Mauricio Kagel sagte einmal in Bezug auf mikrotonale Notationsweisen, dass er die gar nicht bräuchte. Seine Partituren würden auch so immer mit Viertelton-Unschärfen gespielt, zumindest wenn bestallte städtische Orchester sich an ihnen versuchten. Daran mochte man denken, wenn sich die Nationalmannschaften vor der Tätigkeit, die eines Fußballspielers Sache ist (z.B. die immer noch griffige Müller-Regel: „Bums und Tor!“) zur Exekution der Nationalhymne formierten. Denn das war eine der Infamien der High-Tech-Länder Japan und Korea. Das Mikrophon, die drahtlose Übermittlung waren immer dabei und der sich an seiner nationalen Vorzeigeweise versuchende Fußballspieler wurde schamlos in höhere Dezibel-Bereiche gesteuert. Dabei entstanden Kunstwerke ganz anderer Natur.
Mauricio Kagel sagte einmal in Bezug auf mikrotonale Notationsweisen, dass er die gar nicht bräuchte. Seine Partituren würden auch so immer mit Viertelton-Unschärfen gespielt, zumindest wenn bestallte städtische Orchester sich an ihnen versuchten. Daran mochte man denken, wenn sich die Nationalmannschaften vor der Tätigkeit, die eines Fußballspielers Sache ist (z.B. die immer noch griffige Müller-Regel: „Bums und Tor!“) zur Exekution der Nationalhymne formierten. Denn das war eine der Infamien der High-Tech-Länder Japan und Korea. Das Mikrophon, die drahtlose Übermittlung waren immer dabei und der sich an seiner nationalen Vorzeigeweise versuchende Fußballspieler wurde schamlos in höhere Dezibel-Bereiche gesteuert. Dabei entstanden Kunstwerke ganz anderer Natur.In Umkehrung einer Volksweisheit meinten wohl die Balltreter: „Was man in den Beinen hat, muss man nicht im Kopf haben – und schon gar nicht in der Kehle.“ Und so bildeten sich harmonische Grauräume, die zu notieren sich bislang schon ganze Avantgarde-Generationen vergeblich abmühten. Wer nun meint, dass feine Differenzierung sich so nicht ausbilden könne, sah sich, die erstaunten Ohren geöffnet, getäuscht. Denn eine Nationalweise, die ins kämpferische Moll tendiert, wie etwa die türkische, geriet unversehens zur subtil ausgehörten, mit feiner Mikrotonalität durchsetzten Cluster-Fläche. Und das Rossini-artige Brio der brasilianischen Hymne führte zu spannend dicht geführten rhythmischen Engführungen, Hoketus-artigen Verstellungen und komplexen Überlagerungsstrukturen, auf die jeder minimalistische Komponist, würde er sie zu Papier bringen, zu Recht stolz wäre. Aber auch die Technik der Ein-Ton-Stücke à la Scelsi kam nicht zu kurz. Die eingeschüchterten Polen zum Beispiel mochten ihrem Text „Noch ist Polen nicht verloren“ wohl längst nicht mehr trauen und wagten sich darob auch melodisch nicht nach vorn: Wunderbar die Nuancen auf einem Ton, in dem sich die ganze Welt in ihrer Fatalität spiegelte. Avantgardistische Techniken allerorten! Noise-Art, Scratching, Polymetren, Polystilismen, Arte Povera –und angesichts des runden Objektes der Begierde in den Händen des Schiedsrichters mochte auch mancher über die Kugelgestalt der Zeit räsonieren.Wenn man noch die kritisch gebrochene Doppelbödigkeit der deutschen Hymne in der Interpretation durch die hiesigen Ballartisten hinzunimmt (bei „Deutschland, Deutschland über alles“ im Kleinhirn formen sich die Lippen zu „Einigkeit und Recht und Freiheit“), dann muss man zugeben: Hier entstand ein hymnisches Gesamtkunstwerk. Vielleicht heißt es schon bei der nächsten WM (laut Uwe: „Bei uns zu Hause“) nicht mehr: „Geh’n wir Fußball gucken“, sondern viel emphatischer: „Geh’n wir Hymnen horchen“. Abwechslung ist garantiert.