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Camillo Dell'Antonio als Prälat Ignaz Seipel in „Staatsoperette – Die Austrotragödie“ in Bregenz. Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Camillo Dell'Antonio als Prälat Ignaz Seipel in „Staatsoperette – Die Austrotragödie“ in Bregenz. Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Totentanz-Groteske – Novotny-Zykans komplettierte „Staatsoperette“ bei den Bregenzer Festspielen

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Österreichs selbst gewählter Weg in den Faschismus und der Anschluss an Nazi-Deutschland – das war 1977 als „Staatsoperette“ in einer nur 65 Minuten langen Stümmelfassung der größte Skandal in der Geschichte des ORF: wochenlange hochemotionale und politisierte Medienschlacht; Verfluchung der Urheber durch einen Erzbischof; Entlassung des verantwortlichen Redakteurs; Totschweigen des Werkes bis gestern… denn die Bregenzer Festspiele unter Intendantin Elisabeth Sobotka wagten sich an die Aufführung einer komplettierten Fassung auf ihrer Werkstattbühne.

„Psychopathen am Werk“, „Machwerk an Gemeinheit“, „ORF mit Juden durchsetzt“, „Verabscheuungswürdige Beleidigung der religiösen Gefühle wehrloser Bildschirmbetrachter“ – die Zitate von 1977 ließen sich fortsetzen. In den Hintergrund geriet, dass aber letztlich die Führungs- und Funktionseliten Österreichs vom republikanischen Neuansatz 1918 bis zum diktatorischen Umbruch 1934 schon per se einem Gruselkabinett nahekommen: zuhauf reaktionärer Adel wie Fürst Starhemberg, erzkonservativer politischer Katholizismus in Person des Prälaten Seipel, der als Minister und zweimaliger Bundeskanzler Arbeiter-Verachtung, Antisemitismus und antidemokratische Grundhaltung mit dem ölig salbadernden Kanzel-Tonfall als Politik tarnte, sich in Theoretischem verlierende linke Vordenker wie Otto Bauer und jede Menge politisch-moralische Gartenzwerge bis zu Namen wie Rintelen, Pfrimer, Dollfuß oder Schuschnigg – denen nur fatalerweise Gewaltwerkzeuge wie die völkisch-nationalistischen Heimwehren zu Gebote standen.

Autor Franz Novotny sowie Ko-Autor und Komponist Otto M. Zykan fanden, dass diesem Personal nicht die ernstzunehmende Fallhöhe der Tragödie, sondern nur der Zerrspiegel der Groteske zustand – und das heißt in Österreich in Parallelität zu Chaplins „Großem Diktator“ oder Brooks „Frühling für Hitler“ eben: Operette.
Michael Mautner und Irene Suchy, die Stoff, Werktorso und Zykan schätzen, sammelten in den zurückliegenden Jahren gestrichene Drehbuchreste, Skizzen, unausgeführte Entwürfe und bislang nicht verwertete Zykan-Kompositionen. Aus all dem formten sie ein zeitgenössisches Pasticcio namens „Staatsoperette – Die Austrotragödie“, zu dem Zykan sagte: „Der optimale Eindruck wäre, wenn mein Publikum glaubt, dass die Musik gestohlen ist.“

So brachte das Wiener Amadeus-Ensemble unter seinem Leiter Walter Kobéra eine pfiffige Melange zum Klingen, die von Beethovenschen Schicksalsschlägen über „Tristan“-Phrasen, den Mahlerschen Schmerzenston und Kurt-Weill-Tonfall vielerlei Klang-Bonbons bot – und vor allem alle politischen Entsetzlichkeiten mit Walzer-Schmäh, Galopp- und Polka-Verzerrungen entlarvend über- und überzuckerte. Das gelang zutreffend grotesk auch durch die klar charakterisierenden Kostüme im mit wenigen Zutaten verwandelbaren Einheitsbühnenbild von Nikolaus Webern: einem auf dem Kopf stehenden Saal der K.u.K.-Zeit.

Um einem heute zunehmend geschichtslosen Publikum Verständnisbrücken zu bauen, haben Mautner-Suchy einen erzählenden Moderator erfunden und lassen eine „linke“ Arbeiterfrau und eine „rechte“ Gehobenes-Bürgertumsgattin zwischen den Handlungsstationen ihr jeweiliges Erleben vortragen. Beides ist textlich zu schlicht, überschneidet sich inhaltlich und wirkt statt distanzierend reflektiv à la Brecht eher nur theatralisch hölzern – da ist abermalige Bearbeitung wünschenswert. Als gelungener Kunstgriff erwies sich Idee, den Seipel-,  Dollfuß-, Mussolini- und andere Hauptfiguren jeweils sie selbst als Double in Form einer Oberkörper-Sitzpuppe beizufügen: da „saß“ die Entlarvung als „öffentliche Polit- Marionette, während der echte im Hintergrund…“ - erschreckend gesteigert noch, wenn die „erledigte“ Puppe dann entweder im goldenen Bilderrahmen oder gar am Kreuz hing.

All das servierte, angeführt von Camillo dell’Antonios „Blutprälat Seipel“, ein neunköpfiges Solistenensemble engagiert durch sechzehn Rollen wechselnd, umgeben von guten Statisten und dem durchweg mitspielenden Wiener Kammerchor. Angesichts des politisch brisant wichtigen Inhalts und teils bös bissigen Textes würden über Tina Lanners Video-Einblendungen hinaus Übertitel und durch Mikroports verbesserte Tontechnik die Wirkung steigern. Doch jetzt schon signalisierte einhelliger Beifall: unbedingt ins „Operetten-Repertoire“ aufnehmen.

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