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Elvis & Co.
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Kultur bedeutet Aufschub: Sie verhindert, dass man sich dem Schmerz und der Lust sofort und vollkommen hingibt. Sie bewahrt einen vor dem, was der Philosoph Hans Blumenberg den Absolutismus der Wirklichkeit genannt hat. Sie mildert und sublimiert sogar die eigenen Ängste und Wünsche. Sie schützt und sie entfremdet. Kultur hat es mit Repräsentation zu tun. Sie ist das Terrain der „substitutes“.

Kultur bedeutet Aufschub: Sie verhindert, dass man sich dem Schmerz und der Lust sofort und vollkommen hingibt. Sie bewahrt einen vor dem, was der Philosoph Hans Blumenberg den Absolutismus der Wirklichkeit genannt hat. Sie mildert und sublimiert sogar die eigenen Ängste und Wünsche. Sie schützt und sie entfremdet. Kultur hat es mit Repräsentation zu tun. Sie ist das Terrain der „substitutes“.Der klassische Stellvertreter ist der Held. Er handelt für uns. Er verkörpert, was wir sind oder sein wollen, was aber in uns meist diffus, unausgesprochen bleibt. Wer, wie es in der Moderne nicht selten geschah, die Kunst „demokratisieren“ möchte, will sie, genauer: die Repräsentation, die Stellvertretung, die Entfremdung in Wahrheit abschaffen. „Jeder ist ein Künstler“ (Beuys)? Nur, wenn die Kunst im veränderten Alltag aufgehoben, wenn sie „soziale Plastik“ werden soll. Bei David Bowie und im Punk nahm derselbe Gedanke eine realistischere und desperatere Form an: Jeder kann ein Held sein – aber nur für eine Viertelstunde.
Kultur ist aber auch, fast vom ersten Augenblick an, reflexiv: Jeder Künstler antwortet auf etwas, was schon da ist – und das ist, in vielen Fällen, andere Kunst. Die Welt, mit der wir es zu tun bekommen, ist meist von anderen schon vorformuliert. So wird aus dem Autodidakten Declan MacManus konsequenterweise die Kunst-Figur Elvis Costello. Auch im Lande Pop geht es stets um Verbrechen und andere Leidenschaften. Und mögen auch die Bedürfnisse und Energien noch so originär und authentisch sein, die Bilder und Geschichten sind es nur selten. Sie sind Reste der Vergangenheit; Rollen, Masken und Muster, die so plausibel oder suggestiv waren, dass sie überdauerten. Elvis Costello, der sich selbst in den späten 70ern als Punk nur kostümierte, weil das damals „This Year’s Model“ (so der Titel eines frühen Albums) war, kennt das Spiel der Kultur. Selbst seine treuherzigsten Behauptungen („My Aim Is True“) sind deshalb mit Vorsicht zu genießen.

Das Raffinement im Sekundären beziehungsweise der Weiterverarbeitung dessen, was schon war, bewahrte freilich auch den neuen Elvis nicht vor Labyrinth und Irrweg. Für den Pop- und Punk-Underdog ist das meist die Verlockung der so genannten „Hochkultur“: Elvis Costello komponierte für das Brodsky Quartet („The Juliet Letters“), er ließ seine Songs von Neville Mariner und der Academy of St. Martin-in-the-Fields aufführen, er performte selbst „O Mistress Mine“ aus Shakespeares Zwölfter Nacht.

Eine Sehnsucht nach dem Theater, die ganz vergisst, dass Pop selbst schon die beste Bühne ist. Jetzt endlich, nach sieben langen Jahren, die kulturbetriebsfett daherkamen, aber vielleicht doch eher mager waren, ein neues „authentisches“ Elvis Costello-Album, das schon im Titel („When I Was Cruel“, bei Universal Island Def Jam) andeutet, wo es herkommt und hingehört. Gleich im Opener „45“ diskutiert er auf schwindelerregende Weise, wie die Pop- und die reale Schreckens-Geschichte sich ständig aufeinander beziehen, wie alles, was war, die eigene Biografie prägt und versehrt und wie virtuos man sich selbst auf einer kleinen, rotierenden Scheibe drehen kann: „There’s a rebel in a nylon shirt“ – so fangen Geschichten an, von denen man nicht weiß, wie sie jemals enden sollen. Die regressiven Fantasien, denen E. C. auf „Spooky Girlfriend“ freien Lauf lässt: „ I want a girl who has no past“, helfen jedenfalls kaum weiter.

Ein nicht minder raffiniertes Spiel treibt seit längerem Chris Isaak, auch wenn er in seiner Lieblingsrolle als Second-Hand-Cowboy gern das „true heart“ gibt, das einst selbst einen eiskalten Beobachter wie Flaubert betörte. Chris Isaak hat, wie noch einige andere Groß-Pathetiker und Retro-Virtuosen, mit leitmotivischen Titelsongs zu zwei großen Filmen von David Lynch und Stanley Kubrick Karriere gemacht: „Wicked Game“ deutete an, worin es in „Wild At Heart“, diesem ultimaten Pop-Mythen-Recycling-Kino des Zeichen-Zauberers Lynch, geht. Und „Baby Did a Bad Bad Thing“ gab den Grundton von Kubricks Schnitzler-Verfilmung „Eyes Wide Shut“ vor, in der es auch um das geht, was den Menschen vom Tier unterscheidet: die Möglichkeit der Täuschung nämlich, samt all den Szenerien und Hysterien etwa der Eifersucht, die sie hervortreibt. Mittlerweile ist Chris Isaak in den USA an der Seite Bridget Fondas mit einer eigenen Serie, die verstörenderweise „Show“ heißt, ein Fernseh-Star. Sein neues Album „Always Got Tonight“ (bei WEA) schreibt seine Elvis-aus-zweiter-Hand-Inszenierungen auf hohem, manchmal höchstem Niveau fort. Neues, Überraschendes fehlt freilich weitgehend.

Die Alternative zu „bigger than life“ ist seit längerem „lo-fi“, der reduzierte Charme all der „homemade“-Helden, die bedrängende Ängste und Wünsche nicht zur Weiterverarbeitung an die Kulturindustrie delegieren, sondern als Wohnzimmer-Mythomanen selbst Hand anlegen. „Songs: Ohio“ gehört zweifelsohne zu den berückendsten Projekten in der mittlerweile großen Will-Oldham-Tradition.

In Chicago, der Heimat von Tortoise und Sea and Cake, sollen schon diverse „Ohio“-Alben im Umlauf sein; mit „Didn’t It Rain“ (Secretly Canadian/Cargo) tritt der Jason Molina-Freundeskreis jetzt paradoxerweise selbst ins Zeitalter der Globalisierung ein und gibt uns elvissüchtigen Alteuropäern die Gelegenheit, uns in diese wunderbar herabgetuneten Pop-Mantras einzuloggen: aufregende Bilder und betörende Geschichten in souveränem Understatement präsentiert; statt „live fast“ gewissermaßen „stand by“.

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