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Charakterisierungskunst: Patricia Petibon. Foto: Deutsche Grammophon
Charakterisierungskunst: Patricia Petibon. Foto: Deutsche Grammophon
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Mut zur Groteske: ein inszenierter Liederabend mit Patricia Petibon in Salzburg

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„Die tanzt da beim Liederabend auf der Bühne herum, wo gibt es denn so was?!“, ereiferten sich einige Besucher in der Pause. Bei den Salzburger Festspielen ein Novum, sind inszenierte Liederabende andernorts nichts Neues, auch wenn sie in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zunächst auf ähnliches Unverständnis stießen; so übertitelte damals etwa ein Bayreuther Kritiker seine Rezension mit „Liederabend für Gehörlose“.

Markus Hinterhäuser, fürs Konzertprogramm der Salzburger Festspiele verantwortlich, setzt in seiner Auswahl gerne auf Ungewöhnliches, beispielsweise mit „The Sound of Silence“, einem „Konzert von Simon and Garfunkel 1968 in Riga, das nie stattgefunden hat“.

Liederabende haben seit einigen Dezennien an Zugkraft verloren. Nur die Recitals der Superstars sind ausverkauft, wie der Liederabend von Anna Netrebko, begleitet von Daniel Barenboim am 17. August. Ebenfalls im „Haus für Mozart“, der kleineren der drei Bühnen der Salzburger Festspiele, sorgte die in der „Così fan tutte“-Neuinszenierung als Despina – in Jeans und mit iPod – gefeierte Sopranistin Patricia Petibon mit ihrem szenischen Liederabend für ungewöhnliche Akzente. Schon die Auswahl der Lieder – von Copland, Hahn, Satie, Rosenthal, Aboulker und Bacri – ist ungewöhnlich, aber mehr noch deren Interpretation durch die französische Sopranistin. Als musikalischen Akzent wirft Paricia Petibon nicht nur ihre feuerroten Locken, sondern akzentuiert auch durch Pistolenschüsse. Gerne singt sie in den Flügelcorpus hinein und reichert so ihren nuancenreichen Sopran mit den Obertönen des Steinway an, aber sie hat auch keine Probleme damit, sich unter dem Flügel durchzurollen.

Ihre Begleiterin Susan Manoff ist in die szenische Aktion des französischen Regisseurs, Schauspielers und Dramatikers Olivier Py mit eingebunden. Die in New York geborene, deutsch-lettische Pianistin klopft Akzente auf das Holz des Flügels oder kommentiert Blindgängerschüsse eigenwillig in der obersten Region der Tastatur. Für Aaron Copland trägt sie einen Indianer-Federputz, und analog den in Manuel Rosenthals „Fido, Fido“ angesungenen Hunden, leistet sie sich einen gebellten Dialog mit der Sopranistin und schnaubt in „Le vieux chameau du zoo“ wie ein Kamel. Aber Susan Manoff ist vor allem eine einfühlsame Begleiterin, mit sehr weichem Anschlag. Auch in den Solostücken – zwei Preludes von Gershwin und Saties 3ème Gymnopèdie – bleibt sie dezent.

Patricia Petibon ihrerseits setzt zusätzlich Schlagwerk und Blasinstrumente ein. Hatte sie bereits Gershwins Swing als dem Publikum abgewandtes, weil powackelndes Cowgirl charakterisiert, so wird sie im zweiten Teil des gut zweistündigen Abends noch freier und frecher. Den Dialog eines fragenden Kindes in Saties „Daphénéo“ charakterisiert sie nicht nur stimmlich, sondern auch durch eine schwarze Clownsnase. Selbst wenn ihr mal ein Spitzenton nicht so ganz gelingt, macht sie dies durch ihre Charakterisierungskunst, durch faszinierende Schwelltöne, glühende Piani und durch lachende Koloraturen wieder wett. Gegen Ende des Abends – mit immer häufigerem Zwischenapplaus – hat sie ihr Publikum auch in der neuen Form gewonnen: beim Liebesrausch von Isabele Aboulkers „Je t’aime“ verlässt sie die Bühne und fällt über männliche Besucher in der ersten und zweiten Reihe her.

Olivier Pys szenische Gestaltung integriert eine Kostümshow in Weiß, Bleu, Schwarz und Rosé. Auf der rechten Seite der unterschiedlich farbig ausgeleuchteten Spielfläche (Bühne: Pierre-Andrè Weitz) erhebt sich ein sonnenblumiges, glühlampenumranktes Showpodest. Nur der Verzicht auf Übertitel macht deutlich, dass wir es hier (noch) nicht mit einem musiktheatralen Pasticcio, sondern mit einem inszenierten Liederabend zu tun haben. Der findet allerdings noch seine Fortsetzung im Foyer, wo Patricia Petibon ihre vom Label Deutsche Grammophon herausgegebene CD „Amoureuses“ signiert. Jene „Amoureuses“, mit Arien von Mozart, Haydn und Gluck, sind repertoiremäßig weniger ungewöhnlich, aber vom Concerto Köln unter Daniel Harding begleitet, vermitteln sie gleichwohl das Esprit dieser ungewöhnlichen Künstlerin (DG CD 00289 477 7468).

 

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