Als Sommerhit kommt „Wähl die AfD“ ein bisschen spät, ein Wahlkampfhit ist das Lied aber schon nach ein paar Stunden. Jennifer Rostock trifft einen Nerv. Politik und Pop Hand in Hand, das ist nicht neu – aber die Band macht etwas Entscheidendes anders.
Zwei Musiker, sanfte Klavierakkorde, Melodie mit Ohrwurm-Anspruch. „Willst du ne Steuerpolitik, die nur dem Großverdiener nützt? Dann wähl die AfD“, säuselt Jennifer Weist, Keyboarder Johannes Walter-Müller echot: „Dann wääähl die AfD.“ Die Band Jennifer Rostock hat vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern einen echten Hit gelandet: Millionen Klicks, ganz viel Lob – und auch Beschimpfungen.
Ob das bei den 23 Prozent, die der jüngsten Umfrage zufolge am Sonntag im Nordosten die Rechtspopulisten wählen wollen, etwas bewirkt? Das wird so genau kaum feststellbar sein. Jennifer Rostock hätten sich die Mühe gemacht, das Parteiprogramm zu lesen, und die wichtigsten Aspekte über einen Popsong einfach zugänglich gemacht, sagt Marcus Kleiner, Experte für Populäre Medienkulturen.
Damit hätten Wähler tatsächlich die Chance, sich ein Bild zu machen. „Das ist selten – meistens werden die einen bestätigt und die anderen interessiert es nicht.“ Ob der Text das Wahlprogramm korrekt wiedergibt, ist allerdings umstritten. Die Junge Alternative, die AfD-Jugendorganisation, ist jedenfalls anderer Meinung.
Politik und Pop passen gut zusammen – und das schon lange. Da sind die Lieder der Friedensbewegung und politische Musiker wie Konstantin Wecker oder Ton Steine Scherben. Es sei kein Zufall, dass den meisten Leuten zuerst linke Künstler einfielen. „Die links-intellektuelle Popmusik ist stärker medialisiert“, sagt Pop-Experte Kleiner, der Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin ist. „Die rechte Popmusik wird stärker stigmatisiert, aber weniger differenziert analysiert.“
In den Medien landet rechte Musik etwa, wenn die NPD auf Schulhöfen CDs verteilt. Musik könne durchaus den Weg in eine bestimmte Gesinnung ebnen, sagt Pop-Experte Kleiner. „Wenn die Musik stimmt, wenn die Instrumente und der Gesang stimmen, dann singt man mit – und vergisst dabei die Parolen und akzeptiert sie, ohne wirklich nachzudenken.“ Musikalisch gute Musik könne Menschen von Inhalten überzeugen, ohne sie rational überzeugen zu müssen.
Gern geht es gegen „das System“. Ton Steine Scherben zum Beispiel: „Allein machen sie dich ein“, singt Rio Reiser (1950-1996), und: „Wenn wir uns erstmal einig sind, weht, glaub ich, 'n ganz anderer Wind.“ Linke Musik, eindeutig? Die bei Neonazis beliebte Band Landser hat das Lied gecovert. Wettern gegen „die da oben“ passte ihnen auch ins Konzept.
Es muss aber nicht immer gleich Systemkritik sein. Anna Loos von Silly kritisiert die AfD und engagiert sich für eine tolerante Politik. Roland Kaiser ist als SPD-Anhänger bekannt und bekam seine Goldene Henne 2014 sogar von Außenminister Frank-Walter Steinmeier persönlich verliehen. Sein Kabinetts- und Parteikollege Heiko Maas, Justizminister, handelte sich mit Twitter-Lob für Feine Sahne Fischfilet ordentlich Ärger ein. Die Punkband taucht unter anderem 2012 im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommerns auf.
Auch die CDU weiß, was in Sachen Musik alles danebengehen kann. Ein Discofox-tauglicher Schlager von Tobias de Borg für die Berliner Christdemokraten erntet gerade wohl mehr Hohn als er Kreuzchen im Wahllokal bringt: „Zeit für ein starkes Berlin“. Ins Fettnäpfchen trat die CDU auch, als sie „Tage wie diese“ von den Toten Hosen auf ihrer Feier nach der letzten Bundestagswahl spielte. Sänger Campino fand das gar nicht gut. Kanzlerin Angela Merkel selbst rief an, um sich zu entschuldigen.
Marcus Kleiner wundert das nicht: Die Großparteien verstünden sich nicht gut darauf, ihren Wahlkampf musikalisch zu unterstützen, sagt er. „Es ist meistens prätentiös bis lächerlich und nicht überzeugend.“