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Martin Maria Krüger. Foto: Charlotte Oswald
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Einer verlorenen Erbschaft auf der Spur

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Musikratspräsident Martin Maria Krüger im Gespräch mit nmz-Herausgeber Theo Geißler
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In zwei Artikeln in der nmz vom März („Erb-Schleicher“, S. 1) und April (Schmuse-Kurs“, S. 1) stellte Theo Geißler die Frage nach dem Verbleib einer Millionen­erbschaft für das Musik­ratsprojekt „Jugend musiziert“ und nach dem Sinn oder Unsinn eines Zuwendungsrechtes, das dem Deutschen Musikrat verbietet, projektsichernde Rücklagen zu bilden. Inzwischen hat die DMR gGmbH den Prozess gegen das Bundesverwaltungsamt verloren und musste die Rücklagen definitiv auflösen. Musikratspräsident Martin Maria Krüger stellte sich nun den Fragen von Theo Geißler im persönlichen Gespräch.

Theo Geißler: Manchmal irre ich mich gerne. In der letzten Ausgabe der nmz habe ich vermutet, dass wir von Ihnen wahrscheinlich keine Antworten auf Fragen bekommen, die wir im Zusammenhang mit einer für den Musikrat verlorenen Erbschaft gestellt haben: Also, warum wurde nicht unmittelbar nach der Insolvenz und der Installation eines neuen Präsidiums der Wille der Erblasserin, nämlich dieses Geld „Jugend musiziert“ zukommen zu lassen, umgesetzt?
Martin Maria Krüger: Die grundsätzliche Weichenstellung hat bereits der Insolvenzverwalter Ludger Westrick getroffen. Er hat entschieden, dass das Geld aus dieser Erbschaft – es ging dabei ja um die Hälfte des Veräußerungsgewinns aus einer Villa – in die Insolvenzmasse fließt. Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und der Befriedigung der Gläubiger verblieb ein Rest von gut 700.000 Euro, der natürlich auch nicht mehr übereinstimmte mit dieser Erbschaft, die über 1.000.000 Euro lag. Auf den ersten Blick bot sich an, dieses Geld nun unmittelbar für die Jugendprojekte einzusetzen – eine Lösung, die auch ich zunächst favorisiert habe. Das hätte sehr wahrscheinlich auch die Zustimmung der öffentlichen Geldgeber gefunden. Auf der anderen Seite war aber zwischenzeitlich erneut eine schwierige finanzielle Situation entstanden, die den Deutschen Musikrat ohne das Vorhandensein einer solchen vorübergehenden Rücklage in Gestalt des Insolvenzüberschusses in existenzgefährdende Schwierigkeiten gebracht hätte. Ursache war, dass von Seiten des Familienministeriums aus formalen Gründen mehrere Monate kein Geld überwiesen wurde. Es musste quasi eine Entleihung aus dem Insolvenzüberschuss stattfinden. Die Reaktion des Präsidiums darauf war: „Das darf uns nicht mehr geschehen. Der Musikrat muss zunächst in seinem Bestand und seiner Existenz endgültig gesichert werden.“ Daher wurde entschieden, aus diesem Geld eine Rücklage zu bilden. Unser weiterführender Vorschlag, einen Teil dieses Geldes in Projekte zu stecken, einen anderen Teil aber in eine Rücklage, wurde von der öffentlichen Geldgeber-Seite unter Berufung auf die Bundeshaushaltsordnung nicht akzeptiert, so dass es am Ende zum Rechtsstreit kam.

Geißler: Wäre es nicht leichter gewesen, die ganze Problematik zu veröffentlichen unter dem Aspekt, dass diese Form des Zuwendungsrechtes, also die Fehlbedarfsfinanzierung, möglicherweise ungeeignet ist für einen Kulturverband?
Krüger: Rein formal gesehen bekommen wir von Seiten des BKM und auch von Seiten der Länder eine Festbetragsfinanzierung. Das entbindet uns nicht von dem in der Bundeshaushaltsordnung festgeschriebenen Grundsatz, dass vorhandene Eigenmittel zunächst eingesetzt werden müssen, bevor der Bund überhaupt fördern darf.

Geißler: Hat der damalige Hauptausschuss „Jugend musiziert“ diese Mittel nicht dringend reklamiert? Im Grunde genommen ist ja am Willen der Erblasserin vorbei agiert worden.
Krüger: Zunächst erfolgte die Integration des Geldes in die Insolvenzmasse, die man sich als eine Art Whirlpool vorstellen kann, in dem jegliche Zweckbindung aufgehoben ist. Dies war im Übrigen unvermeidlich, weil die Mittel sonst gar nicht gereicht hätten, um die Insolvenz überhaupt durchzustehen. Nach sehr ernster Diskussion im Präsidium – das auch als Gesellschafterversammlung fungierte – setzte sich die Auffassung durch, dass zunächst einmal die Grundsicherung des Deutschen Musikrates gegeben sein muss, weil ein Scheitern des Deutschen Musikrates de facto auch ein Scheitern der Jugendprojekte bedeuten würde. Es ist nicht Aufgabe eines Projektbeirates, der immer vorrangig für sein Projekt kämpfen muss, übergeordnete Aspekte, die den Musikrat insgesamt betreffen, im Auge zu haben.

Geißler: Nach den Beschlüssen in Präsidium und Gesellschafterversammlung führte der DMR letztlich doch einen Prozess gegen das BKM.
Krüger: Es blieb uns überhaupt keine andere Wahl. Es war nämlich so, dass die öffentliche Hand, und zwar zunächst der BKM und dann das Bundesfamilienministerium, aus ihrem Rechtsverständnis heraus das Bundesverwaltungsamt veranlasst hat, die Zuwendungsbescheide, also die Mittel, die wir als Zuschuss jährlich bekommen, um genau den Betrag zu kürzen, der im Sinne einer Rücklage aus dem Insolvenz­überschuss zur Verfügung stand. Das heißt, wir wurden gezwungen, die­se Rücklage aufzulösen, das Geld einzusetzen. Die Klage richtete sich formal gegen das Bundesverwaltungsamt, und zwar gegen diese Kürzung der Zuwendung, die es uns unmöglich machte, die beschlossene Rücklage aufrechtzuerhalten.

Geißler: Wäre es nicht im Vorfeld einer juristischen Auseinandersetzung sinnvoll gewesen, das Ganze intern mit dem BKM zu diskutieren und dann, wenn das BKM auf seiner haushaltsrechtlichen Sicht der Dinge besteht, zu sagen: „So, jetzt gehen wir damit an die Öffentlichkeit!“? An so einem Beispiel lässt sich zumindest die moralische Fragwürdigkeit des Zuwendungsrechts recht deutlich machen.
Krüger: Der Begriff „Moral“ hat auch tatsächlich auf beiden Seiten eine Rolle gespielt. Es ist nicht zu bestreiten, dass gerade die Vertreter der öffentlichen Hand diese Erbschaft stark im Blick hatten, während der Deutsche Musik­rat der Auffassung war, dass die Frage der Erbschaftswidmung gegenüber der Grundsicherung nachrangig sei. Ich bin der Überzeugung, dass der Gang an die Öffentlichkeit nicht der richtige Weg gewesen wäre, weil das ohnehin in einer solchen Situation naturgemäß schon recht brüchige Porzellan wohl zerschlagen worden wäre. Diskussionen mit dem BKM haben natürlich stattgefunden. Auch das Parlament war eingebunden, zum Beispiel der damalige haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Steffen Kampeter. Am Ende blieben unterschiedliche Rechtsstandpunkte bestehen. So entstand auch die Auffassung, dass hier einmal eine grundsätzliche Klärung erfolgen müsse, da letztlich das im BGB verankerte GmbH-Recht dem Zuwendungsrecht unseres Erachtens widersprach. Das Gericht hat das aber anders gesehen.

Geißler: Nun gibt es ja Beispiele anderer Institutionen, etwa die Initiative Musik, Ruhr2010 oder die Bayreuther Festspiele, wo das BKM Rücklagen zugelassen hat. Warum konnte man aus diesen Informationen für den Musikrat keinen Honig saugen?
Krüger: Wir haben ja eine Entscheidung des Bundes angefochten. Das Gericht hat ausdrücklich festgestellt, dass es nicht darum ging, zu ermessen, ob der Bund auch anders hätte entscheiden können, sondern nur, ob er anders hätte entscheiden müssen. Und es stellte fest, dass ein öffentlicher Geldgeber sehr weit gefasste Entscheidungsspielräume hat. Das heißt, im Grunde genommen hätte die Vergleichbarkeit schon eine unmittelbare und vollständige sein müssen. Bei der Initiative Musik sind die Gelder von privater Seite zweckgebunden eingesetzt, können also nicht pauschal mit Geldern einer Zuwendung verrechnet werden. Es ist auch so, dass die öffentliche Hand uns immer versichert hat, dass man zweckgebundene Zuwendungen von dritter Seite nicht auf die zur Verfügung gestellten Festbeträge anrechnen werde. Eine solche Zweckbindung gab es im Fall der Insolvenzmasse jedoch nicht mehr.

Geißler: Nun gab es die einstimmige Empfehlung des Satzungs- und Finanzausschusses, doch in Berufung zu gehen. Wir haben Ihnen quasi moralisch den Vorwurf gemacht, Sie hätten eine Gesellschafterversammlung einberufen, die sehr dünn, nämlich mit nur 5 von 19 Mitgliedern, besetzt war, und in diesem dürftigen Rahmen diese Empfehlung gekippt. Wie sehen Sie das?
Krüger: Der Ausschuss hat eine Beschlussempfehlung abgegeben, die nach meiner Auffassung eine Aussprache unabdingbar und damit eine Entscheidung im Umlaufverfahren unmöglich machte. Das Präsidium hatte bereits davor, am 11. Februar in Mainz, als Gesellschafterversammlung einstimmig den Beschluss gefasst, dass eine außerordentliche Gesellschafterversammlung nach Vorliegen der Urteilsbegründung einberufen werden solle. Von einem undemokratischen Vorgang kann hier sicher keine Rede sein, denn es hätten alle die Möglichkeit gehabt zu kommen. Ich danke jedem einzelnen, unabhängig von seiner persönlichen Meinung, der nach Bonn gekommen ist, um diese schwerwiegende Entscheidung zu treffen, die nach meiner festen Überzeugung auch bei vollzähligem Erscheinen so ausgefallen wäre.

Geißler: Als Repräsentant einer verdienstvollen zivilgesellschaftlichen Institution kann man doch mit sehr festem Schritt auftreten und die in der Administration beschlagenen, aber fachlich doch recht beschränkt kompetenten Ministeriumsvertreter mit klaren Vorstellungen konfrontieren.
Krüger: Die Zusammenarbeit mit den Ministerien ist vertrauensvoll und von Sachkompetenz geprägt – und zwar auf allen Ebenen. Der Deutsche Musikrat steht als Ratgeber, Mahner und Gestalter seiner musikpolitischen und projektbezogenen Arbeit in der Verantwortung eines zivilgesellschaftlichen Dachverbandes. Daraus ergibt sich in kritischer Solidarität ein partnerschaftlicher Dialog, der nicht immer auf dem öffentlichen Marktplatz ausgetragen werden sollte.

Geißler: Die Ministerialbeamten hätten in erster Linie darüber zu befinden, wie das Zuwendungsgeschehen zu handhaben ist. Gelegentlich nehmen sie sich auch noch heraus, inhaltlich zu bestimmen. Soeben wurde der Bundesjugendchor nicht im Schoß des Musikrats angesiedelt, sondern in einem angeschlagenen Verband, nämlich der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände. Und das, obwohl der Vizepräsident des Deutschen Musikrates, Hans-Willi Hefekäuser, eigentlich dazu verpflichtet gewesen wäre, das Ganze so zu betreiben, dass dieses neue Förder-Projekt sinnvollerweise bei der Musikrats-gGmbh angesiedelt worden wäre – und nicht ausgelagert in eine Struktur, die möglicherweise gar nicht in der Lage ist, dieses Projekt zu stemmen.
Krüger: Ich möchte zunächst zur Ehrenrettung von Herrn Hefekäuser sagen, dass er bereits vor einigen Jahren in einem Spitzengespräch der Vertreter der Laienverbände mit unserem Generalsekretär Christian Höppner und mir über das Thema Bundesjugendchor gesprochen hat. Ich habe bereits damals – kurz nach Abschluss der Insolvenz – darauf hingewiesen, dass der Musik­rat sicherlich von der Sache her die Gründung eines solchen Chores immer nur befürworten könne, dass wir es auf der anderen Seite aus den vorhandenen Mitteln aber nicht leisten könnten. Das Präsidium des Deutschen Musikrates hat sich in Mainz gemeinsam mit der Konferenz der Landesmusikräte sehr umfassend mit dem Thema befasst und ist zu dem Schluss gekommen, dass zunächst Einvernehmen in der Zusammenarbeit der großen Chorverbände herzustellen sei. Dann kann die Analyse und gegebenenfalls gemeinsame Beschlussfassung erfolgen. Ich habe den Eindruck, dass der BKM diese Haltung teilt.

Geißler: Nun ist das BKM ja um 700.000 Euro reicher, und man könnte den Schluss ziehen, dass dieses Geld jetzt verwendet wird, um so einen Bundesjugendchor zu finanzieren. Eigentlich eine schöne Möglichkeit für die gGmbH, im Sinne der Erblasserin Jugendbildung zu betreiben.
Krüger: Der Anteil, der auf das gegebenenfalls zuständige Jugend­ministerium entfiel – etwa 210.000 Euro – ist dort nach dessen Bekunden nicht mehr vorhanden. Die Rücklage dort wurde, nachdem der Prozess entschieden war, aufgelöst. Grundsätzlich gilt: Ein ­nationales Spitzenensemble im Bereich des Chorsingens kann nur Erfolg ­haben und auch nur vom Deutschen Musik­rat ausdrücklich unterstützt werden, wenn sich im Chorbereich alle darüber einig sind, dass sie dieses En­semble ­wollen und auch bestücken werden. Das scheint mir im Augenblick noch nicht ausreichend gesichert.

Geißler: Es war spürbar, dass die gGmbH durchaus erfreut darüber gewesen wäre, dieses Projekt in den Kanon ihrer Maßnahmen mit einzubinden. Dass aber nun ein Mitglied des Präsidiums solche sinnvollen Maßnahmen konterkariert, lässt den Verdacht aufkommen, dass dahinter ein gewisses Klientel-Interesse steckt. In dem Zusammenhang frage ich, ist ein 19-köpfiges Präsidium, in dem jeder Vertreter ein Partikular-Interesse hat, nicht ein Instrument, das die Effizienz des Musik­rates schwächt?
Krüger: Die Frage ist legitim. Allerdings möchte ich mich nur auf den Punkt der Effizienz beziehen, nicht auf das Stichwort Partikular-Interesse. Ich attestiere ausdrücklich jedem einzelnen Präsidiumsmitglied, dass es ihm stets um das Gesamtinteresse geht – auch beim Thema Bundesjugendchor. Die reine Zahl sollte man in Abständen hinterfragen. Die letzte Satzungs-Weichenstellung in dieser Hinsicht hat 2005 stattgefunden.

Geißler: Was möchten Sie in den nächs­ten zweieinhalb Jahren Ihrer Amtszeit erreichen?
Krüger: Ausgehend von unserem Grundsatzprogramm und den drei Berliner Appellen möchte ich unsere inhaltlich exzellente Aufstellung fortentwickeln, damit eine der Kernaufgaben des Musikrates – musikpolitische Impulse zu setzen – weiter an Wirksamkeit gewinnen kann. Die Projekte sollten dabei – zusätzlich zu dem Fördergedanken – noch stärker die musikpolitischen Ziele aufnehmen.

Geißler: Der Deutsche Kulturrat hat innerhalb kürzester Zeit seinen Kultur-gut-stärken-Tag in der Öffentlichkeit platziert. Warum ist der Tag der Musik des Deutschen Musikrates bisher so wenig ins öffentliche Bewusstsein gedrungen?
Krüger: Bei 1.500 Veranstaltungen, 90.000 Mitwirkenden, 600.000 Besuchern und einer sehr erfreulichen ­Medienresonanz kann man nicht von einer geringen Wahrnehmung sprechen. Ich freue mich, dass es uns gemeinsam mit den Akteuren gelungen ist, mit dem Tag der Musik eine Marke zu etablieren, die für die musikalische Vielfalt einerseits und das Anmahnen ver­besserter Rahmenbedingungen andererseits steht. Mit dem Aktionstag des Kulturrates verbindet uns das gemeinsame Engage­ment für die kulturelle Vielfalt. Diese thematische Brücke sollten wir weiter verstärken.  ¢

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