Im Rahmen des derzeitigen Schwerpunktfestivals „All' Ongarese“ im Berliner Konzerthaus darf auch die Oper nicht fehlen. Kay Kuntze, zwischenzeitlich zum General-Intendanten von Gera/Altenburg avanciert, inszenierte als Koproduktion mir der langjährig von ihm geleiteten Berliner Kammeroper zwei kurze Musiktheaterbeiträge von Peter Eötvös aus den Siebzigerjahren unter dem Titel „Die letzte Oper“.
Mehr als zwanzig Jahre vor „Tri Sestri“ und dreißig Jahre vor „Love and other Demons“ hatte der 1944 geborene Komponist der Gattung Oper durch seine Infragestellung ihrer Betriebsstruktur einen sarkastischen Abgesang gewidmet. Den zusehends ökonomischen Druck, unter den die Opernhäuser in den 1970ern gerieten, spitzte Peter Eötvös anhand der Schlussszene der „Aida“ zu: es gibt nur noch einen Darsteller, der Aida und Radames gleichzeitig verkörpern muss und auch nur noch vier Instrumentalisten, aber drei Regisseure.
Ein Filmregisseur (der Bassist Nicholas Isherwood) filmt den von der Maske aufwändig in zwei Gesichts- und Körperhälften männlich-weiblich aufgespaltenen Counter (Tim Severloh); dem ängstlich gehorchenden, von den Anweisungen überforderten Darsteller gibt er seine Anweisungen in englischer Sprache, basierend auf Texten von Manfred Niehaus. Ein Theaterregisseur (der Tenor David Schröder) ist zunächst mehr ein Schreibtischtäter, sprich: Dramaturg, mit Texten von András Jeles und László Najmanyi, doch dann greift er auch körperlich in die Regieführung ein. Besonders witzig ist die Partie der Opernregisseurin, die in ihrer Kette von Libido, Selbstbefriedigung und Missbrauch des Darstellers als Lustobjekt fast ausschließlich musikalische Vortragsbezeichnungen aus Verdis „Aida“ exklamiert und stöhnt (Sopranistin Annette Schönmüller). Der Doppel-Darsteller hat de facto aber nicht nur mit den widerstreitenden Anweisungen der drei Regisseure im Spiel zu kämpfen, sondern muss obendrein auch noch einem vierten Regisseur folgen – eben jenem des gesamten Opernabends.
Als Dirigent am E-Piano mischt Philip Mayers mit, der seine Musiker – Philipp Krüger (Tuba), Christian Raake (Sopransaxophon) und Anton Richter (Horn) – auch mit Getränken zu versorgen hat. Am Ende der Opernprobe kippt die Pyramide nach vorne und begräbt alle Beteiligten unter sich. Peter Eötvös begreift seine Kammeroper „Radames“, die ihm in dramaturgischer Hinsicht witziger geraten ist als im Einsatz ihrer karikierend minimalistischen musikalischen Mittel, als ein Plädoyer für die Kunstform des Musiktheaters: „Mein ganzes Leben ist eigentlich eine einzige Liebe zum Theater!"
So geistern denn in der Berliner Aufführung die Stimmen der Erschlagenen nach der „Sterbeszene, in der der Darsteller stirbt und der Darsteller des Darstellers stirbt, während er das Sterben darstellt, das Sterben des Sterbens“ (Eötvös) weiter und erleben (mit Ausnahme des Counters, der ja zuvor schon zwei Rollen gespielt hat) eine Metamorphose im japanischen Selbstmordritual „Harakiri“. Für diese „Szene mit Musik“ öffnet der Ausstatter Mathias Rümmler eine Kasperlebühne mit der Fotokulisse einer Winterlandschaft. Was der Künstler Yukio Mishima in der Samurai-Tradion im Jahre 1970 für die Öffentlichkeit inszeniert hatte, das wandelte der ungarische Dichter István Bálint in eine Clownsszene um: das Leben als eine Erbse unter sieben Matratzen.
Da dieser Topos dem bekannten Märchen von der Prinzessin auf der Erbse nachgebildet ist, lässt Regisseur Kuntze die Sopranistin hier als Japanerin agieren, welche – mit Bezug zur Prinzessin Salome – sieben Kleidungsstücke ablegt, während der Tenor im Pyjama die Clownstexte („die fünfte Matratze – der Gewerkschaft“) zum Besten gibt. Der Bassist aber wird zu einem Holzhacker, der einen Holzscheit rhythmisch in immer kleinere Teile aufzuspalten hat, wobei sich die Tonhöhe der beiden flötenartigen, häufig überblasenen Shakuhachis (nun als Clowns gewandet: die Instrumentalisten Dietmar Herriger und Christian Raake) jeweils um eine Oktave erhöht und schließlich in Obertönen versiegt.
Durch die derzeitige, nationalistische Einflussnahme auf den Spielplan der Theater in Ungarn hat die Koppelung dieser beiden frühen Kurzopern von Peter Eötvös eine zusätzliche Brisanz. Nicht allein durch die Überarbeitungen des Komponisten in den Jahren 1997 und 2002 sind seine frühen Opern avantgardistisch geblieben.
Das Premierenpublikum akzeptierte die vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Koproduktion der Berliner Kammeroper mit dem Konzerthaus Berlin und dankte allen Beteiligten mit herzlichem Applaus.
Weitere Aufführungen: 4., 6., 7., 8. Februar 2012.