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Volkslied adé?

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Cluster 2015/06 - Martin Hufner
Publikationsdatum
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Scheiden tut weh. Wer sich musizierend aus dem Fenster lehnt, steht, sprichwörtlich, mit einem Fuß im Gefängnis. „Singen bleibt erlaubt“, sagt da zwar der Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins MusikWoche, aber was und wo und mit wem, kann schon auch eine Geldfrage sein; mal eine kleine, mal eine große. Das Problem neulich: Eine Gema-Bezirksdirektion im Norden hat der Veranstalterin eines Senioren-Singe-Kränzchen im idyllischen Fahrdorf eine Rechnung zukommen lassen wegen vermutetem Singens urheberrechtlich geschützten (Volks-)Liedmaterials (aber so präzise vermutet man das natürlich nicht). Das alles ohne Not, ohne Quellenprüfung, weil es in der Zeitung stand. Nachdem sich im Nachhinein heraus gestellt hat, dass die Veranstaltung offenbar nicht öffentlich gewesen sei, zog man die Rechnung zurück.

Da war aber die Katze bereits aus dem Sack und bezog beim Schleichen durchs Netz-Dorf haufenweise Prügel. Darf man etwa nicht einmal mehr Volkslieder singen, ohne dafür irgendwie zahlen zu müssen?
Kommt drauf an. Volkslied ist eben nicht Volkslied, vor allem interessiert so eine unwissenschaftliche Kategorie das Urheberrecht überhaupt nicht. Wichtig im Sinne des Rechts ist, dass Komponist und Texter und/oder Bearbeiter mindestens 70 Jahre töter sind als diejenigen, die das gerade singen. So geht lebendige Musikkultur!

Das Urheberrecht interessiert sich auch nicht für Menschen, welcher Art, welchen Alters und Zustandes auch immer. Das Urheberrecht im weiteren Sinne beschützt nämlich die Werke und deren Urheber vor unautorisierter Benutzung ohne Lizenz. Natürlich nur, wenn der Gegner schwach genug ist: Senioren in Irgendwo, ein Uhrmacher aus Posemuckel oder eine Hochzeitsgesellschaft in Dingsda sind da schnell pro Forma abgezogen. Gegenüber dem Selfie-Video-Portal YouTube stehen dagegen einige Rechnungen der Gema im Raum, die jedoch nie gestellt wurden. Die Empfehlung muss daher lauten: Liebe Senioren, singt in Zukunft doch einfach in einem Google-Hangout zusammen. Da seid ihr bislang total sicher, selbst mit „Hoch auf dem gelben Wagen“.

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