Bis zehn Tage vor Festspielbeginn stehen in Bayreuth, veranstaltet von BF (Bayreuther Festspiele) Medien die drei von Richard Wagner – oder besser: von seiner Witwe Cosima – für nicht bayreuthwürdig erachteten Jugendopern auf dem Programm. „Die Feen“ und „Das Liebesverbot“ wurden immerhin seit 1965 bzw. seit 1972 in Produktionen des Internationalen Jugend-Festspieltreffens und des Festivals Junger Künstler in Bayreuth schon gespielt. Aber die fünfaktige Große tragische Oper „Rienzi, der letzte der Tribunen“ erlebte erst jetzt ihre späte Bayreuther Erstaufführung.
Dafür hat Bayreuth eine vierte Opernbühne: neben den derzeit in Sanierung befindlichen Bühnen des Markgräflichen Opernhauses und der Stadthalle sowie neben der Festspielhaus-Bühne, wo derzeit die „Ring“-Inszenierung von Frank Castorf erarbeitet wird, wurde die Oberfrankenhalle aufwändig umgestaltet (es kursiert der Betrag von 250.000 Euro). Die Halle, die für Sportveranstaltungen 6.100 Besucher fasst, hat nun temporär eine flache Bühne und einen sich zu ebener Erde breit davor erstreckenden Orchestergraben dazu gewonnen, aber keineswegs an Charme oder gar an Flair.
Hier spielt das Ensemble aus Wagners Vaterstadt Leipzig zweimal konzertant die in Leipzig auch szenisch zu erlebenden „Feen“, außerdem die veritable Premiere einer Neuinszenierung des „Liebesverbots“ und eine für Bayreuth ebenfalls neu inszenierte, musikalisch aber aus dem Leipziger Repertoire adaptierte Produktion des „Rienzi“.
„Christian Thielemann in Bayreuth“ steht in Lettern und merklich größer als der Name des Komponisten auf dem Gesamtplakat der drei Jugendopern, obgleich dieser Dirigent einzig die musikalische Leitung des „Rienzi“ übernommen hat. Und im gemeinsamen Programmbuch für die Jugendopern gilt der Hauptaspekt des ersten Teils dem Thema „Hitlers Rienzi“; hierfür wurden sämtliche Äußerungen des Diktators über Wagners Große Oper zusammengetragen, im Bemühen, diese objektiv auszuwerten.
Im Vorfeld der Bayreuther Erstaufführung hatte Regisseur Matthias von Stegmann versprochen, er werde die Oberfrankenhalle, trotz fehlender bühnentechnischer Anlagen, in eines der größten Opernhäuser verwandeln. Dabei herausgekommen ist eine sehr flache Bühne, die dem 69-köpfigen Chor die Auftritte und Abgänge sehr erschwert. Auf einer zentralen Projektionsfläche werden historische Schwarzweißfilme bewusst verfremdet in der Collagierung mit Totalen des Sporthallengestühls. Zum Finale des zweiten Aktes erfolgt die Projektion eines Feuerwerks, im zweiten die von Galgenstricken.
Ein gegenüber den Darstellern in seinen Proportionen viel zu kleiner Torbogen mit fünf Arkaden (Bühnenbild: Matthias Lippert) wird mehrfach auseinander und krachend wieder zusammen geschoben. Treppen und Schrägen-Ebenen werden von der Seite hereingefahren. So entsteht, mit einer einsamen Pinie in der linken Bühnenmitte, eine seltsame Paarung von Naturalismus und praktikablen Bühnenelementen.
Für die Entführung Irenes haben die Nobili eine kleine Klappleiter mitgebracht, aber dann wird Irene doch zu ebener Erde herbeigeführt. Die Kostüme (Thomas Kaiser) sind heutig, farbig, aber nicht farbenfroh und leider uninspiriert. Rienzis Leute erhalten blaue Schärpen umgehängt und für das Fest des zweiten Aktes lässt sich Rienzi von seinem Gefolgsmann in ein graues, leicht archaisierendes Gewand kleiden. Statt der Ankunft der Gesandten wird die Ankunft der Nobili besungen, obgleich in der Szene zuvor der Bürger Cecco Colonnas Kniefall gewalttätig erzwungen hatte.
Gewehre statt der besungenen Speere lassen auf einen zeitnahen politischen Konfliktherd als Interpretationsebene schließen, der aber im Spiel völlig unterbleibt.
Der eindrucksvollste Moment der Inszenierung liegt im Zwischenakt, mit gedämpfter Orchesterbeleuchtung. Aus völligem Dunkel erklingt dann a cappella der Chor der Friedensboten, und mit den Worten „Freiheit Licht“ flammen die Orchesterlichter wieder auf. Der Solo-Friedensbote (Jean Broekhuizen) im schwarzen Samtkleid singt seine Botschaft aus einer Konzertmappe und betont so unfreiwillig das vermutlich dem Dirigenten geschuldete Unterbleiben einer szenischen Ausdeutung von Wagners handlungsreicher Oper.
Eine kleine Regiezutat zeigt im dritten Akt eine anonyme Mutter, die angesichts des Krieges ihrem Wickelkind den Hals bricht und es dann obendrein erstickt; die Kinderleiche wird anschließend von Adriano ostentativ weiter bespielt. Im vierten Akt leuchten sich die Verschwörer mit Taschenlampen an, aber der von Wagner auch schon in dieser Partitur (wie später im „Lohengrin“) breit ausgespielte Zug zur Kirche ist personell auf zwei dem Tribunen vorangehende Messdiener beschränkt.
Nach einer lähmenden Umbaupause zum fünften Akt unterbleibt in diesem leider die innigste Musik dieser Partitur, die wälsungenhaft aufblühende Szene zwischen Rienzi und seiner Schwester Irene im Duett und die Sublimierung dieser Gefühle in die Liebe Rienzis zu Roma als seiner hohen Braut in der Cavatine. Bei seinem berühmten Gebet umfasst Rienzi Restexemplare jener Leuchtstäbe, mit denen der Chor, mit erhobener Rechter, ihm im ersten Finale zugejubelt hatte. Von den Römern umringt, stirbt Rienzi wie Alfred Ill in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. Moving Lights, die Rienzi im ersten Finale in einen fünffachen Strahlenkranz gehüllt und die im dritten Akt ein Lichtgitter in den Raum geworfen hatten, werden am Ende der Handlung zu napalmfarbigen Lichtgeschossen, die den kollektiven Tod sämtlicher Handlungsträger, inklusive des Volkes, auslösen.
Robert Dean Smith hat im Festspielhaus zuletzt die Partie des Tristan verkörpert, die auf der Festspielhausbühne mit verdecktem Orchester durchaus leichter zu singen ist als die Partie des Rienzi, mit welcher der Tenor gegen den orchestralen Blechpanzer anzukämpfen har. Zu Smith’ eindrucksvollsten Momenten in seiner Partie als Volkstribun gehörte das „Jungfrauen weinet“ im dritten Akt, obgleich hier bereits Ermüdungserscheinungen deutlich wurden.
Die vokal und darstellerisch eindrucksvollste Leistung erbrachte Daniela Sindram in Wagners einziger Hosenrolle, als ein jungenhaft schlaksiger, in der Tiefe und Mittellage dramatisch voll überzeugender Adriano. Im Spiel Adrianos mit Rienzi erfolgte auch einer der wenigen starken Momente von Personenregie: das Motiv der Blutschuld und Blutrache wird als ein optisches Leitmotiv, mit der Hand vor den Augen, wiederholt aufgegriffen.
Jennifer Wilson als Irene begann mit Intonationsproblemen, behielt mit ihrem walkürenhaften Dauer-Fortissimo aber selbst in den großen Chorensembles stets die Oberhand. Vokal kraftvoll der Bass von Tuomas Pursio als Kardinal Orvieto, profiliert Carsten Wittmoser als Cecco del Veccio und Timothy Fallon als ein in den verhaltenen Passagen zum Aufhorchen zwingender Baroncelli. Stimmlich, wenn auch nicht immer rhythmisch, überzeugten Milcho Borovinov und Jürgen Kurth als feindliche Nobili.
Die von Alessandro Zuppardo einstudierten Chöre obsiegten in stimmlicher Vielfalt; leider gestrichen waren der Doppelchor der Nobili im ersten Akt und der Doppelchor aus dem Lateran. Ungenügend klangen hingegen die aus der Konserve zugespielten Mönchschöre. In szenischer Hinsicht aber war der Chor des Opernhauses Leipzig unterfordert.
In der Ouvertüre forcierte Thielemann die Streicher und dämpfte immer wieder das Blech – und nach der Ouvertüre gab es – für Bayreuth ungewöhnlich – erst einmal Applaus und Verneigung. Im weiteren Verlauf der Oper begnügte sich Thielemann mit der in der Harmonik ihrer Kürzungen leider häufig überaus fragwürdigen Leipziger Strichfassung, welche die im Auftrag Cosima Wagners entstandene Kurzfassung weiter verkürzt, auf eine – mit zwei Pausen – vierstündige Aufführungsdauer. Das – durch zahlreiche Gastinstrumentalisten erweiterte – Orchester des Gewandhauses spielte unter seiner Leitung durchaus prachtvoll, und insbesondere die Bühnenmusik klang exzellent. Diverse Gläserstürze, die aus den Foyers der Oberfrankenhalle in den Raum drangen, erweiterten unfreiwillig das Klangspektrum.
Alleine schon aufgrund der geringen Bühnentiefe der Oberfrankenhalle wäre es durchaus besser gewesen, Katharina Wagners Bremer Inszenierung des „Rienzi“ – mit dem Einheitsbühnenbild einer hohen Treppe – für die Bayreuther Erstaufführung zu adaptieren.
Bei Kartenpreisen von 100 bis 500 Euro war die Oberfrankenhalle nicht ausverkauft. Vip-Gäste schienen in der Überzahl. Das Publikum – aus Besuchern, die den Hauptsponsoren besonders verbunden sind, aus Bayreuthern und aus vergleichsweise wenigen, überregional vorzeitig bereits angereisten Festspielbesuchern – zollte am Ende sichtlich erschöpft widerspruchslos Beifall.
Fazit: „Rienzi“ erlebte eine unengagierte, allzu beliebig arrangierte Bühnenrealisierung mit unterschiedlichen Sängerleistungen und hochwertiger Orchesterbegleitung. Aber die Aufführungsgeschichte und szenische Rezeption der zu Lebzeiten des Komponisten überaus erfolgreichen Jugendoper Richard Wagners hat in Bayreuth ja soeben erst begonnen.
Weitere Vorstellungen: 10., 13. Juli 2013