„Wir wollen heute Abend versuchen, diese Oper unter den ursprünglichen Bedingungen wiederaufzuführen … Wir haben alles versucht, um den Originalklang wiederherzustellen. Sie werden erstaunt sein, wie leise er ist, und wie unemotionell, wie unbeweglich er bleibt.“ Paul Hindemiths kleine Vorrede zur Wiener Orfeo-Wiedererweckung von 1954 gibt schon einen ersten Eindruck von seinem interpretatorischen Ansatz, der in der Aufführung dann aber erfreulicherweise weniger akademisch klang.
Das liegt nicht so sehr am Instrumentalensemble, das vor allem in den Continuo-Passagen etwas steif agiert, als an Chor und Sängern. Diese genügen zwar kaum heutigen Vorstellungen von stilsicherem Gesang, agieren aber vielfach mit einer Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit des Ausdrucks, die auch gut 50 Jahre später noch unmittelbar berühren.
Vor allem Gino Sinimberghi in der Titelrolle gelingen Passagen von zeitloser Intensität, und dass er mit den Koloraturen in „Possente spirto“ zu kämpfen hat, schlägt beinahe in eine höhere theatrale Qualität um.
Hindemiths Pionierleistung bestand in dem Versuch, das Werk – im Gegensatz zu den Bearbeitern vor ihm (u.a. Carl Orff und Ottorino Respighi) – weitgehend nach den Originalquellen aufzuführen. Als „Versuch einer Rekonstruktion der ersten Aufführung“, hat er dies selbst bezeichnet. Einige Instrumente, etwa das (leider nicht sonderlich attraktiv klingende) Regal, wurden für das mitgeschnittene Konzert eigens als Kopien alter Exemplare angefertigt.
Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung Hindemiths mit dem „Orfeo“, die auf das Jahr 1943 zurückgeht und die er mit weiteren Aufführungen bis in die frühen 1960er-Jahre hinein fortsetzte, wird freilich erst so richtig deutlich, wenn man sich klar macht, wer da 1954 als Cellist mit im Ensemble der Wiener Symphoniker saß: Nikolaus Harnoncourt. „Diese Aufführung hatte bei mir die Wirkung eines Blitzschlages“ hat er später gesagt. Die Folgen sind bekannt…