Berlin - Eltern, Kinder und Jugendliche müssen sich auf eine völlig neue Situation einstellen. Die meisten Bundesländer wollen Schulen und Kitas vorerst dichtmachen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Welche Folgen hat das?
Millionen Eltern und Kinder in Deutschland stehen vor einer beispiellosen Herausforderung: Aus Angst vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus wollen fast alle Bundesländer Schulen und Kitas Anfang nächster Woche vorerst schließen. Am Freitag kündigten zwölf Länder flächendeckende Schließungen an: Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Berlin, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. Die meisten Länder werden die Schulen und Kitas bis zum Ende der Osterferien geschlossen halten, also bis Mitte oder Ende April.
Mecklenburg-Vorpommern will an diesem Samstag über flächendeckende Maßnahmen entscheiden. Sachsen will am Montag zunächst die Schulpflicht aussetzen; Lehrer, Schüler und Eltern sollen auf diese Weise Zeit bekommen, sich auf Schulschließungen vorzubereiten. Den genauen Zeitpunkt will die Landesregierung kommende Woche festlegen. Brandenburg setzt den regulären Schulunterricht von Mittwoch an vorerst aus. Der Schulbesuch ist damit weiter möglich, aber nicht mehr verpflichtend. Eine ähnliche Regelung gibt es in Hessen ab Montag.
Millionen Eltern in Deutschland müssen sich nun Gedanken machen, wie sie in den kommenden Wochen die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen. Der Bundeselternrat forderte Unterstützung für Väter und Mütter. «Hierbei muss eine Prioritätenliste erstellt werden, welche Berufsgruppen vorrangig Anspruch haben, um das öffentliche Leben und die Versorgung aufrechtzuerhalten», sagte der Vorsitzende Stephan Wassmuth der Deutschen Presse-Agentur. Die Rahmenbedingungen dafür müssten bundesweit gleich sein. Der Staat stehe hier in der Pflicht.
Bayern hat bereits angekündigt, einen Notfallplan für die Betreuung bestimmter Kinder in Kraft zu setzen. «Wir werden eine Betreuung sicherstellen für Eltern, die in systemkritischem Berufen tätig sind», sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) in München. In Bayern werden ab Montag alle Schulen, Kindergärten und Kitas bis zum Beginn der Osterferien am 6. April geschlossen. Damit sind faktisch bis zum 20. April die Bildungseinrichtungen dicht.
Um die Kinderbetreuung zu gewährleisten, appellierte die bayerische Arbeitsministerin Carolina Trautner (CSU) an die Arbeitgeber. Arbeitszeiten sollten flexibel gestaltet werden. Wo möglich, solle im Homeoffice gearbeitet werden. Wenn dies nicht möglich ist, solle zunächst Urlaub in Betracht gezogen werden. Es soll Notgruppen für Kinder geben, wenn die einzig verfügbare Betreuungsperson etwa in medizinischen Bereichen oder bei Hilfsorganisationen arbeitet.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey verwies auf die Probleme, die flächendeckende Schulschließungen mit sich bringen. Ein solcher Schritt würde Eltern betreffen, die dann in Kliniken, in der Pflege oder Arztpraxen fehlen würden, sagte die SPD-Politikerin der Rhein-Neckar-Zeitung (Freitag). «Häufig springen die Großeltern bei der Betreuung ein. Damit würden die Älteren gerade aber umso mehr gefährdet.»
Weil gerade alte Menschen zur Hauptrisikogruppe zählen, sollte die Betreuung von Kindern nicht bei den Großeltern organisiert werden. In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt - einschließlich Berufsschulen - rund 43 000 Schulen mit 11 Millionen Schülern und 820 000 Lehrern.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) betrachtet die Entwicklung mit Sorge. Klar sei, dass die Schließungen eine große Belastung für die Familien seien, sagte GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Auf der anderen Seite sei ein Ausgleich des entfallenen Unterrichts nur schwer möglich. «Die Schulen in Deutschland sind nicht flächendeckend darauf vorbereitet, Fernunterricht zu erteilen.»
Schulen und Kitas in Deutschland machen zu - Welche Folgen hat das?
Von Jörg Ratzsch und Christoph Dernbach, dpa
Ein Bundesland nach dem anderen hat am Freitag flächendeckende Schul- und Kitaschließungen bekannt gegeben. Millionen Eltern, Kinder und Jugendliche müssen nun ihren Alltag ganz neu planen.
Berlin (dpa) - Am Ende ging alles ganz schnell: Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am späten Donnerstagabend Schul- und Kitaschließungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus zur Option erklärt hatte, entschlossen sich am Freitag die meisten Bundesländer dazu, flächendeckend ihre Einrichtungen zu schließen. Auf den Alltag von vielen Menschen wird das gravierende Auswirkungen haben.
Warum überhaupt solche drastischen Maßnahmen?
Die gegenseitige Ansteckung mit dem Virus soll so stark wie möglich eingeschränkt und seine Ausbreitung so möglichst verlangsamt werden. Es geht vor allem darum, dass immer genügend Behandlungskapazitäten auf Intensivstationen mit Beatmungsmöglichkeiten für die schwerwiegenden Fälle zur Verfügung stehen. Wenn sich zu viele auf einmal anstecken, könnte es zu Engpässen kommen.
Wie lange sollen die Schul- und Kitaschließungen dauern?
Das wird in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Hamburg verlängert seine schon laufenden Frühjahrsferien erst einmal bis Ende März. Andere Länder machen ab kommender Woche die Schulen und Kitas für mindestens fünf Wochen zu. Je nach Ferienkalender überlappen sich Schließung und Osterferien oder die Ferien schließen sich direkt an die Schließung an. Wie lange der Bildungs- und Kitaausstand wirklich dauern wird, kann noch keiner genau sagen. Im Moment könne man nur einen Zeitraum bis Ostern überblicken, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am Freitag. Ostersonntag ist am 12. April, das sind also fünf Wochen.
Sollten nach und nach alle Schulen und Kitas schließen, wie viele Menschen wären dann betroffen?
In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt - einschließlich Berufsschulen - rund 43 000 Schulen mit 11 Millionen Schülern und 820 000 Lehrern. Die ausfallende Kinderbetreuung wird vor allem die Eltern der rund 2,8 Millionen Grundschulkinder treffen und die Eltern von insgesamt rund 3,6 Millionen Kita-Kindern.
Inwiefern sind Privatschulen betroffen?
Genauso wie staatliche. Wenn es behördliche Anordnungen zur Schließung für Schulen gebe, dann betreffe das genauso die Privatschulen, hieß es am Freitag beim Verband Deutscher Privatschulverbände in Berlin. In Deutschland besuchen nach Angaben des Verbandes rund eine Million Schüler allgemein- und berufsbildende Privatschulen.
Warum sollten die Großeltern diesmal nicht einspringen?
Ältere Menschen zählen zur Risikogruppe, bei denen eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus eher zu einem schweren Verlauf führen kann. Deshalb raten zum Beispiel Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) oder Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) davon ab, Oma und Opa einzuspannen, wenn die Kita zumacht.
Aber Eltern können ja nicht einfach von der Arbeit weg bleiben...
Hier wird noch über Möglichkeiten beraten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte am Freitag in Berlin bei der Präsentation von Milliardenhilfen für die Wirtschaft, es werde auch geprüft, welche Folgen es hat, wenn Menschen nicht mehr zur Arbeit kommen, weil sie ihre Kinder betreuen müssen - Bund, Länder und Kommunen seien gefordert. Die Länder versuchen Notbetreuungen auf die Beine zu stellen. Es geht dabei vor allem darum, dass Eltern in sogenannten kritischen Berufen, wie Polizei, Feuerwehr, Krankenpflege oder Rettungsdienst weiterhin zur Arbeit gehen können.
Sind die Schulen in Deutschland in der Lage, einen Schul-Ersatzbetrieb im Internet auf die Beine zu stellen?
Von den rund 32 000 Schulen in Deutschland sind bislang nur die wenigsten in der Lage, bei einer Schließung auf das Internet auszuweichen. Zwar gibt es in den Bundesländern teilweise Online-Plattformen wie das System «mebis» in Bayern, die aber nicht für einen flächendeckenden Ersatz von geschlossenen Schulen ausgelegt sind. Andere Projekte wie die digitale Bildungsplattform «Logineo» in Nordrhein-Westfalen oder «ella» in Baden-Württemberg laufen nicht rund oder gelten als gescheitert. In Ländern wie Dänemark dagegen gibt es nationale Plattformen, die schon jetzt flächendeckend begleitend zum herkömmlichen Unterricht eingesetzt werden und bei einer Schließung der Schulen die größten Lücken schließen können.
Was ist mit der oft zitierten «Schul-Cloud»?
Die «Schul-Cloud» ist ein Projekt des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) an der Universität Potsdam. Bislang ist das aber noch in der Pilotphase. Schulen in Brandenburg, Thüringen und Niedersachsen arbeiten damit. Auf der Plattform können Texte Präsentationen und andere Dokumente online erstellt und abgespeichert werden, auch Gruppenarbeiten. Außerdem gibt es einen Messenger und andere Möglichkeiten, mit denen Lehrer und Schüler nach geltenden Datenschutzstandards kommunizieren können. Lehrer können Hausaufgaben online stellen, die dann im Netz bearbeitet und zu einem bestimmten Termin wieder zurückgesendet werden können. Das System unterstützt auch Feedback-Möglichkeiten und Benotungen und ermöglicht zumindest für die teilnehmenden Schulen schon heute einen Ersatzbetrieb.