Die Nachricht traf uns nicht unerwartet, trotzdem sind wir erschüttert und tieftraurig. Der Musikkritiker und -publizist Reinhard Schulz ist heute nach langer schwerer Krankheit im Alter von nur 59 Jahren gestorben. Seit 1986 war er leitender Redakteur der Neuen Musikzeitung und prägte unser Blatt entscheidend mit. Lesen Sie hier einen Nachruf von Wolf Loeckle.
Wo die Liebe hinfällt – da zerbricht sie, heißt eine der vielen Spruchvarianten zum Leben samt dem ihm einprogrammierten Tod. Das kann sehr prosaisch gemeint sein. Das kann sehr real gemeint sein, dann zum Beispiel, wenn Kommunikation abgeschnitten ist. Die zu Reinhard Schulz und von ihm zurück zu uns ist heute Vormittag zerbrochen.
Nach wahrhaft endlosen Wegen in Richtung Jenseits, verursacht durch seine gravierende Krebserkrankung, ist er in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren immer wieder noch einmal und mehrmals zurückgekommen ins Diesseits. Heute Vormittag ist er gestorben. Die Liebe zu Reinhard Schulz speiste sich aus vielen Quellen, aus all denen zuerst, die sich dem was neue Musik in all ihren Varianten genannt wird, zurechnen. Das Denken aber in Kästchen war die Sache von Reinhard Schulz nicht. Deswegen fehlt dem Ganzen der Musik ab sofort und auf Dauer eine kritische und liebevolle und unerhört kenntnisreiche Stimme.
Als Sohn eines Schrankenwärters in der Oberpfalz geboren, verschlug es ihn ins achtundsechziger München, in den Umkreis der Gruppe MMM – Marxistische Musikwissenschaftler München vor den LMU-Seminartoren des großen Thrasybulos Georgiades, der mit Musik und Rhythmus bei den alten Griechen als Ordinarius Einblicke in die Welten der Vergangenheit öffnete, der unvergleichliche Einsichten ins Wesen der Wiener Klassik eröffnete, der mit den sit ins und anderen Aktualitäten der Zeit nichts im Sinn hatte. Folglich konnte die im musiksoziologischen angesiedelte Dissertation des Reinhard Schulz in diesem München nicht akzeptiert werden. Statt mit dem Konvolut nach Bremen oder Bochum zu gehen, schrieb „der Schore“, wie er sich gerne nennen ließ, eine zweite Doktorarbeit, diesmal Anton Webern gewidmet. Das war dann möglich für die Sichtweisen des klassischen Kanons im oberen Lichthof des LMU-Gebäudes, von wo aus die Weiße Rose einstens ihre Flugblätter verteilt hatte – mit den bekannten Folgen.
Als BR-Autor, als Musikkritiker weithin im deutschsprachigen Raum präsent, als Musikfest-Macher bei den Klangspuren in Tirol setzte Reinhard Schulz seine unverwechselbaren Spuren, als einer mit Mut zur eigenen Meinung, frei vom Kriechertum der Szenen von Donaueschingen bis Darmstadt, zwischen Wien und Warschau. Nicht zuletzt die Leser der Süddeutschen Zeitung oder der nmz – der Neuen Musikzeitung in Regensburg, der er besonders verbunden war – steigerten den Wert ihres Erkenntnisgewinns im Lauf der Jahre ein ums andere Mal. Differenzierende Genauigkeit, Offenheit für theoretische Ansätze und musikalische Umsetzungen waren der Qualitätsstandard der Schulz´schen Urteile. Was schwach war nannte er schwach und was gut war sagte er auch, in fast immer zwingender Begründung. Und wenn das Mitdenken bei uns nicht auf Anhieb klappte, lernten wir auch davon und daraus - beim immer wieder neu denken.
Das müssen wir ab sofort dauerhaft und auf unabsehbare Zeit ganz alleine leisten. Die Scherben dieser nun zerbrochenen Liebe halten die Erinnerung an diese Zuneigung, an diesen wahrhaft unvergleichlichen Menschen im Bewusstsein. Und erinnern in ihrer bruchstückartigen Gestalt daran, dass eine wahrhaftige Liebe eben doch nicht zerbrechen kann.
Programmhinweis Bayern 4 Klassik:
Am 24. September, 22.05-23.00 Uhr wird im Programm Bayern 4 Klassik die letzte Sendung von Reinhard Schulz wiederholt:
„Schmerzende Ohren? – Der Begriff Schönheit und die Neue Musik“