Karl Bohrmann (1928–1998) gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit und der Generation von Joseph Beuys. Zeitlich also, als an die Seite traditioneller Kunstsparten die Aktionskunst mit Fluxus und Happening trat. Erstmals war in inszenierten Gesamtkunstwerken die Grenze zwischen den Kunstgattungen aufgehoben. Nicht ungewöhnlich daher, dass Bohrmann auf der Suche nach seiner Ausdrucksform, zwischen Bildender Kunst und Musik abwog. Zwei Kunstdisziplinen in dieser herausragenden Qualität zu beherrschen, vermochten allerdings nur wenige Künstler. Das 6. Werkstattkonzert in der Kulturwerkstatt HAUS 10 des Veranstaltungsforums Fürstenfeldbruck – Konzertreihe Neuer Musik unter der künstlerischen Leitung des Komponisten Nikolaus Brass gewährte einen Einblick in diese Doppelbegabung des Lachenmann-Schülers.
Wie schon am 1. Februar 2007 im Ernst-von-Siemens-Auditorium der Münchner Pinakothek der Moderne, sollte auch hier das graphische Werk Bohrmanns mit Klaviermusik konfrontiert werden. Der in Mannheim geborene Künstler hatte Ende der 1940er Jahre bei Willi Baumeister an der Kunstakademie in Stuttgart studiert. Von 1959 bis 1972 lebte Karl Bohrmann in München, lehrte anschließend an der Städel-Schule in Frankfurt. 1985 wurde er Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Was jedoch in seiner Vita in der Regel nicht genannt wird, ist das Kapitel des Kompositionsstudiums und des musikalischen Werkes, das leider weder erforscht noch veröffentlicht ist und sich zudem im Privatbesitz der Erben befindet. Karl Bohrmann hatte wohl Anfang der 1960er Jahre in München bei Helmut Lachenmann studiert und eine lebenslange Freundschaft mit dem Komponisten gepflegt.
Zu einer Synthese der Künste – wie etwa bei John Cage – hatte Karl Bohrmann nicht gefunden. Doch ein enger Zusammenhang seiner Kompositionen zu seinen bildnerischen Arbeiten wurde im Fürstenfeldbrucker Werkstattkonzert evident, hier in der Ausstellung grafischer Arbeiten auf Papier aus dem Nachlass-Fundus der Münchner Galerie Fred Jahn. Wie das malerische, ist auch das zeichnerische Werk Bohrmanns von Zyklen und Variationen geprägt, deren Thematik im Spannungsfeld von Figuration und Abstraktion steht. Die Inhalte und das Vokabular sind minimalistisch reduziert. Frauenakt, Seestück mit Dampfer, Landschaft oder Stillleben bestehen hier aus wenigen Linien und Flächen in Schwarz, Grau und Rottönen sowie Aussparungen. Bisweilen bediente sich Bohrmann der Collage-Technik. Der Bildaufbau ist trotz der extremen Reduktion der Mittel auf gerade noch als gegenständlich erkennbare Chiffren traditionell. Es gibt ein Oben und Unten, eine gewisse Tektonik im Aufbau, vor allem eine klare räumliche Disposition. Doch der Duktus ist überaus empfindsam, Linien emotional geführt, Grauflächen in fragilen Lasuren ausgebreitet.
Diese Systematik und Ordnung innerhalb einer abstrakten Organisation des Raumes ist ebenfalls in den Kompositionen Bohrmanns prägend. Was Bohrmann mit der Zwölftontechnik als Tonalitätsersatz, mit dem Spannungsmoment der Kontrastierung zwischen Zwang und Befreiung sowie in der Definition der Stille als tönendem Schweigen für die Musik formulierte, kann ausnahmslos auf das bildnerische Werk übertragen werden. Die Pianistin Masako Ohta, die einige der Uraufführungen Bohrmanns gespielt hatte, setzte diese Prinzipien in 3 Nocturnes von 1965 mit großer Ausdruckstiefe und nahezu meditativer Konzentration um.
Klangmalerische und narrativ-suggestive Wirkungen, emotionale Ausbrüche, Kontraste von Spannung und Sinnieren, von Zartheit und Kraft, und immer wieder Nachhall und Stille: Diese Rhetorik korrespondierte aber auch mit Werken anderer Komponisten, die Ohta zueinander in Beziehung setzte. So zur minimalistischen Komposition „Void“ aus dem Jahr 1999 von Nikolaus Brass (geb. 1949), die von rhythmischen Pattern und elementaren Kontrasten – tief und hoch, strukturiert und gleichförmig geprägt ist. Karl Bohrmann sehr nahe – zumal beide deutlich Arnold Schönberg verpflichtet – erwies sich Tōru Takemitsu (1930-1996). Die heimatliche Tradition pflegend, wirkte „Les Yeux Clos II“ von 1989 des Japaners mystisch, von impressionistischer Atmosphäre getragen, aus der konkretisierende Ausbrüche empor tauchten.
Eindrucksvolle Interpretationen bot Masako Ohta mit 12 pianistischen Stenographen aus der Sammlung „Játékok“ (Spiele / Work in progress) von György Kurtág (geb. 1926), bei dem die in München lebende japanische Pianistin einst Meisterkurse belegt hatte. Diese programmatischen Miniaturen sind geradezu der Inbegriff minimalistischer Reduktion auf die jeweilige Kernaussage. Bohrmanns Zeichnungen gleich, entblößen Kurtágs Mikroludien bisweilen in nur einer einzigen Phrase die Essenz des jeweiligen Gegenstandes – etwa „Aus der Ferne“ in bedächtiger Weite, „Stille“ durch Pausen fragmentiert oder „Liebe im Herzen, bittere Schmerzen… Hommage à Farkas Ferenc 4“ als kurze Pointe eines Sprichworts. Wenn er gewusst hätte, dass man so komponieren kann, wie Kurtág, dann hätte er den Weg des Komponisten gewählt – habe Bohrmann Masako Ohta einst gestanden, berichtete Brass. Ein Indiz mehr dafür, seine Zeichnungen als optisch ästhetische Notationen Neuer Musik aufzufassen.