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Eurovision Song Contest

Bedeutet 2024 das Waterloo für die weltgrößte Musikshow?

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Brennglas Malmö: Politischer Schatten über dem Eurovision Song Contest

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Schweden wollte Feierstimmung beim Eurovision Song Contest. In Malmö herrscht jedoch Unsicherheit. Kann das «unpolitische» Fest auch 2024 unpolitisch bleiben?

Malmö - Aufgeheizte Atmosphäre und angespannte Lage statt freudiges ESC-Fieber und gelöste Stimmung: In der südschwedischen Stadt Malmö gibt es Sorgen um die Sicherheit rund um den Eurovision Song Contest (ESC). Sosehr der Song Contest Jahr für Jahr betont, ein «unpolitisches Event» zu sein - in diesem Jahr lässt sich der Schatten des Gaza-Kriegs vom bunten Show-Spektakel nicht fernhalten. Mehr als 100 000 Besucherinnen und Besucher werden erwartet.

«Malmö wird in der nächsten Woche der Brennpunkt Europas sein», sagt Christer Mattsson, Professor für Antisemitismusforschung in Göteborg, der Deutschen Presse-Agentur. In dieser krisenreichen Zeit schaut die Welt bei den Halbfinals am 7. und 9. Mai und erst recht beim Finale des Wettbewerbs am 11. Mai auf Malmö. Nachdem im vergangenen Jahr Schweden mit Loreen den ESC gewonnen hatte, wurde Malmö als Austragungsort für 2024 festgelegt. Die Stadt ist bereits zum dritten Mal Gastgeber, war es bereits 1992 und 2013.

Streit um die Teilnahme Israels

Israels Beitrag hatte diesmal von Anfang an mit Gegenwind zu kämpfen. Aufgrund des Gaza-Kriegs wurde von vielen Seiten der Ausschluss des Landes von dem Wettbewerb gefordert. Der Veranstalter des ESC, die europäische Rundfunkunion (EBU), ließ Israel mit der Begründung teilnehmen, dass es eine unpolitische Veranstaltung sei.

Gleichzeitig hielt die EBU den ersten eingereichten Text des israelischen Beitrags für zu politisch. Sie sah in «October Rain» Hinweise auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker. Das Lied der israelischen Sängerin Eden Golan wurde daraufhin überarbeitet, heißt nun «Hurricane» und wurde zugelassen. Laut israelischen Medien trägt die Kandidatin bei den Shows ein Kleid, dessen Oberteil an Wundverbände erinnert.

Israels Nationaler Sicherheitsrat (NSC) verschärfte kurz vor dem ESC eine Reisewarnung für die schwedische Stadt. Das Risiko werde von 2 (potenzielle Bedrohung) auf 3 (mittlere Bedrohung) heraufgestuft. Israelis, die einen Besuch in Malmö planten, lege man nahe, dies noch einmal zu überdenken. Die Warnung gelte für die Zeit vom 7. bis 11. Mai.

Malmö hat ein Antisemitismus-Problem

Malmö habe ein Problem mit Antisemitismus, sagen Experten. Nach dem Ausbruch des Krieges in Israel und Gaza im Oktober wurde dieses Problem noch einmal sichtbarer.

«Es gab diese Karawanen mit palästinensischen Fahnen, die schrien und jubelten. Karawanen von Autos fuhren durch die Stadt und feierten nach den Angriffen», erinnert sich Fredrik Sieradzki von der jüdischen Gemeinde in Malmö. Seither habe es zahlreiche Demonstrationen gegen Israel gegeben. Am Tag des Grand-Prix-Finales selbst sind ebenfalls Demos angekündigt - darunter sowohl propalästinensische als auch proisraelische Demonstrationen. Tausende Teilnehmer werden erwartet. «Die Intensität wird mit den Demonstrationen parallel zum Eurovision Song Contest noch zunehmen», sagt Sieradzki.

Malmö ist eine kompakte Stadt. Daher sei vieles sehr zentral, in der Stadtmitte. «Man kann das Problem also auf der Straße sehen, was man in Stockholm oder Göteborg nicht so sehr kann», sagt Björn Westerström. Er ist Forscher eines Projekts der Stadt gegen Antisemitismus, macht aktiv Aufklärungsarbeit. Die südschwedische Stadt hat etwa 360 000 Einwohnerinnen und Einwohner, darunter viele mit palästinensischer Abstammung.

Experte Westerström betont, dass die israelfeindliche und schnell dann auch judenfeindliche Stimmung nicht zwingend von bestimmten Personengruppe ausgehe. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen engagierten sich in diesem Konflikt. «Sie sehen den Antisemitismus nicht. Sie sind so politisch geworden, sie sind so eingenommen, dass sie den Hass, den sie benutzen, nicht erkennen», sagt der Experte.

Antisemitismusforscher Mattsson sagt, Malmö leiste schon länger Aufklärungsarbeit, habe in den letzten Jahren zahlreiche Gegenmaßnahmen ergriffen. «Antisemitismus ist aber nicht etwas, das innerhalb weniger Jahre gelöst wird.»

Sicherheitsmaßnahmen verstärkt

Die Polizei kündigte an, mit einem Großaufgebot in der Stadt präsent zu sein. Auch Verstärkung aus Dänemark und Norwegen wurde angefordert. Eine öffentliche ESC-Party wurde abgesagt. «Ich weiß mit Sicherheit, dass die Stadt gut vorbereitet ist. Allerdings weiß man, dass es immer etwas Unerwartetes geben kann», sagt Experte Mattsson.

Was in der aktuellen Lage nicht so recht aufkommen will, ist wohl die Vorfreude. «Ich glaube, dass viele Juden im Allgemeinen darauf warten, dass die Sache vorübergeht, und hoffen, dass es ohne größere Zwischenfälle abläuft», sagt Sieradzki. «Der Eurovision Song Contest sollte ein Fest der Kreativität, des Spaßes, der großartigen Musik sein. Aber Malmö wird ein Ort sein, an dem eine Menge wütender Gefühle auf der Straße gezeigt werden.»

 

ESC '24: Gewinnt «Europapa» oder findet Europa Nemo? 

Fragen und Antworten zu der Riesenmusikshow, die diese Woche über die Bühne geht:

Wann und wo genau ist der Eurovision Song Contest?

Er findet vom 7. bis zum 11. Mai im südschwedischen Malmö (in der Malmö Arena) statt, nachdem Loreen mit dem Lied «Tattoo» für Schweden den ESC 2023 in Liverpool gewonnen hat. Es ist nach 1992 und 2013 die dritte Austragung des ESC in Malmö und die insgesamt siebte in Schweden.

Welche Länder und Acts sind dabei?

37 Länder nehmen teil - elf werden ausgesiebt, sodass im Finale am Samstagabend noch 26 übrig sind. Für das Finale gesetzt sind die Big Five (großen Geldgeber), also Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland; ebenso das Gastgeberland Schweden. Rumänien zog sich aus Geld-Gründen vom ESC zurück. Seit Jahren nicht dabei sind Länder wie die Türkei, die Slowakei und Ungarn.

Was ist das schönste Wiedersehen diesmal?

Luxemburg ist erstmals seit 1993 wieder dabei. Das Großherzogtum stellt mit 30 Jahren einen Rekord für die längste Abwesenheit auf. Und die legendäre Désirée Nosbusch, die mit 19 Jahren den Grand Prix Eurovision de la Chanson 1984 moderierte, sagt im Finale die Punkte ihres Landes durch.

Landet Deutschland wieder hinten?

Ehrliche Antwort: wahrscheinlich. Zumindest sagen die Wettquoten keinen guten Platz im Finale voraus für Isaak (28) aus Ostwestfalen. In diesem Jahr performen auch die direkt fürs Finale gesetzten Länder schon einmal im Halbfinale. Isaak zeigt am 7. Mai (zwischen Island und Slowenien), wie sein Auftritt im Finale am Samstagabend aussehen soll.

Wer könnte den ESC 2024 gewinnen?

Glaubt man den Wettquoten bislang, haben die Schweiz, Kroatien, die Niederlande und Italien gute Chancen. Für die Schweiz tritt Nemo an. Nemo (24) lebt in Berlin und identifiziert sich als nicht-binär («Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau»). Der Song der Schweiz heißt «The Code». Es wäre der dritte Sieg für die Schweiz. 1988 gewann Céline Dion («Ne Partez Pas Sans Moi») für das Land, 1956 den ersten ESC überhaupt Lys Assia («Refrain»).

Gibt es 2024 zu viele Spaß-Songs?

Der zweite Platz des Finnen Käärijä mit «Cha Cha Cha» beim ESC 2023 scheint einige Länder inspiriert zu haben, ebenfalls spaßige oder auf Krawall gebürstete Kracher zum ESC zu schicken. Mit Baby Lasagna aus Kroatien und Joost Klein aus den Niederlanden gehören zwei Interpreten von solchen Party-Songs zu den Mit-Favoriten. Die Lieder aus Finnland und Estland sind ähnlich gestrickt und könnten ein ähnliches Publikum ansprechen.

Was war bislang der größte Streitpunkt rund um den ESC 2024?

Seit Ausbruch des Krieges in Israel und Gaza am 7. Oktober 2023 wurden Stimmen laut, Israel aufgrund seines militärischen Vorgehens im Gazastreifen auszuschließen. Als Bezugspunkt wird dann, was viele als Täter-Opfer-Umkehr kritisieren, auch mal Russland genannt, das wegen seines Angriffskriegs auf die Ukraine vom ESC suspendiert worden ist.

Da war doch was mit dem Beitrag aus Israel, oder?

Der ESC-Veranstalter, die europäische Rundfunkunion (EBU), hielt den Text des Beitrags erst für zu politisch. Sie sah Bezüge auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker. Das Lied von Sängerin Eden Golan wurde daraufhin überarbeitet - heißt nun «Hurricane» statt «October Rain» - und wurde zugelassen.

Wer moderiert den ESC?

Durch die Shows in Malmö führen Petra Mede und Malin Åkerman. Mede (54) ist ESC-Fans schon gut bekannt, sie war bereits alleinige Moderatorin des ESC in Malmö vor elf Jahren und 2016 zusammen mit Måns Zelmerlöw in Stockholm - legendär wurde dabei vor acht Jahren die Parodie eines angeblich perfekten ESC-Beitrags: «Love, Love, Peace, Peace».

Wer verliest Deutschlands Jury-Punkte?

Die Hamburger Sängerin und Moderatorin Ina Müller («Inas Nacht») wird in Malmö die zwölf ESC-Punkte der deutschen Jury verkünden. Für den berühmten Satz «Twelve points of the German Jury go to ?» wird sie von einem NDR-Studio in Hamburg-Lokstedt aus nach Malmö geschaltet. Die ehrenvolle Aufgabe wird der waschechten Norddeutschen damit bereits zum zweiten Mal zuteil. Schon 2011 - als der ESC nach dem Sieg von Lena Meyer-Landrut («Satellite») in Deutschland ausgerichtet wurde und Aserbaidschan gewann.

Wie queer ist der ESC 2024?

Kurz gesagt: sehr. Von den Teilnehmenden zählen Insider acht zur LGBT-Community (beziehungsweise (LGBTQIA+) - mehr sollen es nur 2021 gewesen sein. Für Irland tritt etwa die nicht-binäre Person Bambie Thug an («Doomsday Blue»). Zu den ESC-Klischees und  -Konstanten gehört neben Sätzen wie «Die Osteuropäer schanzen sich wieder die Punkte zu», dass viele Schwule und andere Queers den Grand Prix mit seinem Glamour und Trash abgöttisch lieben.

Wo kann ich den ESC in Deutschland im Fernsehen schauen?

Das fast vierstündige Finale beginnt am 11. Mai um 21.00 Uhr und wird in Deutschland im Ersten ausgestrahlt. Der Sieger steht gegen 1 Uhr morgens am 12. Mai fest. Die gut zweistündigen Halbfinalshows am 7. und 9. Mai (einmal stehen 15 Länder in der Qualifizierungsrunde und einmal 16 Länder) überträgt der ARD-Kanal One ab 21.00 Uhr.

Wer kommentiert in Deutschland nach dem Weggang von Peter Urban?

Nachfolger von ESC-Urgestein Peter Urban (76) als kommentierende Stimme fürs deutsche TV-Publikum ist der Radiomoderator Thorsten Schorn (48). Schorn konnte man schon als Reporter bei den Fernsehsendungen «stern TV» (RTL) und «Zimmer frei!» (WDR) kennenlernen. Zudem dürften viele die Stimme des gebürtigen Kölners etwa aus dem Off bei der Vox-Stylingshow «Shopping Queen» mit Guido Maria Kretschmer kennen.

 

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