere dieser Spielzeit nicht anders: Giuseppe Verdis „Otello“ – kein Leichtgewicht für die Hagener Bühne, aber rundherum gelungen.

Keine Frage: die Inszenierung, die Annette Wolf für Hagen entwickelt hat, profitiert von ihrem Titelhelden Otello. Den gibt Ricardo Tamura, der aus Brasilien stammende Tenor, der es inzwischen auf die großen Bühnen der Welt gebracht hat. Sogar bis an die New Yorker Met. Und dies zu Recht. Tamura ist ein fabelhafter, strahlkräftiger Sänger mit unerschöpflichen Reserven für diese große und anstrenge Rolle. Dass er in Hagen gastiert, ist seiner Verbundenheit mit Hagens Intendanten Norbert Hilchenbach zu verdanken. Dieser hatte ihn schon zu seinen Zeiten als Theaterchef in Osnabrück als Mitglied im Ensemble, zog dann quasi mit um nach Hagen, als Hilchenbach dort den Intendantenposten von Rainer Friedemann übernahm. Tamura hat mit seinen Rollenportraits sowohl in Osnabrück als auch in Hagen immer wieder aufhorchen lassen. Und dann begann seine Karriere... Jetzt also wieder als Gast zurück zu den Wurzeln!

Aber Wolfs Inszenierung kann mit noch viel mehr vokalem Glanz punkten. Mit Raymond Ayers zum Beispiel. Der gebürtige Amerikaner ist ein Jago, der als hinterhältiger Fiesling fast schon viel zu nobel seinen Bariton verströmen lässt. Eine perfekte Stimme! Ayers hat aber großes schauspielerisches Potenzial – und setzt dies ein, um sein egoistisches Interesse, sein intrigantes Spiel durch und durch glaubwürdig spürbar werden zu lassen. Kejia Xiong ist der Hauptmann Cassio, für Jago das Mittel zum Zweck – und Xiong erweist sich wie Ayers als sängerisch wie darstellerisch ideal. Was nicht zuletzt auch gilt für Veronika Haller. Ihre Desdemona changiert zwischen Naivität, Ratlosigkeit und Selbstbewusstsein, stets beglaubigt durch ihre Bühnenpräsenz. Stimmlich wirkt sie absolut sicher bis in die höchsten Höhen, mitunter etwas kühl, doch ihr „Lied von der Weide“ und das anschließende „Ave Maria“ gehen direkt unter die Haut.

Regisseurin Annette Wolf verlegt Verdis „Otello“ in die Jetztzeit. Jan Bammes baut ihr dazu einen engen Kasernenhof in tristem Grau, in dem Wolf hoch virtuos die Massen bewegt, vom ersten bis zum letzten Akt. Ein Ort, an dem klare Regeln herrschen, an dem es um Macht geht. Auch diejenige Otellos über Desdemona, die der erfolgreiche Feldherr anbetet wie eine Heilige. Doch wenn in ihm erst einmal die ersten (unberechtigten) Zweifel an der Keuschheit seiner Angebeteten aufkommen, nimmt die Geschichte ihren Lauf, wie Shakespeare sie erzählt. Am Ende liegen zwei Tote auf der Bühne …

Ganz herausragend ist dieser Otello vor allem auch wegen des Philharmonischen Orchesters Hagen. Das macht eigentlich immer eine solide, wenn nicht tolle Arbeit in Sachen Oper, Operette, Musical. Aber diesmal übertrifft es sich selbst. GMD Florian Ludwig entwickelt einen geradezu soghaften Klang, angefangen von der Sturmszene zu Beginn des ersten Aktes bis hin zu dem zärtlich-intimen Teppich, den er den (seltenen) liebevollen Begegnungen zwischen Otello und Desdemona unterlegt. Und Ludwig schafft das Kunststück, das virtuose Orchesterweben mit demjenigen auf der Bühne (Chorszenen) exakt zu synchronisieren! Seine Tempi sind goldrichtig, die Dynamik weit aufgefächert, aber nie zu sehr aufgedreht, was im recht trocken klingenden Theater Hagen schnell passieren kann. Wolfgang Müller-Salow zeichnet verantwortlich für die Chöre, die ganz prächtig singen!

Eine wirklich gelungene Produktion also – eine, die sich ganz sicher nicht zu verstecken braucht hinter derjenigen, die erst vor drei Wochen in der Kölner Oper Premiere feierte.

  • Weitere Vorstellungen: 20.6., 25.6., 27.6., 2.7. 2014

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