George Antheil, 1900 in New Jersey als Kind deutscher Einwanderer geboren, war Schüler von Ernest Bloch. Ab 1922 erregte er zunächst in Berlin, dann in Paris Aufsehen als virtuos exakter Pianist und als Komponist unter anderem mit dem Skandalerfolg seines „Ballet Mécanique“. „Bad Boy of Music“ nannte er sich und seine Autobiografie, 1945 erschienen. Bereits seit 1936 hatte er sich in Los Angeles hauptsächlich der Filmmusik zugewandt, eine Erfahrung, die auch seine beiden Operneinakter „The Brothers“ und „Venus in Africa“ aus dem Jahre 1954 prägt.
Intelligent unterlegt Antheil der Handlung Musik, die Stilmittel von Klassik bis zur Unterhaltungsmusik nutzt. Er starb 1959 in New York. In Deutschland waren die beiden Einakter von je einer Stunde Dauer noch nicht auf der Bühne zu sehen. Dem half jetzt das Theater Lübeck mit einem bemerkenswerten Konzept in seinen Kammerspielen ab (Premiere: 5. Juni). Inszenierungen von Kammeropern hatte es dort schon vereinzelt gegeben. Aber dieser Abend war ein Pilotprojekt, das eine noch engere Kooperation zwischen Musikhochschule und Theater begründet. Die besteht bereits seit etlichen Jahren durch das Opernelitestudio, segensreich für beide Institute. Wenn jetzt die Hochschule ihre häufig unter Zwängen entstandenen Inszenierungen „großer“ Opern aufgibt, stattdessen den Absolventen ermöglicht, sich am Ende des Studiums unter professionellen Bedingungen zu beweisen, bekommt die Gesangsausbildung eine neue Qualität - und der Spielplan am Theater eine neue Farbe.
Wunderbar für eine Inszenierung mit jungen Darstellern eignen sich Antheils Einakter deshalb, weil auch die Protagonisten allesamt jung sind. Die Aufgabe allerdings, sie auf den Bühnenauftritt vorzubereiten, ist nicht zu unterschätzen. Sie fiel Susanne Frey zu, einer in studentischer Betreuung erfahrenen, zugleich erfolgreichen Regisseurin. Beachtlich, was sie mit den jungen Darstellern erreichte!
The Brothers
„The Brothers“ ist ein düsteres Werk, dem das Kain- und Abel-Motiv zugrunde liegt. Der Komponist hatte sich das Libretto selbst geschrieben, sprachlich nicht ungeschickt. Formulierungen wie „Schmerz ist ein tödliches Keuchen“ oder die Äußerung der blinden Mary „Illusion, ist das nicht wie Liebe?“ bleiben im Gedächtnis. Die Handlung allerdings ist mit Problemen überfrachtet. Der Bruderzwist steht im Zentrum, wird aber durch das Motiv der familiären Bindung und das einer Dreierbeziehung erweitert. Drumherum werden noch vielfältige Fäden gespannt. So leidet Abe, der etwas glücklichere Bruder, daran, schuld an der Blindheit seiner Frau zu sein. Auch Zeitfragen nach dem Vietnamkrieg wie Kollaboration oder seelische Zerrüttung der Kriegsheimkehrer werden angerissen. All das erschwert eine glaubhafte Darstellung gerade für Anfänger.
Dennoch ist die sorgsame Regie Susanne Freys sehr geschlossen, begünstigt auch durch die Bühnengestaltung und die Kostüme. Sie besorgte Peter Sommerer mit einem sparsamen, auf schräger Ebene angeordneten Raum. Lele Sun war eine ergreifende Mary, gesanglich sehr differenziert. Den Abe sang der Tenor Jonghoon You, seinen Bruder Ken der Bariton Changhui Tan, beide erstaunlich stimmkräftig und gewandt in der psychologischen Zeichnung ihrer Charaktere. In den kleineren Partien als Ex-Soldaten agierten Du Wang und der voluminöse Bass Kong Seok Choi.
Venus in Africa
Die „Venus in Africa“ ist von völlig anderem Zuschnitt. Auch zu dieser eher flachen Story um das sich im Urlaub streitende, sich schließlich trennende Paar Yvonne und Charles hatte Antheil das Libretto verfasst. Eine „unendliche Langspielplatte“ nennt sie ihn, er rächt sich mit gefälschten Francs als Abschiedsgeschenk. Venus taucht auf, oder zumindest ein Wesen, das Charles, der sich willig verführen lässt, für göttlich hält. Die gemeinsame Nacht bringt Weisheiten hervor wie „Götter in ihrer Einsamkeit sind unsterblich“ und den Rat an ihn: „Liebe wie ein Mensch!“ Inszenierung und Ausstattung bemühen sich, alles locker und gefällig zu halten. Wie es sich für Komödiantisches anbietet, verweist Antheils Musik hier auch auf Revue, Film oder Operette und koloriert mit folkloristischen Klängen. Die Darsteller in der „Venus“ entgehen zumeist der Charge. Yvonne wurde von Birgit Lätitia Böckeler sicher und gewandt gestaltet. Den Charles sang mit durchdringend kräftigem Tenor Christian Henneberg, der einzige Gast. Als Venus hatte die eindrückliche Franziska Blaß einen großen Auftritt. In ihren Rollen als Barkeeper und betrügender Straßenhändler setzten noch einmal Kong Seok Choi und Daniel Schliewa stimmlich wie darstellerisch gekonnt Akzente.
Die 15 Musiker der Lübecker Philharmoniker, unter ihnen auch einige Studenten, leitete sicher und engagiert Thomas Dorsch, Musikdirektor in Lüneburg. War das Klangverhältnis im ersten Teil zumeist gut, trumpften die Instrumentalisten bei der „Venus“ etwas stark auf. Dennoch zeigte sich das Publikum beeindruckt und applaudierte lange.
In der nächsten Spielzeit wird die Kooperation mit Domenico Cimarosas „L’impresario in angustie“ fortgesetzt. Man darf gespannt sein.