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Cosi fan tutte. Team eins. Foto: Alexander Wenzel
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„Das Abseits hat seine Abseitsfalle auch bereits mitgebracht“ – Dreimal „Così fan tutte" in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin

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Der im Dezember 2000 in seiner Amtausübung verstorbene Generalintendant Götz Friedrich hatte sich für die Deutsche Oper Berlin immer eine zweite Spielstätte im Hause gewünscht. Intendant Dietmar Schwarz ist dies, dank der Auslagerung der Werkstätten, ganz ohne Neubau gelungen: für vergleichweise wohlfeile 22 € auf allen Plätzen einer Zuschauertribüne in der ehemaligen Tischlerei, wird den Besuchern nun schon im zweiten Jahr ein Programm mit Aufführungen des neueren und neuesten Musiktheaters geboten.

Parallel zu einem prominent besetzten Symposion über „Die Zukunft der Oper“ gibt es ein dreitägiges Gastspiel der Kunstuniversität Graz mit drei unterschiedlichen Inszenierungen von Mozarts „Così fan tutte“: drei Regisseure hatten die Auflage, dass ihre Inszenierung Mozarts und Da Pontes Spielvorlage nicht interpretiert, sondern statt dessen performative Künste einfließen lässt, ganz bewusst „Erwartungen enttäuscht, auf Überraschung setzt und auf Irritation“, mit dem Ziel, „dem Publikum die Freiheit zu eröffnen, zum Akteur seiner eigenen Zustände, Erkenntnisse und Erfahrungen mit dem Ereignis zu werden, statt es, wie sonst in der Oper zumeist, mit einer vorgeprägten Interpretation des Geschehens zu konfrontieren“ (Barbara Bayer im Programmheft).

Selbstredend findet in Clara Hinterbergers Inszenierung die originale Handlung nicht statt, aber was passiert stattdessen an diesem langen Opernabend? „Das polyphone Gewebe dieses Musiktheaterereignis ist durchaus auf Verwirrung angelegt“ (Hinterberger).

Mozarts Arien werden bisweilen abrupt abgebrochen, der Gesang jenseits des Notentextes weiter entwickelt, der Orchesterklang mit elektronischer Improvisation kombiniert. Mal wird in eine Arie eine lange Pause eingefügt und dann im Pianisissimo ins Mikro säuselnd, fortgefahren, die Nummer als ein Schmachtfetzen interpretiert, häufig wird der Gesang überlagert mit gesprochenen Kommentaren der Sängerdarsteller.

Auf der linken Seite der Bühne ist das Orchester positioniert, rechts eine Klangformation mit Akkordeon, Bass-Saxophon und ich Gitarre, deren Spieler sich auch ins Geschehen auf der Bühne mischen sowie in die Live-Video-Projektionen, die auf zwei Screens gezeigt werden: die Live-Situation auf der Straße vor dem Eingang zur Tischlerei auf der einen Seite, Bilder von der Garderobe und hinter der Szene auf der anderen.

Die asiatische Pianistin wechselt zwischen dem Cembalo im Orchester und einem auch für elektronische Verfremdung taugenden Harmonium auf der rechten Bühnenseite, oder sie spielt auf der Hinterbühne, im Video sichtbar, ein Keyboard mit Klavierklang. Fünfstimmig ertönt „Happy Birthday to you“ und signalisiert eine völlig andere Gefühlswelt. Ein weiteres Lied erfolgt – wie im der Opernpraxis im 19. Jahrhundert – als Einleg-Nummer.

Die Sängerdarsteller geben Statements in israelischer, slowenischer, ungarischer, ukrainischer und koreanischer Sprache, zeitversetzt werden diese auch als Text projiziert, etwa Aussagen über das Verbot der Musik im Iran, oder „Das Abseits hat seine Abseitsfalle auch bereits mitgebracht.“

Die teilweise mehrfach überblendeten Live-Projektionen werden kombiniert mit vorproduzierten Filmen, etwa Guglielmo am Steuer seines Wagens oder Despina auf dem Parkplatz der Deutschen Oper.

Schattenrisse einer Giraffe und eines Gewehres initiieren die Handlung und setzen gleichzeitig auf Irritation. Erst eine Viertelstunde nach Beginn tritt auch das Orchester auf. Welche Darsteller welche Rollen spielen, ergibt sich erst langsam und nur im Kopf des Zuschauers, wenn dieser die Opernhandlung aus anderen Aufführungen kennt. Einzig Despina (Zuzana Ballanova) trägt ein Rokokokostüm (Ausstattung: Anika Söhnholz). Wie in herkömmlichen Inszenierungen hat, Dorabella (Valentyna Halúshko) ein Medaillon mit dem Bild ihres Partners um den Hals gehängt, spielt aber nicht damit.

Das verstärkte Cembalo überlagert sich mit Pop-Musik, Mozarts Musik bricht umso nachhaltiger in die a cappella Momente, und auch die Reibungen mit den Kontrabass-Regionen der Improvisationsgruppe sind durchaus wirkungsstark. Zur Hypothese des Don Alfonso (Szabolcs Hamori) sieht man auf der linken Videowand, dass der Intendant nicht der Aufführung beiwohnt, sondern mit einer Tänzerin auf der Straße schäkert.

Vereinzelt verlassen immer wieder Zuschauer das Auditorium, was bei Don Alfonsos Worten „son partiti“ einen ungeplanten Lacher auslöst. Heiterkeit erzeugen bisweilen auch Ausschnitte aus einer klassischen Verfilmung von „Così fan tutte“. Singen in der klassischen Opernversion etwa die beiden Freundinnen mit weißen Schirmen, so trägt in der Live-Version Fiordiligi einen schwarzen Schirm. Zu den neuen Spielmotiven gehört der vergebliche Versuch von Ferrando (Mahdi Zareiniakan), mit einem älteren Strippen-Telefon einen Anschluss zu bekommen, er stapelt Telefonbücher und im zweiten Teil tut es ihm Fiordiligi (Margarita Misihaev) gleich; sie singt auch mal ein Rezitativ auf hebräisch oder summt ein Nachspiel ins Mikro mit. Guglielmo (David Park) übt Karate oder filmt sich selbst. Don Alfonso (Szabolcs Hamori), als ein Medium der Öffentlichkeit, umhüllt ein ansteigendes Seil mit Zeitungen oder nimmt auch mal eine Zeitung als Visier vors Gesicht.

Prosecco aus 120 Flaschen und Plastikbecher stehen fürs Publikum im Verlauf der Opernaufführung (aber nicht in der späten Pause) unentgeltlich zur Verfügung.

Vor der Pause legt Guglielmo Engelsflügel und Don Alfonso Schwimmflügel an und Despina spielt mit Leuchtkugeln, mit denen nach der Pause das Ensemble durchaus konventionell agiert.

Der letzte Teil (klassisch: das zweite Bild des zweiten Aktes) gerät im Verlauf aber leider äußerst redundant, beginnend mit einer Talkrunde über die Frage, „Wieviel Musik braucht der Mensch?“

Die Heimkehr der Verlobten wird von allen mit den Leuchtkugeln choreographisch frei bebildert. Das Tänzerpaar (Dorothea Lübbe und Martin Miotk) kommt im Paarschritt auf die Bühne um dem Publikum Prosecco nachzuschenken. Dorabella bläst Luftschlangen, und der Dirigent wird live auf die rechte Videowand projiziert. Nicht als Innovation intendiert ist es wohl, dass Bühne und Orchester häufig nicht zusammen sind. Gleichwohl sorgt der Dirigent Moritz Gnann für originelle Tempi.

Fragen und Antworten der Sängerdarsteller laufen aber ins Leere, etwa „Wie bist du nach Deutschland gekommen?“, Antwort: „Mit dem Flugzeug!“

Auf dunkler Bühne dann die (Nicht-)Wiedererkennung der Paare. Auch der Schlussgesang erfolgt im Dunkeln, während der Zuschauer den Opernschluss auf einem Fernsehgerät mitvollziehen kann.

Die Elektrogitarre improvisiert auch noch beim Schlussapplaus weiter; der war in Berlin ungeteilt und durchaus stürmisch, denn es wurde ausgezeichnet gesungen.

Nächste Aufführungen dieser Reihe: „Così fan tutte“ II am 26. 10., „Così fan tutte“ III am 27. 10. 2013.

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