Im Januar wurde der Warschauer Zentralbahnhof nach Stanislaw Moniuszko benannt. Hierzulande kennt kaum jemand den neben Chopin bedeutendsten polnischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt liegt das an der Sprachbarriere, widmete sich doch Moniuszko vorwiegend der Vokalmusik: Er hinterließ 24 Opern und Operetten sowie hunderte von Liedern, was ihm in seiner Heimat den Spitznamen „Polnischer Schubert“ einbrachte. Ein Portrait von Antje Rößler.
Den Nachbarn ist der 200. Geburtstag dieses Künstlers ein ganzes Jubiläumsjahr wert; ausgerichtet vom Kulturministerium – mit Operninszenierungen und Konzerten, Ausstellungen und Kongressen. Doch auch Weißrussen und Litauer feiern den Geburtstag, da sie Moniuszko für einen der ihren halten.
Am 5. Mai 1819 kam Moniuszko in der heute weißrussischen Kleinstadt Ubiel bei Minsk zur Welt. Seine Eltern waren verarmte, aber kunstsinnige Landadlige. Großen Einfluss übte auch ein freidenkender Onkel auf den Knaben aus.
Zum Studieren ging Moniuszko 1837 nach Berlin. Hier nahm er Unterricht bei Carl Friedrich Rungenhagen, der Felix Mendelssohn bei der Bewerbung um die Leitung der Sing-Akademie ausgestochen hatte. In Berlin lernte Moniuszko die deutschen und italienischen Opern kennen und komponierte selbst erste Lieder. So legte er den Grundstock für seine volkstümliche Sammlung „Śpiewnik domowy“, der „Lieder für den Hausgebrauch“.
Dass die Polen Moniuszko so verehren, hängt eng mit ihrem Kampf um eine nationale Identität zusammen: Zwischen 1795 und Erstem Weltkrieg war Polen von der Landkarte verschwunden; zersplittert in einen russischen, preußischen und österreichischen Teil.
In einem Land ohne eigenes Territorium wuchs die Bedeutung der Künste. „Bis heute ist Moniuszko ein unverzichtbarer Bestandteil unserer kulturellen Identität. Jeder Pole kennt seine wichtigsten Opern und viele der Lieder“, sagt Waldemar Dąbrowski, Direktor der Nationaloper in Warschau und Leiter des Jubiläumsjahres. „Moniuszko hätte es verdient, international genauso bekannt zu sein wie etwa der tschechische Nationalkomponist Bedřich Smetana.“
Nach seiner Berliner Ausbildung zog Moniuszko 1840 nach Wilna, heute Vilnius, wo er seinen spärlichen Lebensunterhalt als Organist, Klavierlehrer und Operndirigent erwarb. Hier entstand 1847 die erste Fassung seiner Oper „Halka“.
Dieses Drama um ein Bauernmädchen, das von einem Edelmann verführt und dann im Stich gelassen wird, enthält scharfe Kritik am Adelsstand und dem System der Leibeigenschaft. Prompt schlug die Zensur im russisch besetzten Warschau zu; erst elf Jahre später kam es zur Uraufführung, die ein überwältigender Erfolg wurde.
Die polnische Nationaloper hatte das Licht der Welt erblickt. Nicht nur standen hier polnische Charaktere im Kampf gegen die Herrschenden auf der Bühne; auch in die Musik hatte Moniuszko typisch polnische Polonaisen und Mazurken eingewebt.
Sogleich wurde dem Komponisten die Leitung der Warschauer Oper angeboten. Fünf Jahre später begann er hier mit der Arbeit an der Oper „Straszny dwór“ (Das Gespensterschloss), die ein Idyll des polnischen Landlebens patriotisch auflädt.
Inzwischen tobten in Warschau die Aufstände gegen die russischen Besatzer; die Zensur verbannte das „Gespensterschloss“ von der Bühne. Kurz darauf wurde das Theater ohnehin zur Kaserne umfunktioniert. Moniuszko lehrte fortan am Konservatorium. 1872 starb der zeitlebens kränkelnde Komponist an einem Herzinfarkt. Sein Begräbnis auf dem Warschauer Ehrenfriedhof glich einem Staatsakt.
Der Autor Rüdiger Ritter spricht in seiner neuen und zugleich der ersten deutschsprachigen Moniuszko-Biografie vom „Tröster der Nation“. Das trifft auch fürs 20. Jahrhundert zu, in dem Moniuszko den Status einer nationalen Ikone beibehielt. Mit seiner „Halka“ wurde 1945 das Opernhaus in Breslau wiedereröffnet. Auch zur Einweihung des Teatr Wielki in Warschau, das Nationaloper und Nationaltheater vereint, stand 1965 „Halka“ auf dem Programm. Der Hauptsaal, bei Eröffnung mit der größten Opernbühne der Welt ausgestattet, wurde nach Moniusko benannt.
Nun läuft in der Warschauer Nationaloper ab 8. Juni eine „Halka“-Neuinszenierung, touristentauglich mit englischen Untertiteln. Bereits im April grub das Warschauer Beethoven-Festival Moniuszkos selten aufgeführte Indien-Oper „Paria“ aus. Nicht mit polnischem Text allerdings, sondern mit dem italienischen Libretto, das von Giuseppe Bonoldi stammt, einem revolutionär gesinnten Freund Moniuszkos, der später in den Kämpfen um die Pariser Kommune starb.
Festivalleiterin Elzbieta Penderecka, Ehefrau des Komponisten Krzysztof Penderecki, hält das Italienische für geeigneter zum Singen als ihre konsonantenreiche Muttersprache. „Wir haben uns aber auch deshalb für Italienisch entschieden, weil wir in Westeuropa ein stärkeres Interesse für Moniuszko wecken wollen“, fügt sie hinzu.
Moniuszko auf Italienisch – da spürt man besonders, wie nah der polnische Komponist seinen Zeitgenossen Verdi und Donizetti war. Das Warschauer Premierenpublikum von 1869 jedoch lehnte „Paria“, diese warmherzige Liebesgeschichte am Ganges, ab. Die Nationaloper „Halka“, größter Ruhm des Komponisten, war zu seiner Zwangsjacke geworden. Aus Moniuszkos Feder wollte das Publikum nur noch National-Patriotisches hören.
Jetzt möchte auch die Warschauer Nationaloper Moniuszkos Ruhm im Ausland ankurbeln. Hier setzt man auf eine „Halka“ in polnischer Sprache, die ab 15. Dezember in Österreich gegeben wird, als Koproduktion mit dem „Theater an der Wien“. Wenn alles gut geht, bleibt Polens größter Opernkomponist im Ausland nicht mehr lange ein Unbekannter.
CD: „Halka“: Europa Galante / Fabio Biondi; NIFCCD 082-083
Biografie: Rüdiger Ritter: „Der Tröster der Nation. Stanisław Moniuszko und seine Musik“ Verlag Harrassowitz, 22,90 €