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Rekonstruktion einer Pioniertat: Der Rosenkavalier-Stummfilm von 1926. Foto: Filmarchiv Austria
Rekonstruktion einer Pioniertat: Der Rosenkavalier-Stummfilm von 1926. Foto: Filmarchiv Austria
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Rückkehr eines Klassikers – Berliner Erstaufführung des „Rosenkavalier“-Stummfilms

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Nun feierte er also auch in Berlin neue Urständ, der im Jahre 1926 – da es noch keinen Tonfilm gab – vom Komponisten für das Medium Stummfilm komponierte „Rosenkavalier“, und seit Tagen war das Konzerthaus am Gendarmenmarkt für dieses Ereignis ausverkauft, zu dem neben Cineasten insbesondere Opernbesucher strömten.

Schließlich war der „Rosenkavalier“-Film jahrelang ein Geheimtipp, galt er doch in seiner Gänze als unwiederbringlich verschollen. Als die komplett erhaltene Musik Anfang der Achtzigerjahre für ein Ballett (eine Kunstform, in der auch nicht gesungen, sondern nur gemimt wird) verwendet werden sollte, erhielt das Bayerische Staatsballett ein Veto von den Strauss-Erben. Um so mehr bejubelt wurde im September vergangenen Jahres die Wiederaufführung des Filmes an der Dresdener Semper-Oper, an jenem Ort also, an dem nicht nur die Oper selbst, sondern am 10. Januar 1926 , unter der musikalischen Leitung des Komponisten, auch der Film uraufgeführt worden war.

Die Wiederaufführung mit der Sächsischen Staatskapelle unter der Leitung des Filmmusik-Spezialisten Frank Strobel im September 2006 eröffnete zumindest für Dresden ein neues Kapitel der Strauss-Rezeption, zeigte es doch, wie geschwind die Tempi vom Komponisten (nicht nur für den Film!) intendiert, aber von der Bühnenpraxis zwischenzeitlich arg verschleppt worden waren, was zu einer zusätzlichen Versüßlichung dieser Musik beigetragen hat. Dass es sich bei der Tempo-Wahl nicht um ein technisches Problem, etwa für das Musiktempo der zu schnell laufenden Bilder des Films handeln konnte, beweisen die Metronom-Angaben des Komponisten und ein von Strauss auf Schallpatte eingespieltes Fragment der Filmmusik in London. Gleichwohl soll es bei der Uraufführung in Dresden zu deutlichen Diskrepanzen zwischen Musikfluss und Filmablauf gekommen sein, so dass mehrfach unterbrochen werden und die Musik in einem zweiten Vorgang dem Film besser angepasst werden musste.

Diskrepanzen zwischen Bild und Musik gibt es jedoch noch heute, so dass man Bernd Thewes bei der Musikeinrichtung für den rekonstruierten Film eine freiere Hand gewünscht hätte. Dirigent Frank Strobel allerdings, der wohl beste Synchrondirigent historischer Filme, der sich sinfonisch sehr erfolgreich für Alfred Schnittke und musikdramatisch für die Bühnenwerke Siegfried Wagners einsetzt, überzeugt mit seiner Synchroneinrichtung. Nach der Dresdener Staatskapelle und den Wiener Symphonikern hat er die Filmpartitur nun mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin einstudiert: eine Verdichtung der Oper ohne Stimmen zum symphonischen Kolossalgemälde, mit großem Bogen und mit dramatischem Impetus.

Bildlich und kompositorisch bietet der Film zahlreiche neue Szenen gegenüber der Bühnenfassung, die den Stummfilm geradezu als Strauss’ Fassung letzter Hand des „Rosenkavalier“ erscheinen lassen. Da bricht mit der Person des Feldmarschalls (Paul Hartmann) und seinen militärischen Unternehmungen so viel Marialik in den Wohlklang ein, wie auch die für dieses Sujet oft vermisste Rokokomusik (frei nach Couperin) in den hinzu erfundenen vierten Akt, Tanzszenen beim Maskenfest im Garten der Feldmarschallin (Huguette Duflos). Deren etwas seltsam anmutendes Auftauchen im Beisel des dritten Opern-Aktes wird durch deren Gewohnheit, Orte fragwürdiger Lustbarkeit aufzusuchen, in der Filmhandlung durchaus motiviert.

Auch eine frühere Begegnung zwischen Oktavian (hier mit Jacques Catelain männlich besetzt) und Sophie (Elly Felice Berger) erscheint dramaturgisch hilfreich. Einzig die Figur des Faninal (Kal Forest) ist heftig überzeichnet als ein wetterwendisch trotteliger Weichling; möglicherweise ist in diese Interpretation des Finanziers auch symptomatisch für den Mitte der zwanziger Jahre verstärkt auftretenden Antisemitismus. Am Ende der Filmhandlung gibt es drei sich wieder findende Liebespaare, Sophie und Oktavian, die Marschallin und den von einer Sittenkommission zu Eifersucht und Kriegslust angestachelten Feldmarschall, sowie das unterschiedliche Wege beschreitende und sich im Eros wieder findende Intrigantenpaar Annina (Carmen Cartellieri) und Valzacchi (Friedrich Féher).

Auch die Entwicklung des Ochs auf Lerchenau, den der Filmbetrachter zunächst in seinem heruntergekommenen Landgut, zuhause im Bett erlebt, wird in der Filmhandlung deutlicher. Als einzige Rolle ist er mit einem Opernsänger besetzt, mit Michael Bohnen, dem Darsteller der Opern-Uraufführung. Und in dessen subtilem Witz fließt auch einiges von der Regiekunst Max Reinhardts, der bei der Uraufführung quasi inkognito, aus der zweiten Reihe, inszeniert hatte, mit ein. Hugo von Hofmannsthal zeichnete auch für das Film-Drehbuch mit ergänzter Vorgeschichte und kompliziertere Lösung des dramatischen Knotens verantwortlich, und Bühnenbildner Alfred Roller für die Dekorationen des Films, den Regisseur Robert Wiene mit großem Aufwand in Szene gesetzt hat.

Ein Aufschrecken und enttäuschtes Raunen ging durch den Saal des Konzerthauses, als ein Zwischentitel der Leinwand das Fehlen des Abschlussaktes des überlieferten Stummfilms anzeigte. Aber nach kurzem Einschnitt führte Strobel die Film-Partitur doch zu einem in sich verknappten Ende, wozu erhaltene kurze Sequenzen des fehlenden Schlussakts (aus dem seinerzeitigen Werbetrailer stammend), Standfotos der fehlenden Szenen und erklärende Texte projiziert wurden. Hier hätte man den Rekontrukteuren durchaus mehr Mut zu Zooms, Teilausschnitten, verlangsamten Erinnerungssequenzen etc. gewünscht, da es sich hierbei ohnehin nicht um Rekonstruktion, sondern um einen neuen Umgang mit historischem Material handelt; dann wäre es auch nicht nötig gewesen, die im Schlussteil ohnehin dominierende Musik zu verkürzen.

So aber brach nach nur knapp zwei pausenlosen Stunden uneingeschränkter Jubel los, der sich – mangels Sängern –ausschließlich auf den Dirigenten und das seiner Lesart bravourös folgende, wohl disponierte Rundfunk Sinfonieorchester Berlin konzentrierte.

Der 1926 mit Jugendverbot belegte, viragierte (also teilweise stimmungsfördernd eingefärbte) Film mag heutzutage für all jene Opernbesucher, die sich jegliche optische Veränderung an der zuerst erlebten und dann für einzig richtig erachteten Sichtweise verbitten, das ideale nostaligische Medium sein: ein filmisches Opernmuseum in aktueller Aufführung.

Der Rosenkavalier-Stummfilm ist mittlerweile in einer vorzüglichen Edition des Filmarchivs Austria samt ausführlichem Begleitbuch erschienen. Eine Rezension dazu ist in der November-Ausgabe der nmz erschienen.

 

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