Soweit bekannt, wurden keine Scheiterhaufen für jene Zeitgenossen errichtet, die das Weltuntergangsszenario vom 21.12.2012 ins Reich gläubiger Dummheit verwiesen. Wo es ja hingehört. Doch zu überhören war dieser Hype um ein dummes Gerücht wohl beinahe nirgends. Es gab aber unterschiedliche Formen des Umgangs mit diesem Missverständnis.
Die spanischen Konquistadoren, gläubige Katholiken allesamt, waren dem Wahn verfallen, sich für etwas besseres zu halten als die eingeborenen Ureinwohner im Süden und in der Mitte Amerikas. Also haben sie zwar dem Mammon gehuldigt, wie stets, und die Goldschätze der Neuen Welt gründlich geplündert – aber ebenso gründlich vernichteten sie mit heiliger Unterstützung frömmelnder Inquisitoren sämtliche Kultgegenstände einheimischen Aberglaubens. Eigener Definition zufolge steht der Glaube an allein seligmachende Götter schließlich über den vermeintlichen Primitivismus aller anderen Glaubensformen. Sowieso über gottlosen Wissensdurst. Hier liegt der Quell aller menschlichen Missverständnisse bis heute.
Jedenfalls haben die blutrünstigen Eroberer doch ein paar Reliquien übersehen. Drei auf Feigenbaumrinde geschriebene Exemplare des sogenannten Maya-Kalenders zum Beispiel. Auf diese etwa 800 Jahre alten Handschriften geht der soeben überstandene Irrsinn der Weltuntergangsstimmung vom 21.12.2012 zurück. Ausgelassene Partys und jede Menge nichts, aber auch gar nichts auslassender Themenreihen diverser Medien waren die Folge dieser absurden Fehldeutung. Denn aus dem bis heute nicht vollständig entschlüsselten Kalendarium geht nichts weiter hervor als das Ende des 13. Bak'tuns. Einer 144.000 Tage umfassenden Epoche, der nun das 14. Bak'tun folgt. So simpel kann die vermeintliche Apokalypse ausgehen.
Die drei noch existenten Maya-Kalender werden heute in Paris, Madrid und Dresden aufbewahrt. Letzterer, als „Codex Dresdensis“ bezeichnet, ist der einzige öffentlich ausgestellte. Ihm ist eine Art Schatzkammer in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gewidmet, die im Jahr 2012 einen enormen Besucheransturm zu überstehen hatte. Es erübrigt sich, nach den Ursachen dafür zu fragen.
Wenn aber schon in der sächsischen Landeshauptstadt ein solcher Schatz aufbewahrt wird, so dachten sich Markus Rindt und Sven Heinrich von den Dresdner Sinfonikern, dann muss der Wechsel ins neue Zeitalter auch gebührend gefeiert werden. Also initiierten sie ein aufsehenerregendes „Konzert zum Ende der Zeit“ und ließen es direkt unter besagter Schatzkammer stattfinden. Der Raum war da zwar begrenzt, aber dank moderner Medien wurde dieser Gruß in die neue Maya-Epoche ein die Kontinente übergreifendes Ereignis. Per Live-Schaltung nach Mexiko und direkter Übertragung im ARTE Live Web sowie auf Deutschlandradio Kultur und MDR Figaro durfte quasi die ganze Menschheit daran teilhaben.
Wer im kleinen SLUB-Saal dabeigewesen ist, hatte jedoch hautnah einen Abend spannungsreicher Musik erleben können, dem nachdenkliche Worte vorangestellt wurden und der mit einer „Überlebensparty“ gekrönt wurde. Unter Leitung des mexikanischen Dirigenten José Areán musizierten die Dresdner Sinfoniker Werke von Silvestre Revueltas und Enrico Chapela. Übers Weltmeer hinweg drangen mexikanische Musiken, die archaische Momente und Moderne verbanden. Revueltas (1899–1940) stützte sich in „Sensemayá“ auf äußerst vertrackte Rhythmen der mexikanischen Volksmusik und würdigte in einer „Homenaje“ (Hommage) den spanischen Dichter Federico Garcia Lorca, der 1936 vom spanischen Franco-Regime ermordet worden ist. Urwüchsigkeit und Experiment flossen da ineinander, von den Sinfonikern kammermusikalisch feinsinnig vorgetragen.
Zwei Stücke des 1974 geborenen Chapela griffen das Verschmelzen von Tradition und Avantgarde impulsiv auf, in „Lo Nato Es Neta“ (Deine Bestimmung ist angeboren) verstärkte ein Trio aus E- und Bass-Gitarre nebst schlagkräftigen Drums die energetische Rocklast dieser auf dem Geburtshoroskop des Komponisten beruhenden Musik. Höhepunkt des Konzerts war die anschließende Uraufführung „Albactún“, zu der es eine Liveschaltung zwischen Dresden und Mexiko gab. Erstaunlich präzise agierten über die Zeitgrenzen hinweg zwei Maya-Musiker auf originären Instrumenten nebst einer Maya-Sängerin zu den Dresdner Sinfonikern. Hör- und sichtbar wurden zur hiesigen Mitternacht Weisen vergangener Maya-Kultur mit Hoffnungsklängen der Zukunft verbunden. Der Stücktitel soll mit „Bak'tun-Dämmerung“ zu umschreiben sein, so wäre er als Zeichen für eine neue Ära gut zu verstehen.
Wie wichtig dieser Blick voraus ist, der um die Fehler der Vergangenheit weiß, das umriss vorab der Philosoph Peter Sloterdijk in einem Publikumsgespräch. Er verschärfte die Thematik auf permanente Endzeitstimmungen, wie sie vorrangig medial erzeugt würden. Die Menschen von heute seien nicht zuletzt durch „interapokalyptische Debatten der Politik“ zu „Polyapokalyptikern“ geworden. Als Grundlage solcher Gedanken führte er Klimawandel, versiegende Ölreserven und leergefischte Meere an.
Auch Mexikos Botschafter González Diaz betonte in seinem Grußwort, dass nicht der Maya-Kalender das Ende der Zeit darstelle, sondern die Menschen von heute den Planeten Erde in seiner Existenz bedrohen.
Das „Konzert zum Ende der Zeit“ ist als Livemitschnitt auf CD und DVD erhältlich
www.dresdner-sinfoniker.de
Livestream: www.codex-dresdensis.com