Noch bevor die größten Fußballschlachten der Welt in Brasilien entbrennen, steht für Deutschland bereits ein Weltmeistertitel fest: Die Bundesrepublik ist das einzige Land, das beim Abspielen der Nationalhymne vor dem Anpfiff eines Spiels mit ihrer Elf die Zuschauer im Stadion und vor den Fernsehgeräten mit Wiener Klassik speist, mit einer von Joseph Haydn (1732–1809) geschaffenen Melodie.
Während jahrzehntelang zwischen Flensburg und Füssen geradezu leidenschaftlich über den Text des von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) gedichteten „Liedes der Deutschen“ gestritten wurde, verlor seltsamerweise niemand ein Wort über die musikalische Schöpfung aus der Feder des Niederösterreichers aus Rohrau a.d. Leitha.
Haydns andere Schöpfung
Haydn hatte sie zu Ehren des in Wien residierenden Habsburger Kaisers Franz II. (1768/1729-1835) auf einen Text des Schriftstellers und Universitätsbibliothekars Lorenz Leopold Haschka (1749–1827), eines ehemaligen Jesuiten, komponiert. Haschka begann seinen Text mit den Worten „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ und nahm damit eine Anleihe bei der ersten Zeile der britischen Königshymne „God save our gracious king“ auf. Da Franz zu dieser Zeit auch gekröntes Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war, übrigens das letzte, war die Huldigung an den Kaiser ursprünglich sogar eine Reichshymne. Ihre Uraufführung feierte sie am 12. Februar 1797, dem 29. Geburtstag des Monarchen, im alten Wiener Burgtheater am Michaelerplatz. Zu Papier gebracht hatte sie Haydn in den Monaten zuvor im dritten Stock des „Hauses zu den 7 Schwaben“ am Mehlmarkt, heute Neuer Markt 1, im ersten Wiener Gemeindebezirk. Das Haus wurde Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen.
„Papa Haydn“ ließ sich bei der Komposition seiner Kaiserhymne von dem kroatischen Volkslied „Vjutro rano se ja stanem“ inspirieren, mit dessen ersten drei Takten die Huldigung beginnt. In der Fassung des Deutschlandliedes ist das die Zeile „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.“ Teile der Melodie hatte er bereits 1766 im Benedictus der Missa cellensis (Hob. XXII:5) sowie 1796 im langsamen Satz seines Trompetenkonzertes (Hob. VIIe:1) verarbeitet.
Von der Melodie seiner Hymne war der Komponist so begeistert, dass er sie noch im Jahr der Uraufführung im zweiten Satz des so genannten Kaiserquartetts (Streichquartett in C-Dur Op. 76, Nr. 3; Hob. III:77) wieder verwendete und variierte. Zum ersten Mal erklang das Quartett am 28. September 1797 im Empiresaal des Schlosses Esterházy in Eisenstadt, wo Haydn viele Jahre lang als Hofkapellmeister gewirkt hatte.
Fallerslebens Text
Beim Verfassen des Textes für das „Lied der Deutschen“ im August 1841 auf der damals britischen Insel Helgoland orientierte sich Hoffmann an der Musik der alten Kaiserhymne. Mit der Melodie wollte er an das Alte Reich anknüpfen, im Text jedoch nicht, wie damals üblich, einen Herrscher in den Mittelpunkt stellen, sondern eine nach Einigkeit und Recht und Freiheit dürstende Nation. Diese war seit dem Wiener Kongress von 1814/15 im Deutschen Bund, der von der Maas bis an die Memel und von der Etsch bis an den Kleinen Belt reichte, zusammengefasst. Da Hoffmann keinem gekrönten Staatsoberhaupt huldigte, kam das „Lied der Deutschen“ in der Kaiserzeit nach 1871 als Hymne nicht in Frage, wenngleich es oft gesungen wurde. Die deutschen Kaiser ließen sich mit „Heil Dir im Siegerkranz“ nach der Melodie der britischen Hymne hochleben. Erst am 11. August 1922 erklärte Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) in einer Proklamation an das deutsche Volk Hoffmanns Dichtung nach der Melodie Haydns zur Nationalhymne. Nach der Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 bestätigte Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einem offiziellen Schreiben an Bundeskanzler Helmut Kohl vom 19. August 1991 die dritte Strophe des Liedes endgültig als Nationalhymne.
Entstehungszeit
Es waren unruhige Zeiten, als Haydn die Kaiser– Hymne schuf. Österreich, Preußen, Großbritannien und einige Mittelmächte führten Krieg gegen das französische Revolutionsheer. Sie wollten die alten Kräfte der Monarchie im Nachbarland wieder auf den Thron bringen, was ihnen aber nicht gelang. Die Revolutionäre siegten, das Leben des französischen Königs Ludwig XVI. und seiner Gemahlin Antoinette, die Tante von Kaiser Franz II., endete 1793 auf der Guillotine.
Das Koaltionsheer hatte dem Elan der revolutionären Divisionen, die im Takt der „Marseillaise“ von Sieg zu Sieg marschierten, wenig entgegenzusetzen. Unter denen, die die durchschlagende Begeisterung der französischen Truppen zu oft erleben mussten, war der Regierungspräsident von Niederösterreich, Franz Josef Graf von Saurau (1760–1832), der auch zum engsten Beraterstab des Kaisers zählte. Er wusste um die anfeuernde Kraft der Musik und bedauerte, dass das Land kein Nationallied hat, das geeignet wäre, „in den Herzen aller guten Österreicher jenen edlen Nazionalstolz zu wecken, der zur energischen Ausführung jeder von dem Landesfürsten als nützlich erkannten Maßregel unentbehrlich ist.“ Ihm schwebte ein Huldigungsgesang, ähnlich dem britischen, vor.
Dem Beraterstab des Kaisers gehörte auch Baron Gottfried van Swieten (1733–1803) an, der Präfekt der kaiserlichen Hofbibliothek. Er war ein Freund Haydns und Förderer Mozarts und Beethovens. Der Anhänger der „alten Musik“ Bachs und Händels liebte Oratorien. So ist es kein Zufall, dass er die Libretti von Haydns Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ schrieb. Über van Swieten stieß Graf Saurau auf Haydn. In ihm hatte der Graf den richtigen Mann gefunden.
Der Komponist war bei seinen beiden Aufenthalten in England immer tief beeindruckt von dem Ritual rund um das „God save the gracious king". Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass er die britische Königshymne im zweiten Satz seiner Sinfonie Nr. 98 in B-Dur anklingen lässt.
Die emotionale Beziehung Haydns zu seiner Hymne wird in einem Bericht August Wilhelm Ifflands (1759–1814), des Berliner Generaldirektors der Königlichen Schauspiele, deutlich, der den Komponisten im September 1808 in dessen Haus Obere Windmühle, Kleine Steingasse 73 (heute Museum „Haydnhaus“ in der Haydngasse 6) besuchte: „Er stand auf, reichte dem Bedienten den Arm. Wir geleiteten ihn alle drei in unseren Armen zum Pianoforte. – Er setzte sich daran nieder und sagte: ‚Das Lied heißt, Gott erhalte Franz den Kaiser!‘– er spielte hierauf die Melodie ganz durch und zwar mit unerklärbarem Ausdruck, mit innigen Halten– welche sein schimmerndes Auge ausfüllte. – Nach Endigung des Liedes blieb er noch eine Weile vor dem Instrument stehen, legte beide Hände darauf und sagte mit dem Ton eines ehrwürdigen Patriarchen: ,Ich spiele dieses Lied an jedem Morgen und oft habe ich Trost und Erhebung daraus genommen in den Tagen der Unruhe.– Ich kann auch nicht anders, ich muß es alle Tage einmal spielen.– Mir ist herzlich wohl, wenn ich es spiele und auch noch eine Weile nachher.‘“ Die Urfassung der Komposition bewahrt die Österreichische Nationalbibliothek in Wien auf.
Der Text der Kaiser-Hymne, nach der Auflösung des Alten Reiches durch Napoleon, nun eine rein österreichische, wurde mehrmals geändert, doch die Eingangszeile „Gott erhalte“ blieb bis zum Untergang der Habsburger Monarchie bestehen.
Von 1929 bis zur „Heimholung“ 1938 durch Hitler hatten die Österreicher zu Haydns Musik die Hymne „Sei gesegnet ohne Ende“ von dem aus der Steiermark stammenden katholischen Pfarrer und Dichter Ottokar Kernstock (1848-1928) gesungen. Unter Hitler waren – in Marschtempo gesetzt – „Deutschland, Deutschland über alles“ mit der Haydn-Melodie und das Horst-Wessel-Lied an der Reihe.
Und Österreich?
Nach 1945 lehnten Österreichs maßgebende Politiker bei der Suche eines Textes für eine neue Nationalhymne die Melodie der Haydnschen Kaiserhymne nachdrücklich ab. Sie wollten aller Welt signalisieren, während der NS-Herrschaft ein Volk von Opfern, nicht von Tätern gewesen zu sein. Der damalige Unterrichtsminister Felix Hurdes (1901-1974) argumentierte, diese Melodie wäre den Völkern, die von den Nazis unterdrückt worden waren, nicht weiterhin zuzumuten. Das sieht Österreichs derzeit amtierender Bundespräsident Heinz Fischer völlig anders. Am 10.April 2006 sagte der sozialdemokratische Politiker in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“: „In der Unabhängigkeitserklärung wird zum Beispiel der von Hitler angezettelte Krieg als einer bezeichnet, der von keinem Österreicher jemals gewollt oder vorauszusehen war. Und das ist nicht richtig.“
Solange die Österreicher unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg keine offizielle Hymne hatten, erfreuten sie sich an ihrer heimlichen, dem Donau-Walzer. Der lieferte bereits am 29. April 1945 die Begleitmusik zur Übergabe des beschlagnahmten Parlamentsgebäudes durch die Sowjets an den neuen österreichischen Regierungschef Renner. Während die rot-weiß-rote Flagge auf der Parlamentsrampe am Mast hochkletterte, spielte eine sowjetische Militärkapelle den berühmten Strauß-Walzer. Wien bleibt Wien: Man salutierte nicht, man tanzte. Bert Brecht hätte sich mit seinem Satz bestätigt gefühlt: „Man muss die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen zwingen, indem man ihnen ihre eigene Musik vorspielt.“ An diesem Tag lieferten sich Sowjets und Deutsche in der Reichshauptstadt Berlin immer noch erbittert geführte Kämpfe, im „Führer-Bunker“ heiratete der ehemalige Österreicher Adolf Hitler Eva Braun.
Mit Hilfe eines Preisausschreibens suchte Unterrichtsminister Hurdes 1946 eine neue Staatshymne, wobei er den Dichtern und Schriftstellern die Melodie vorgab. Statt für Haydn hatte er sich für Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) entschieden. Hurdes wählte die Melodie des Freimaurerliedes „Brüder reicht die Hand zum Bunde“ aus. Dumm gelaufen: Inzwischen weiß man, dass nicht das Musikgenie, sondern einer seiner Logenbrüder, der „Claviermeister“ Johann Holzer der Komponist des Liedes ist. Der Name Holzers steht in keinem Musiklexikon.
Als Siegerin des Wettbewerbs ging die Schriftstellerin Paula von Preradovic (1887-1951) hervor, die Mutter der späteren Verleger Otto und Fritz Molden. In ihrer Liebeserklärung an Österreich sprach sie vom „Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome, Land der Hämmer, zukunftsreich!“
Was ist mit Beethovens Neunter?
Ein Großer aus der Welt der Musik muss beim Sport seit mehr als vier Jahrzehnten im Abseits bleiben: Ludwig van Beethoven. Seine „Ode an die Freude“, eigentlich eine Welthymne, bleibt in den Wettkampfstätten ungehört. Obwohl deren Melodie die Europa-Hymne bildet, kam noch kein Funktionär der europäischen Sportverbände auf die Idee, zu Beginn oder am Ende von Wettkämpfen auf dieser Ebene die Ode erklingen zu lassen. 1972 hatte Herbert von Karajan, der Chefdirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters, im Auftrag des Europa–Rats Arrangements für eine Solopiano-Version sowie je eine Orchester-Fassung für Blas- und für Sinfonieorchester geschaffen.
Händel gehört die Champions-League
Immerhin: Der Europäische Fußballverband (UEFA) hat sich eine Hymne frei nach Georg Friedrich Händels (1685–1756) „Zadok The Priest“ aus den Coronation Anthems zugelegt. Zu Beginn von Champions League-Spiel dröhnt sie in einer Aufnahme mit dem Royal Philharmonic Orchestra und dem Chor der Academy of St. Martin in the Fields in den drei offiziellen UEFA-Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch durch die Arenen: „ Ce sont les meilleures équipes, Sie sind die allerbesten Mannschaften, The main event, Die Meister, Die Besten, Les grandes équipes, The champions.“
1956 Beethovens Ode als gesamtdeutsche Hymne
Fast vergessen ist, dass Schillers und Beethovens „Ode an die Freude“ nach der Bildung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 bei den Olympischen Spielen bis 1968 als gesamtdeutsche Ersatzhymne herhalten musste. 1951 hatten die Bundesrepublik und DDR beim IOC beantragt, ihre Nationalen Olympischen Komitees (NOK) anzuerkennen. Bonn wurde aufgenommen, Ost-Berlin fiel durch, und Ulbrichts Olympia-Athleten traten aus staatlich verordneten Trotz 1952 in Helsinki nicht an. Erst von 1956 an gab es eine gesamtdeutsche Mannschaft. Da die Bundesdeutschen die DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ ablehnten und umgekehrt die DDR von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ nichts wissen wollte, entschied man sich für „Freude schöner Götterfunken“, allerdings fiel dieser Text unter den Tisch. Hatte sich ein Deutscher aus der DDR oder der alten Bundesrepublik eine Goldmedaille erkämpft, erklang immer diese getragene Weise. Gleichzeitig stieg am Mast eine deutsche „Kompromiss-Fahne“ hoch: Schwarz-Rot-Gold mit aufgenähten weißen olympischen Ringen. Im Westen wollte man nämlich die DDR-Flagge mit Hammer und Zirkel auf Schwarz-Rot-Gold („Spalter–Flagge“) nicht sehen.
Britische Hymne
Die bereits erwähnte britische Hymne gehört neben der niederländischen und der japanischen zu den ältesten und mit der „Marseillaise“ der Franzosen zu den berühmtesten staatlichen Vokalstücken. Nachweislich erklang das Lied schon 1745 in London. Der Anlass war offenbar, dass nach der Niederschlagung eines schottischen Adelsaufstandes gegen König Georg II. (1683-1760), der in Personalunion auch Kurfürst von Hannover war, die Weise als Segensgebet angestimmt wurde. Das Lied ist also wesentlich älter. Autor und Komponist der Hymne sind unbekannt. Hin und wieder taucht als Komponist der Name Henry Careys auf. Doch der hatte das Lied nicht komponiert, auch wenn sein Sohn dies immer behauptete, um eine fette Pension herauszuschlagen zu können. Doch daraus wurde nichts.
Die englische Melodie als Export-Schlager
Daneben benutzten viele andere Staaten und Staatsoberhäupter diese Melodie für den Lobgesang auf sich. Die Schweizer taten dies bis 1961, die Isländer bis 1983, und die Liechtensteiner tun dies bis heute. Bis 1918 war die Melodie auch in zahlreichen deutschen Fürstentümern, wie zum Beispiel in Mecklenburg-Schwerin, Baden oder Sachsen als Fürsten- oder Königshuldigung zu hören. Der Komponist Carl Maria von Weber (1786-1826) ehrte 1818 seinen König Friedrich August I. von Sachsen (1750/1768- 1827) mit einer „Jubel-Ouvertüre“, deren Schlußteil mächtig und majestätisch in die Melodie der englischen Hymne übergeht.
Schon davor hatte sie Eingang in klassische Werke gefunden. Johann Christian Bach (1735-1782), der so genannte „Londoner Bach“ und jüngste Sohn des Leipziger Thomaskantors, verwandte sie im Finale seines letzten Konzerts seiner „Six Concerts pour le Clavecin“, die er der aus Mecklenburg-Strelitz stammenden Königin Sophie Charlotte widmete. In Ludwig van Beethovens Tongemälde „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“ (op. 91) übernimmt die Königshymne die Erkennungsmelodie für die britischen Truppen und die „Marseillaise“ die für die französischen. Franz Liszt (1811-1886) komponierte über die Hymne eine Fantasie und Max Reger (1873-1916) Variationen und Fuge.
Die Niederländer mit altem Ton
Das Lied der Niederländer gehört zu den Seniorinnen der Nationalhymnen. Den Text hatte der Edelmann Philip van Marnix im Jahr 1568 geschrieben. Er lobt darin die Gottergebenheit des calvinistischen Wilhelmus von Oranien (1533-1584) und schildert seinen Kampf als Anführer des niederländischen Aufstandes gegen den katholischen König Philipp II. (1527/1556-1598) von Spanien. „Das Wilhelmus“, so der landläufige Namen der Hymne, hat 15 achtzeilige Verse. Im Stil der Zeit griff der Dichter auf die Form des Akrostichons zurück: Das heißt, die jeweils ersten Buchstaben der 15 Verse bilden den Namen „Willem van Nassuv“. Ihre Melodie geht vermutlich auf ein französisches Volkslied zurück. Der niederländische Komponist Adriaan Valerius (1575–1625) hat die Melodie nur bearbeitet, ist nicht ihr Schöpfer. In Deutschland zog man Valerius‘ Verfeinerung auch für das Lied „Wenn alle untreu werden“ nach dem Text des Freiheitsdichters Max von Schenkendorf (1783-1817) heran.
Während seines Aufenthalts in den Niederlanden schrieb der zehnjährige Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) 1766 sieben Variationen für Klavier über die Hymne (KV 25). Zusätzlich komponierte er für die so genannte Installation des Prinzen Wilhelm V. am 11. März desselben Jahres ein Quodlibet mit dem Titel „Galimathias musicum“ (KV 32), dessen Schlussfuge ebenfalls das „Wilhelmus“ als Thema verwendet. Das Lied wurde erst am 10. Mai 1932 zur niederländischen Nationalhymne bestimmt. Bis zu dieser Zeit war „Wien Neerlandsch Bloed“ („Wes niederländisch Blut") der offizielle Staatsgesang.
Marseillaise
In der Nacht auf den 26. April 1792 schmettert der Straßburger Bürgermeister Friedrich Baron von Dietrich bei einer Feier im Salon seines Palais‘ an der Place Broglie aus voller Brust ein blutrünstiges Soldatenlied, das bei seinen Gästen riesigen Beifall auslöst. Der Baron trug das von dem anwesenden Pionier- Hauptmann Claude-Joseph Rouget de Lisle (1760-1836) komponierte und gedichtete „Kriegslied für die Rheinarmee“ vor. In der ersten Strophe heißt es: „Marchons, marchons! Qu´un sang impur abreuve nos sillons!– Marschieren wir, marschieren wir! Das unreine Blut tränke unsere Äcker!“ Am 30. Juli 1792 sangen Soldaten eines Bataillons aus Marseille auf ihrem Marsch durch Paris zur Front de Lisles Lied. Die Pariser waren begeistert. Seitdem trägt es den Namen „Marseillaise“.
Pikant: Lisle hatte sein Marschlied einem Deutschen gewidmet, dem aus dem oberpfälzischen Cham stammenden Nikolaus Graf Luckner (1722-1794). Der Haudegen und Abenteurer stand schon seit vielen Jahren in französischen Diensten und war sogar zum Marschall der Armee aufgestiegen. Er war jetzt Oberbefehlshaber der Rheinarmee im Krieg gegen die Koalition jenseits des Rheins. Sein Leben endete aber nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf der Guillotine, weil die Jakobiner ihm nicht über den Weg trauten. Viele Hinrichtungen während der Revolution fanden unter den Klängen der „Marseillaise“ statt, vermutlich auch die Luckners. Der geköpfte Marschall war der Urgroßvater des legendären „Seeteufels“ Felix Graf von Luckner (1881-1966).
Napoleon konnte die mitreißende Melodie nicht ausstehen, deshalb wurde sie in seiner Zeit als Herrscher kaum gespielt. Nach der Entmachtung des Korsen kamen die alten Kräfte wieder an die Macht, die das Werk sofort verdammten und verbannten. Die „Marseillaise“ erklang erst wieder in der Juli-Revolution von 1830. Ihre Wiedergeburt erlebte sie aber erst im September 1870 nach Ausrufung der Republik.
Die Marseillaise fand Eingang in viele Werke der Musik. Bei Robert Schumann (1810-1856) taucht sie mehrfach auf. 1839 komponierte er in Wien den „Faschingsschwank aus Wien“ op. 26. In den ersten Satz (Allegro) schmuggelte er Bruchstücke der „Marseillaise“ im Dreivierteltakt ein – eine Provokation der kaiserlichen Zensurbehörde, denn das Lied war verboten. Die erste öffentliche Aufführung fand aber erst 1860, also nach Schumanns Tod, statt: Seine Frau Clara stellte den „Faschingsschwank“ dem Wiener Publikum vor und machte nicht zuletzt damit Schumanns Musik an der Donau heimisch. Bis heute gehört das brillante Werk zu Recht zum Standard-Klavierrepertoire. In Schumanns selten gespielter Ouvertüre zu „Hermann und Dorothea“ findet sich die „Marseillaise“ genauso wie in der von ihm vertonten Ballade „Die beiden Grenadiere“ nach einem Text von Heinrich Heine (1797-1856). Peter Tschaikowsky (1840-1893) verarbeitete die Hymne in seiner zur Einweihung der Moskauer Erlöserkirche im Jahr 1878 komponierten „Ouverture 1812“ (op. 49), die das Kampfgeschehen zwischen Russen und Franzosen an der Beresina thematisiert. Die französischen Truppen sind durch die „Marseillaise“ charakterisiert, die russischen durch die Zarenhymne. Verwendung findet die Marseillaise auch bei Franz Liszt in der Sinfonischen Dichtung „Héroïde funèbre“. Er widmete ihr sogar eine eigene Klavierkomposition, „La Marseillaise“. Und nicht zu vergessen: Die Beatles setzten an den Anfgang ihres „Yellow Submarin“ die ersten Takte der französischen Nationalhymne.
Verdis „Hymne der Nationen“
Giuseppe Verdi, Anhänger der italienischen Freiheitsbewegung, komponierte eine Kantate mit dem Titel „Hymne der Nationen“, die er mit Zitaten aus den Nationalhymnen Großbritanniens, Frankreichs und seines Landes musikalisch illustrierte. Das Werk mit Anklängen an die später entstandene „Aida“ schuf er aus Anlass der Londoner Weltausstellung von 1862. Die wohl denkwürdigste Aufführung erlebte die Kantate während des Zweiten Weltkriegs: Im amerikanischen Exil dirigierte sie Arturo Toscanini, der in einer eigenen Instrumentierung die Hymnen der Vereinigten Staaten und die „Internationale“, damals noch Hymne der Sowjetunion, hinzufügte. Dadurch bezog er die Hauptakteure im Kampf gegen Hitler und Mussolini ein.
Die Hymne des Kirchenstaats
Es gibt nur noch einen Staat mit einer Hymne aus der Feder eines großen Komponisten: den Kirchenstaat. Kein Geringerer als Charles Gounod (1818-1893) komponierte 1869 aus Anlass des 50-jährigen Priesterjubiläums von Papst Pius IX. den „Päpstlichen Marsch“, der aber erst während des Heiligen Jahres 1950 von Papst Pius XII. zur Hymne erkoren wurde. Doch der Vatikan ist bekanntlich bei der Fußball- Weltmeisterschaft nicht vertreten. Eigentlich schade: Dem Weltfußball fehlt nämlich noch ein Trainer wie Don Camillo.