Salvatore Sciarrino hat sich auf eine fast schon unheimlich ruhige Manier zu einem der wichtigsten Opernkomponisten der Gegenwart entwickelt. Seine Werke für die Bühne werden nicht nur uraufgeführt, sondern auch nachgespielt – die „Tödliche Blume” („Luci mie traditrici”) erfuhr inzwischen mehrere Inszenierungen, auch „Lohengrin” oder „Infinito nero” konn-te man häufiger begegnen.
Salvatore Sciarrino hat sich auf eine fast schon unheimlich ruhige Manier zu einem der wichtigsten Opernkomponisten der Gegenwart entwickelt. Seine Werke für die Bühne werden nicht nur uraufgeführt, sondern auch nachgespielt – die „Tödliche Blume” („Luci mie traditrici”) erfuhr inzwischen mehrere Inszenierungen, auch „Lohengrin” oder „Infinito nero” konn-te man häufiger begegnen.Jetzt hatte bei den Schwetzinger Festspielen Sciarrinos Shakespeare-Adaption „Macbeth” Premiere. Auffällig dabei, dass Shakespeares Dramatik auch in einem anderen Fall zum Opernlibrettisten avancierte: Juraj Benes schrieb eine „Hamlet”-Oper, über die wir auf Seite 36 berichten. Frieder Reininghaus stuft dabei die Benes-Vertonung über Sciarrinos „Macbeth” ein, weil jene für ihn die soziale Perspektive entschiedener vergegenwärtigt. Lässt sich das so vergleichen? Bedeutet das „Gesellschaftliche” bei Sciarrino nicht eher Modellhaftes, weniger Sozial-Kritisches? Weitere Inszenierungen des „Macbeth” könnten da sicher aufklärend wirken.Für Sciarrino stellt Shakespeares „Macbeth” in erster Linie ein existenzielles Modell: Aufstieg und Fall eines ehrgeizigen Mannes, angetrieben von einer ehrgeizigen Frau, Verknüpfung von Macht und Erotik und deren unheilvoller Mechanik, daraus wiederum resultierend die psychische Überanstrengung, die schließlich ins Verbrechen führt, alle sittlichen und moralischen Ordnungen zerstörend. Zitat Sciarrino: „Es geht in diesem Werk nicht um einige bestimmte Tote, um einige bestimmte Massaker, sondern um alle Toten, um alle Massaker, auf die sich die Menschheit gründet. Der Mechanismus der Macht als solcher zerstört, wenn er zur Besessenheit wird, immer menschliches Leben”.
Die wachsende Brutalisierung, die wir gegenwärtig in der Welt erleben, die politisch-militärische ebenso wie die psychische, die womöglich gefährlicher ist als jeder Kanonendonner, weist Sciarrinos „Macbeth” die „Aktualität” zu. Sciarrinos „Tre atti senza nome”, die „drei namenlosen Akte” erzählen nicht die aus Shakespeares Drama bekannte Geschichte des Feldherrn Macbeth und der „Lady”.
Vielmehr wird aus der Handlung das Modellhafte, das „Ritual” herausgefiltert, das sich auf raffinierte Weise mit dem Psychogramm eines menschlichen und gesellschaftlichen Zustands verbindet. Das Spezifische, auch Geniale an Sciarrinos Musikdramatik ist, dass es ihm gelingt, die Musik zur „Geschichte” gleichsam „autonom” zu entwerfen, als Zustandsbeschreibung und Kommentar psychischer Dispositionen. Dabei hält er auch in „Macbeth” konsequent an der zentralen Funktion des „Sängers” in einer Oper fest: Der Sänger bleibt „Handlungsträger”, auch in einem Psychogramm.
Nur dass dieser Sänger seine Befindlichkeiten nicht in schmerzvoll-schönen Kantilenen oder verzweifelten Ausbrüchen kundtut, sondern allein in der Struktur der vokalen Lineatur. Wenn die Figuren ihre schnellen, kantabel angedeuteten Phrasen immer wieder abrupt abbrechen lassen, rasche rezitativische Repetitionen mit ornamentalisierenden Tonzerstäubungen wechseln, dann korrespondiert die Unruhe des „Stils” mit der Unruhe und Gehetztheit der Dramatis personae.
Die Schwetzinger Uraufführung sicherte Werk und Komponist den einhelligen Erfolg. Die Inszenierung und Raumkonzeption Achim Freyers folgen einer Textstelle, in der vom „schwärzesten Schwarz” die Rede ist: Auch Sciarrinos „Macbeth” ist ein surreales Nachtstück, das in umgestürzten Räumen spielt und von den dunklen Seiten der menschlichen Seele berichtet. Geheimnisvoll kippen Thronsessel aus den Wänden, aus denen sich die Akteure oft waagerecht in den Raum schieben, während von oben die hexischen Stimmen aus Deckenluken herabspähen: eine bedrohliche Geisterbahn.
Die Sänger agieren bravourös ein gestisches Ritual aus, voll bannender, erschreckender Momente. Annette Stricker, eine erfahrene Sciarrino-Interpretin, verlieh der „Lady” ungemein dichte Präsenz, vokal und darstellerisch. Otto Katzameiers Macbeth beeindruckte durch physische Gespanntheit und vokale Plastizität. Sonia Turchetta war gleich in mehreren Rollen beschäftigt, auch sie eine erfahrene Sciarrino-Sängerin (großartig in „Infinito nero”).
Sicher und umsichtig leitete Johannes Debus das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, man wünschte sich dabei nur noch jene Überlegenheit der Ausführung, die das Schwierigste leicht und plastisch erfahrbar werden lässt. In der nächsten Saison übernimmt die Frankfurter Oper das Werk in seinen Spielplan. Zuvor ist es auch in Graz zu besichtigen, in beiden Fällen allerdings mit anderen Orchestern, mit dem Ensemble Modern (in Frankfurt) und dem Wiener Klangforum (in Graz).