Mit einer Rarität warteten die 39. Innsbrucker Festwochen auf. Erstmals seit der Uraufführung 1732 brachten sie die Oper „Il Germanico“ von Nicola Porpora auf die Bühne. Er war ein Star, nicht nur als gefeierter Opernkomponist in Neapel, Venedig, Dresden und Wien. Der neapolitanische Komponist Nicola Porpora war der gefragteste Gesangspädagoge seiner Zeit. Die bedeutendsten Kastraten waren seine Schüler, nicht zuletzt Farinelli.
In der Oper „Il Germanico“ geht es um die Folgen der Varusschlacht im Jahre 9. Jahrhundert nach Christus, in der bekanntlich die Römer vernichtend geschlagen wurden. Fünf Jahre später setzt die Handlung der Oper ein. Rom sinnt unter Leitung seines Befehlshabers Germanico auf Rache. Erzählt wird eine Geschichte von kalten Politikern und emotionsgeladenen Diealisten, von Imperialismus und nationaler Identität. Zugleich ist die Oper aber auch ein Kammerspiel über einen Tochter-Vater-Konflikt und eine Liebesbeziehung, eine typisch barocke Mischung. Es gibt ein „lieto fine“, ein gutes Ende, denn der germanische Befehlshaber Arminio bietet dem römischen seine Freundschaft an. Mit der historischen Realität hat das freilich nichts zu tun. Es ist optimistische Geschichtsklitterung aus dem Geist des Klerus, dem der Librettist Niccolò Coluzzo angehörte. Gewidmet war die Oper dem musik- und opernliebenden römischen Kardinal Ottoboni.
Alexander Schulin hat gottlob auf alle Aktualisierungen, die sich beim Thema Kolonialismus anbieten, verzichtet und entlarvt stattdessen Porporas „Germanico“ als barockes Lehrtheater, indem er das Stück vor einem barocken, quasi antiken „römischen“ hölzernen Portal spielen lässt, das Alfred Peter auf die Drehbühne stellte. Es erinnert an das Teatro Farnese in Parma. Vorder- und Rückseite der Theaterkulissen werden bespielt. Man trägt barocke Kostüme und Allongeperücken, auch der auf der Bühne anwesende Klerus, der die Handlung mit Argusaugen verfolgt wie einst die päpstliche Zensur den Librettisten. Dieses Theater auf dem Theater verweist auf die Entstehungsgeschichte des Librettos, aber auch auf die Differenz von politischem Traum und Wirklichkeit.
Alessandro de Marchi, der künstlerische Leiter des Festivals, hat „Il Germanico“ musikalisch glaubwürdig reanimiert. Das neapolitanische Temperament dieser Musik liegt dem Römer. Er kostete den überschäumenden Reichtum dieser farbigen und effektvollen Musik aus. Seine Accademia Montis Regalis ist in Bestform. Die Aufführung dauert viereinhalb Stunden, aber die lohnen sich. Es handelt sich schließlich um einen so kurzweiligen wie „hochprozentigen“, geradezu besoffen machenden Ariencocktail der Extraklasse.
Als das Stück in Rom uraufgeführt wurde, galt noch das päpstliche Verdikt, dass Frauen in der Heiligen Stadt nicht auf der Opernbühne aufzutreten hätten. Bei der Uraufführung wurde ausschließlich von Männern (Kastraten) gesungen. In Innsbruck wird die Oper mit gemischter Besetzung gegeben. Für den Feldherrn Germanico hat man die Mezzosopranistin Patricia Bardon engagiert, für Rosmonda, die Gattin des germanischen Feldherrn, die Sopranistin Klara Ek. Beide sind großartig und singen die Männer (die Countertenöre David Hansen und Hagen Matzeit) regelrecht an die Wand. Vielleicht hätte man – nicht nur als späte Rache an Papst Clemenz XI. – gleich alle Partien mit Frauen besetzen sollen.
Ein großer Abend für alle Freunde der Barockoper. Ein Opernjuwel wurde ausgegraben. Es ist an der Zeit, den Opernkomponisten Porpora endlich wiederzuentdecken. Er hat schließlich 37 Opern komponiert.