Die Musikaliensammlung des Historischen Archivs der Stadt Köln stellte einstmals wertvolle Exponate zur Gestaltung von Ausstellungen zu Schumann, Mahler, Strawinsky, Günter Wand, Nono und zur Geschichte des Kölner Gürzenich-Orchesters der Kölner Philharmonie zur Verfügung. Rainer Nonnenmann, Kurator dieser Ausstellungen, schreibt zum Verlust wertvoller Musikalien durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs.
Für die Kölner und die Geschichte ihrer Stadt sowie für die internationale Mediavistik gleicht der Verlust des Historischen Archivs, das als das größte kommunale Archiv nördlich der Alpen gilt, dem Brand der antiken Bibliothek von Alexandria.
Köln war und ist eine Musikstadt. Von daher ist der Kompletteinsturz des städtischen Archivs auch für die deutsche und europäische Musikwelt ein Desaster. Unter den Trümmern liegen einmalige Zeugnisse vor allem der Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Dokumente der Niederrheinischen Musikfeste und der später in städtische Trägerschaft übernommenen Musikinstitutionen. Allen voran die Sammlungen der 1827 begründeten Cölner Concert Gesellschaft, des seit 1850 bestehenden Kölner Konservatoriums und des ab 1857 im alten Handelshaus „Gürzenich“ als festes Orchester von der Kölner Bürgerschaft unterhaltenen gleichnamige Gürzenich-Orchesters. Von einzelnen Komponistensammlung zu schweigen, darunter die zu Jacques Offenbach, boten neben zahlreichen Nachlässen von Familien, die im Kölner Kultur- und Musikleben bis weit ins 20. Jahrhundert wichtige mäzenatische Aufgaben wahrnahmen, vor allem die Hinterlassenschaften der Kölner Musikdirektoren bedeutende Quellen zur bürgerlichen Musikpflege des 19. Jahrhunderts.
Ferdinand Hiller, seit 1850 Städtischer Musikdirektor, korrespondierte mit nahezu allen klingenden Namen der damaligen Musikwelt, mit Robert und Clara Schumann, Brahms, Joseph Joachim, Verdi, Wagner, Liszt, Chopin, Grieg, d`Indy. Seine Tagebücher, Brief- und Gedenkalben, in denen sich die im Kölner Gürzenich gastierenden Komponisten und Interpreten mit Grußworten und Notenautographen verewigten, spiegelten die städtische Musikpflege bis in die 1880er Jahre. Von ähnlichem Rang war der Nachlass seines Nachfolgers Franz Wüllner, in dessen Bekanntenkreis nur die Namen wechselten: Humperdinck, Bruch, Reger, Strauss, Mahler, Weingartner … Die Nachlässe von Hermann Abendroth, Hermann Unger und des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer dokumentierten die belebte Musikgeschichte der Stadt während der Zwischenkriegszeit, als Ur- und Erstaufführungen von Pfitzner, Schönberg, Berg, Krenek, Hindemith, Strawinsky, Bartók und anderen stattfanden, bis Orchester und Oper durch die Nazis gleichgeschaltet wurden. Programmhefte, Plakate, Spielpläne, Briefe, Eingaben, Verträge, Fotos, Musikdrucke, Handschriften aus zweihundert Jahren etc. – vermutlich alles verloren.
Aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das Historische Archiv den Nachlass von Günter Wand, der neben einer umfangreicheren Korrespondenz mit dem befreundeten Bernd Alois Zimmermann auch viele Schallplatten und Dirigierpartituren mit zahllosen handschriftlichen Eintragungen des Dirigenten enthielt. Von internationaler Bedeutung war auch die Sammlung zum Atelier von Mary Bauermeister, die ihre Dachwohnung in der Kölner Lintgasse zwischen 1960 und 1962 zum Schauplatz von Konzerten, Lesungen, Ausstellungen und Happenings machte, unter anderem mit Nam June Paik, David Tudor, John Cage, Hans G Helms, Heinz-Klaus Metzger und Karlheinz Stockhausen. Im Archiv lagerten auch die Nachlässe des von Robert HP Platz begründeten Ensemble Köln und des deutsch-amerikanischen Elektronik-Tüftler Ernest Berk mit hunderten Bändern und diversen elektroakustischen Apparaturen.
Als ein Ort des geduldigen Sammelns, stillen Ordnens und sorgsamen Bewahrens für künftige Generationen steht ein Archiv nicht im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, und behütete es noch so kostbare Sammlungen. Dass ein solcher Ort des Gedächtnisses wie das Kölner Archiv ausgerechnet jetzt die Aufmerksamkeit aller Nachrichtenkanäle erfährt, da er ausgelöscht wurde, ist mehr als tragisch.
In der April-Ausgabe der Neuen Musikzeitung erscheint ein ausführlicher Artikel des Autors.
Das WDR Fernsehen zeigt heute Abend (6.3.) um 20:15 Uhr eine Dokumentation von Marion Försching, Norbert Dohn, Eva Müller und Mareike Wilms: TRÜMMER, TRÄNEN, ZORN - Das Einsturzunglück von Köln.