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Armin Köhler
Armin Köhler. Foto: nmzMedia
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Armin Köhler verstorben

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Letzte Nacht verstarb Armin Köhler nach langer, schwerer Krankheit. Seit 1992 war Armin Köhler Redaktionsleiter Neue Musik beim SWR und dort unter anderem verantwortlich für die Donaueschinger Musiktage und die Konzertreihe „ARS Nova“. Aus diesem traurigen Anlass wiederholen wir hier eines seiner letzten Gespräche, das Köhler mit nmz-Herausgeber Theo Geißler führte.
Ein ausführlicher Nachruf in der nmz folgt.

Was denkt der Macher der Donaueschinger Musiktage über sein Programm, über Vorheriges. die Gegenwart und über die Zukunft: Das Wort "und" war dieses Jahr ein Verbindendes - und ein Klärendes: Armin Köhler im Gespräch mit nmz-Herausgeber Theo Geißler.

Theo Geißler: Letztes Jahr enthielt das Programm der Donaueschinger Musiktage vornehmlich und bewusst große Orchesterwerke. In diesem Jahr erleben wir eine mögliche Ausweitung dahingehend, dass viele große Orchesterwerke auch im Verbund mit anderen Medien, anderen Künsten angeboten werden. Was war dabei das Kalkül des Programmgestalters?

Armin Köhler: „Im Verbund mit anderen Medien“ ist nur bedingt richtig. Eigentlich wollen wir in diesem Jahr expressis verbis auf die Autonomie der einzelnen Künste setzen. Jede einzelne Kunstsparte stellt sich autonom dar. Das Thema „…‘und‘…“ des diesjährigen Festivals möchte große Fragen aufreißen, möchte keine Antworten geben. Es meint eine einfache Konjunktion, die herrührt aus einem Zitat von Wassily Kandinsky, der 1928 einen Essay mit genau diesem Titel „und“ geschrieben hat. In diesem Essay bezeichnet er das 19. Jahrhundert als eines der Ausgliederung und der Zersplitterung, das 20. Jahrhundert als eines der Synthese der einzelnen Künste.

Geißler: Befinden wir uns denn jetzt wieder in einem Jahrhundert, das zur Aufsplitterung der Künste neigt?

Köhler: Nein. Das kann man so nicht sagen. Wir leben gegenwärtig in einer Zeit, in der nahezu alles möglich ist, in einer Zeit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Ein Festival von der Dauer von drei Tagen kann ohnehin niemals das ganze Spektrum eines Jahrgangs abbilden. Deshalb haben wir dieses Problem positiv gewendet: Wenn das schon so ist, dann wollen wir noch stärker fokussieren und ganz bestimmte Themen herausgreifen. In diesem Jahr ist dieses Thema eben „…‘und‘…“. Dieses „…‘und‘…“ bezieht sich auf Komponisten, die über ihr eigenes Metier hinaus auch in anderen Metiers gleichwertig agieren, die sowohl malen oder als Bildhauer tätig sind, die Essayisten sind, die Gedichte schreiben, die Theaterstücke schreiben und und und…

Geißler: Dieses kleine Wörtchen „und“ kann ja zweierlei: Es kann verbinden, aber es kann auch trennen…

Köhler: Richtig.

Geißler: Worauf legt die Festivalkonzeption denn nun Wert?

Köhler: Ich würde sagen: auf das Trennende. „…‘und‘…“ meint in diesem Fall: etwas hinzufügen, zusätzlich zu einem bereits Vorhandenen. Insofern ist es durchaus als etwas Trennendes zu sehen. Wie ich eingangs gesagt habe: Die Künste sollen als autonome Künste betrachtet und behandelt werden. Deshalb wird es in diesem Jahr nicht nur die üblichen Konzerte geben, sondern auch Lesungen, Film- und Videoaufführungen und eine große Ausstellung bildender Kunst.

Geißler: Nun ist es ja so, dass dieses „anything goes“ schon in Zeiten der so genannten Postmoderne im vergangenen Jahrhundert ein sehr umstrittenes Credo wurde. Jetzt haben wir das Phänomen, dass ganz andere Einflüsse – ich meine damit technische Einflüsse – massiv auf die Künste einwirken, sie möglicherweise erweitern, sie möglicherweise aber auch grausam kappen. Welche Rolle spielen diese technischen Innovationen in Ihrer Konzeption?

Köhler: Die spielen natürlich eine ganz wichtige Rolle, weil unser Thema vor dem Hintergrund der Omnipräsenz des Visuellen gesetzt wurde, der Omnipräsenz der Multimedia-Entwürfe, die wir natürlich auch in den zurückliegenden Jahre schon immer wieder präsentiert haben. (Einschub??? Bei 8‘18‘‘ Antwort unverständlich))

Andererseits erleben wir die permanent fortschreitende Spezialisierung in der Gesellschaft. Das ist ein ganz interessantes Phänomen, das wir aus der Biologie oder aus der Medizin kennen. Immer mehr spezialisierte Unterbereiche gliedern sich dort aus. Gleichzeitig aber erwartet die Gesellschaft ein Menschenbild, das ganz anders aussieht. Sie erwartet den Allrounder, sie erwartet den Alleskönner. Um das an einem Beispiel in der Musik zu verdeutlichen: Nehmen wir die Anforderungen an den Musiker eines Neue-Musik-Ensembles. Der muss nicht nur sein Hauptinstrument hervorragend spielen, sondern er soll darüber hinaus szenisch agieren, er soll vielleicht sogar sich bewegen und tanzen, er soll sprechen, er soll singen – und er soll wie zum Beispiel bei Benedict Mason bis zu fünf Instrumente gleichzeitig spielen. Auf diese Paradoxie: Spezialisierungserweiterung auf der einen Seite und gleichzeitig der Wunsch und die Suche nach dem Allrounder, auf diese Paradoxie möchte das Festival durch sein diesjähriges Thema hinweisen.

Geißler: Führt diese Paradoxie nicht möglicherweise zu einer Verflachung dessen, was an Kreation geschieht?

Köhler: Das ist eine Frage der Perspektive, die wertend an die betreffenden Werke oder Entwürfe zu richten ist. Das kann durchaus so sein. Mir kommt es auf keinen Fall darauf an, irgendwelche neuen Tendenzen auszulösen. Ich möchte durch diese Themensetzung vielmehr auf die Tiefenschichten aktuellen künstlerischen Wollens hinweisen. Oder besser: Ich möchte die Tiefenschichten künstlerischen Wollens freilegen. Die Fragen, die sich hinter dieser Themensetzung verbergen, lauten: Wie äußert sich eigentlich Kunstwollen? Wie materialisiert es sich und in welchem Medium findet eine Idee Ausdruck? Welchem Wandel unterliegt das Kunstwollen innerhalb eines Künstlerlebens? Wie geschieht Kunstausübung im Verbund mit Spezialisierung? Und wer ist eigentlich ein Spezialist und wer ein Dilettant? Und wann münden Ideen in ein Konzert, wann in eine Ausstellung, wann in eine Lesung?

Geißler: Nun kann man beobachten, dass vor allem jüngere Zuhörerinnen und Zuhörer so eine polyglotte Präsentation, also die Vermischung von Klängen, Musik, Video, Text, Bewegung besonders schätzen, sie vielleicht durch ihre Rezeptionsgewohnheiten, geschult durch Internet und andere Medien, sogar für die Innovation, für das Richtige halten. Wo bleibt da die Musik?

Köhler: Genau, das ist eine gute Frage. Ich würde noch tiefer fragen: Wo bleibt eigentlich die Kontemplation? Ein Wort, das kaum noch gebraucht wir! Ich meine, Kontemplation findet in erster Linie beim Wahrnehmen von Musik statt, eben beim Hören. Auch deshalb setze ich auf die Autonomie der Künste. Die Bilder von Peter Ablinger, die wir in der Ausstellung sehen werden, sind rein bildnerische Entwürfe, sie haben keinen Bezug zu irgendeinem musikalischen Entwurf. Dennoch gibt es Zwischenformen. Gerade bei Peter Ablinger sehen wir das an dem Werk, das in Donaueschingen uraufgeführt wird. Der erste Satz von Peter Ablingers Stück, den das Ensemble Modern in Donaueschingen zur Uraufführung bringt, ist nicht etwa ein Musikstück, eine gängige Partitur sondern ein riesiger, graphischer Tintenstrahldruck. Der zweite Satz ist hingegen ein Musikstück. Wie geht das zusammen? Beides bleibt autonom: ein Tintenstrahldruck, der im Foyer der Donauhalle hängt in einer Größe von 6,40 mal 6,40 Meter. Beiden Sätzen liegt das gleiche Material zugrunde. Die Umsetzung dieses Materials erfolgt nach den gleichen elementaren Prinzipien der Rasterung. Basis der Arbeit ist das Verhältnis von Wirklichkeit und Wahrnehmung. Zudem ist seit einigen Jahren bei Ablinger die Sprache ein ganz zentrales Material: Sprachfetzen, Schallplattengeräusche oder Tonbandrauschen bilden auch in dieser Komposition eine Grundlage, die es vom Instrumentalensemble abzutasten gilt. Kunst als spektrale Rasterung von Wirklichkeit – das gilt wiederum auch auch für den Tintenstrahldruck im Foyer: ein großes Bild, das stark aufgerastert ist.

Geißler: Kann es sein, dass aus diesem Grund nach vielen Jahren Josef Anton Riedl wieder nach Donaueschingen zurückkehrt, der sehr früh ja schon genau mit diesen Elementen, wenn auch nicht mit solchen weit entwickelten technischen Geräten, gearbeitet hat?

Köhler: Josef Anton Riedl wurde nach Donaueschingen eingeladen, weil er sowohl ein hervorragender Komponist ist, weil er aber auch ein hervorragender Laut-Poet ist. Er vertritt zwei Kunstformen separat. Und er hat verschiedene Kunstformen zu verbinden gesucht, schon in den 70er- und Anfang der 80er-Jahre. Seine Laut-Poesien konkretisieren sich in erster Linie gar nicht als Laute, sondern als große Zeichnungen. Deshalb werden im Zentrum der Ausstellung in Donaueschingen auch die lautpoetischen Zeichnungen von Josef Anton Riedl stehen, die gar nicht interpretiert, also in Klang gesetzt werden sollen, sondern von sich aus bereits Klang sind.

Geißler: Wie ordnet sich ein scheinbarer „Pur-Komponist“ wie Wolfgang Rihm in dieses Programmspektrum ein?

Köhler: Wolfgang Rihm wurde eingeladen, weil er aus meiner Sicht neben ein oder zwei anderen der bedeutendste Essayist in der aktuellen Komponistenszene ist. Hans Zender und Wolfgang Rihm wurden als Essayisten und Komponisten nach Donaueschingen gebeten. Brian Ferneyhough wurde als Maler und Komponist eingeladen. Pascal Dusapin wurde als ein herausragender französischer Fotograf und Komponist geholt. Er hat übrigens zunächst bildende Kunst studiert und dann erst Musik. Gerade Pascal Dusapin wird in Deutschland nur als Komponist von so genannten großen Werken rezipiert, von Sinfonien, Streichquartetten, Opern. In Donaueschingen wird er neben seinem fotografischen Werk auch als Klang-Installateur präsent sein. Davon weiß bislang noch niemand in der Szene.

Geißler: Das diesjährige Programm will also ein Ausrufezeichen setzen: Das Kunstwerk ist autark, die Musik ist autark, die Komposition ist autark. Gleichzeitig versammeln sich Doppel- oder Tripel-Begabungen, die ihre Kreationen, ihre Werke in unterschiedlichen Präsentationsszenarien darstellen.

Köhler: Ja, das kann man so sagen. Wobei es natürlich auch Kompositionen gibt, von Simon Steen-Andersen und Ondrej Adámek, bei denen die Kunstformen, vor allem das Video als Kunst in der Zeit, mit der Musik als Kunst in der Zeit verzahnt werden. Aber in erster Linie setzen wir in diesem Jahr auf die Autonomie der Künste. Jede Kunst hat ihre eigene Qualität.

Geißler: Ist das Ganze vielleicht doch auch ein Zugeständnis an den sich verändernden Publikumsgeschmack gerade beim jungen Publikum?

Köhler: Nein, das glaube ich nicht. Ganz im Gegenteil. Es wird im Programmbuch einen Einleitungstext geben, den Elena Ungeheuer gemeinsam mit ihren Studenten der Würzburger Universität geschrieben hat. Die fragen: Warum denn solch ein Thema? Es ist doch heute gang und gäbe, dass die Künstler in mehreren Disziplinen tätig sind. Weil sie eben diese Disziplinen miteinander verzahnen. Ich sprach ja von diesem Allround-Kenner, der gesucht wird in der Gesellschaft. Ich denke eher, es ist ein Generationsproblem. Meine Generation sieht diesen Konflikt, den die Gesellschaft gegenwärtig ausformt: dem Menschen eine höchste Form von Spezialisierung und gleichzeitig – ich wiederhole mich – den Alleskönner abzuverlangen.

Geißler: Diese so genannte Multitasking-Fähigkeit, die ja teilweise durch die Angebote, die die heutigen technischen Medien bieten, unsere jüngeren Menschen prägt: Birgt sie möglicherweise auch die Chance, sich zu fokussieren oder besteht doch eher die große Gefahr des Zerfransens oder des An-der-Oberfläche-Bleibens?

Köhler: Letzteres mag die Perspektive unserer Generation sein. Ich glaube, dass sich neue Qualitäten ausprägen werden. Wir befinden uns gegenwärtig in einer Umbruchsituation. Diese Qualitäten suchen noch ihre verbale Formulierung. Da werden noch ein paar Jahre ins Land gehen.

Geißler: Wohin bricht es um?

Köhler: Ich denke, es bricht in viele Richtungen um. Wir werden in den nächsten Jahren gewiss die noch engere, die noch weitere Verzahnung der Künste erleben. Das ist der Gang der Zeit. Durch unsere Überreizung suchen wir Menschen ja permanent nach neuen Formen, sonst stumpfen wir ab. Aber ich bin mir sicher, dass auch die Zeit kommen wird, wo die Autonomie der Künste ihren Anspruch in der Gesellschaft wiederfinden wird.

Geißler: Der Begriff „Form“ hat auch eine ganz konkrete Bedeutung: Eine Form setzt Rahmen, setzt Grenzen, setzt aber möglicherweise auch die Forderung nach erwartbarer Qualität und Befriedigung einer Erwartungshaltung voraus voraus…

Köhler: Aber es werden eben neue Formen entstehen. Egal, was passiert, egal, wie ein Kunstwerk sich entwickelt, wie es sich ausprägt: Immer entsteht eine Form. Wir als Rezipienten werden nicht anders können, als diese Form abzugleichen mit unseren eigenen Kunst- und Lebenserfahrungen und werden dann immer wieder nach Begrenzungen suchen. Manchmal vergeblich, aber gerade dieses Suchen, dieses Abgleichen mit unseren Erfahrungen ist ja das Spannende beim Wahrnehmen von Kunst. Immer wieder neu sich zu finden, wenn der Boden einem gewissermaßen entzogen wird, das finde ich sehr spannend. Insofern habe ich mit der Form überhaupt keine Probleme.

Geißler: Und auch keine Sorgen um die Zukunft, denn Donaueschingen war immer schon die Area des Suchens und des Findens…

Köhler: Genau. Manchmal ist es ganz gut, wenn man kurz stehenbleibt in dieser schnelllebigen Zeit, sich einen Moment fokussiert auf eine Sache. Alle kommen nach Donaueschingen und blicken aus einer Perspektive gemeinschaftlich auf ein Phänomen, auf ein Phänomen, das in diesem Jahr eben Mehrfach- oder Doppelbegabung heißt. Aus dieser gemeinschaftlichen Sicht werden neue Fragen erwachsen. Ich bin mir sicher, dass die meisten Besucher nicht nach Donaueschingen kommen, um vorgefertigte Antworten in Form von schönen neuen Werken zu erhalten, sondern dass all diese präsentierten künstlerischen Entwürfe neue Fragen aufwerfen. Das ist das Hauptanliegen des Festivals überhaupt: Fragen zu stellen.  

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