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Christian Thielemann gab sein erstes Pressegespräch in Dresden. Foto: Matthias Creutziger
Christian Thielemann gab sein erstes Pressegespräch in Dresden. Foto: Matthias Creutziger
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Trauer- und Feststimmung - Christian Thielemann gab sein erstes Pressegespräch in Dresden

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Auffallende verbale Parallelen: Als der Dirigent Fritz Busch nach über zehn Jahren als Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatskapelle am 7. März 1933 aus dem Amt gedrängt wurde, vermerkte er in seinem Arbeitsbuch knapp „!!! aus.“ Doppelt unterstrichen das Ganze. Am 4. Februar 2010 berichteten die Dresdner Neuesten Nachrichten unter der fettgedruckten Überschrift „Aus“ vom vorzeitigen Weggang des jetzigen Generalmusikdirektors Fabio Luisi, dessen Vertragszeit eigentlich im Sommer 2012 enden würde. Theaterdonnernd hatte er fristlos gekündigt.

Der italienische Dirigent trat diesen Posten erst 2007 an und wurde damals mit wehenden Fahnen sowie einer opulenten Marketingkampagne in der Elbstadt willkommen geheißen. Mit mindestens ähnlicher Vehemenz, auf jeden Fall mit ungeteilter Vorfreude, wurde am 10. Februar 2010 Luisis Nachfolger der Presse vorgestellt. Es ist, wie bekannt, Christian Thielemann, der im September vorigen Jahres für den damals erkrankten Luisi eingesprungen ist und eine grandiose 8. Sinfonie von Anton Bruckner zelebriert hat. Er übernimmt zu Saisonbeginn 2012 die Staatskapelle, kommt also auch nach dem plötzlichen Freiwerden des Postens nicht eher. Zumindest nicht nach bisherigen offiziellen Verlautbarungen. Doch er wird, wie bereits im Jahr 2003, das Gedenkkonzert am 13. Februar dirigieren, mit dem in Dresden traditionell der Opfer der Bombennacht von 1945 gedacht wird. Diesmal, 65 Jahre danach, steht Beethovens „Missa Solemnis“ auf dem Programm, seinerzeit ist es das Brahms-Requiem gewesen.

Festwochen

Parallelen sind das eine, Irritationen etwas anderes. Das sächsische Kultusministerium als Träger von Semperoper und Staatskapelle sieht nämlich keinen Grund, die Kündigung von Luisi zu akzeptieren. Mit dieser Nachricht eröffnete die parteilose Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, das mit Spannung erwartete Pressegespräch. Sie betonte die Fürsorgepflicht des Ministeriums als Arbeitgeber und sprach natürlich von einer bedauerlichen Situation. Angesichts der ebenfalls am 13. Februar beginnenden Festwochen „25 Jahre Neue Semperoper“ – das Haus wurde am 13. Februar 1985, genau vierzig Jahre nach seiner Zerstörung, wiedereröffnet – seien nun eine Reihe von Positionen vakant, die Luisi hätte dirigieren sollen. Einmal der komplette „Ring des Nibelungen“ als sogenannter Jubiläums-„Ring“ und immerhin dreimal Paul Hindemiths „Cardillac“. Die Intendanz der Semperoper sei gewohnt, kurzfristig Lösungen zu finden, meinte die Freifrau salomonisch dazu. Namen wurden jedoch nicht genannt; steht zu vermuten, dass rein aus juristischen Gründen nun keine Fakten offenbart werden sollen. Die könnten dem Steuerzahler nämlich sehr teuer werden.

Auch zur näheren Zukunft kein Wort. Noch-Intendant Gerd Uecker ließ sich nicht blicken, seine Nachfolgerin Ulrike Hessler – der Wechsel steht zur kommenden Spielzeit bevor – wollte sich dazu verständlicherweise nicht äußern. An der Tatsache, dass in der zweiten März-Hälfte ein weiterer „Ring“ und Mitte April die Neuinszenierung der Oper „Notre Dame“ von Franz Schmidt anstehen – ursprünglich auch GMD-Projekte –, ändert das nichts. Auf der Homepage steht – aus fiskalischen Gründen? – Fabio Luisi für die musikalische Leitung.

Euphorie

Christian Thielemann ficht das alles nicht an. Muss es auch nicht, denn er hat mit seinem neuen Orchester für die Zukunft geplant. Und für den nächsten Jahreswechsel. Die von den Berliner Philharmonikern zur Sächsischen Staatskapelle gewechselten Silvesterkonzerte des ZDF sollen nun plötzlich an seine Person gebunden sein, hat er in Dresden verkündet. Genau dieses Thema und die damit verbundene Programmplanung – angeblich, ohne ihn einzubeziehen – waren aber der hauptsächliche Kündigungsgrund für Luisi.

Der künftige Kapellchef betont, er sei aus seiner bisherigen Laufbahn klug geworden und wolle absichtsvoll „nur Chefdirigent“ sein. Seitenhiebe ohne Namensnennung. Er werde nie eine Zweitposition neben dem eigentlichen Amt annehmen, fährt er fort. Und meint wohl nicht nur das allgemeine Dirigentenkarussell. Schließlich: Der 13. Februar sei in Dresden kein Tag, um „nur Musik“ zu machen. Die Identifikation mit diesem Ort müsse Chefsache sein, künftig werde er dieses Gedenkkonzert jedes Jahr in die eigenen Hände nehmen.

Für vorerst sieben Jahre, von August 2012 bis Juli 2019, wird Christian Thieleman Chefdirigent der Staatskapelle sein. In dieser Zeit sind laut Vertrag im Opern- und Konzertbereich mindestens 45 Dirigate geplant, davon mindestens zwölf Sinfonie- und drei Sonderkonzerte in Dresden, sowie mindestens 18 Tourneekonzerte mit dem Orchester. Der 50-Jährige erwies sich ein weiteres Mal als Connaisseur und betonte mehrfach, dass dies ein üppiges Pensum sei und er darüber hinaus großen Wert auf freie Tage lege. Dies solle nicht nur der eigenen Entspannung, sondern vor allem der Stadt Dresden und ihrer schönen Umgebung zugute kommen. Er wolle sich ganz auf diesen Ort und dessen Lebensqualität einlassen. Ob Dresden mal Hauptwohnsitz werde, ließ der gebürtige Berliner (mit zumindest teilweise sächsischen Wurzeln) offen. Andererseits setze er unbedingt auf alles, was nach Überforderung aussieht. Das müsse man in der Künstlerschaft wollen. Gerade die Sächsische Staatskapelle sei ein Orchester, mit dem größtmögliche Klangqualität zu erreichen sei. Sie habe sich über Jahrhunderte eine Eigenständigkeit bewahrt, wie sie nur mit der Wiener Staatskapelle zu vergleichen sei, weil beide als Opern- und Sinfonieorchester brillierten.

In Sachen Gastiertätigkeit verwies Thielemann auf einen zum 75. Jubiläum des Israel Philharmonic Orchestra geplanten Austausch: Er reist mit den Dresdnern nach Tel Aviv und die Israelis kommen unter Zubin Mehta nach Dresden. Nachfragen, dass dies schon im kommenden Jahr stattfinden müsste, denn das seit 1948 unter diesem Namen agierende Orchester wurde bereits 1936 ins Leben gerufen, gab es keine. Ebenso schweigsam wurde quittiert, dass Christian Thielemann hervorhob, ein Orchester müsse an die richtigen Orte reisen – und zwar mit seinem Chef. Eigene dirigentische Ausflüge wolle er auf Berlin, Wien und sowieso Bayreuth beschränken.

Medienpräsenz

Als enorm wichtig – „dieses Haus schreit danach, bildmäßig vermarktet zu werden!“  – stufte der Dirigent die Präsenz in den Medien ein. Solche Kontakte spielen bei jedem großen Orchester, das einen Chefposten zu vergeben hat, die wesentliche Rolle. Mit Thielemann werde die Staatskapelle künftig verstärkt bei UNITEL und ZDF punkten. Man müsse aber auch die Menschen nach Dresden holen, sie sollten nicht nur auf Konserven erpicht sein, sondern das Ritual des Konzertganges anerkennen. Das seien zwar Werte des Bürgertums, so der betont juveniale Thielemann, doch so manch Pop-Konsument wäre auch für die Klassik zu gewinnen, wenn er wüsste, dass hier ähnlich starke Eindrücke wirkten. Eine „Tosca“ sei jedenfalls oft spannender als ein „Tatort“. Und überhaupt gebe es in der Oper „unwiederholbare Lebensstoffe“, bestens geeignet für Menschen, die nach Einzigartigem gieren.
Dennoch, und dies muss ja kein Widerspruch sein, werde Thielemann bei der Programmplanung danach schauen, was es an Uraufführungen in Dresden gegeben habe, die eine Wiederentdeckung verdienten. Warum nicht auch Hans Pfitzners Klavierkonzert, so fragte er sich abschließend selbst. Das wurde am 16. März 1923 mit dem Solisten Walter Gieseking unter GMD Fritz Busch in Dresden uraufgeführt. Immerhin zehn Jahre vorm „!!! aus.“


 

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