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Lady Macbeth von Mzensk 2017: Nina Stemme (Katerina Lwowna Ismailowa), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Foto: © Salzburger Festspiele / Thomas Aurin
Lady Macbeth von Mzensk 2017: Nina Stemme (Katerina Lwowna Ismailowa), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Foto: © Salzburger Festspiele / Thomas Aurin
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Gediegener Sozialrealismus mit einer guten Dosis Theaterhumor – „Lady Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen

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Lange sah man im 20. Jahrhundert Katerina Ismailowa, die tragische Heldin Dmitri Schostakowitschs, eingesargt in das ländlich-rückständige Russland. Dem entstammt die Figur – einer Novelle von Nikolai Leskow aus dem Jahr 1864. Die Bühnenbilder, wenn sie nicht weitgehend abstrahierten, griffen in der Regel optische Elemente der Landarmut auf, illustrierende Motive einer patriarchalischen Kaufmannsgesellschaft am Rande der Zivilisation, der Folklore und Usancen des Zaristischen Polizeivollzugs bzw. Deportationssystems, die mit satirischer Lust überzeichnet wurden. Das funktioniert allemal, da die Sicherheits- und Ordnungskräfte fast überall nicht nur beliebt sind.

Der Charme zerbröckelnder Größe

Indem André Engel „Lady Macbeth“ 1992 an der Opéra Bastille Paris auf eine Kolchose der Stalin-Zeit verpflanzte, bezog er das Werk dezidiert auf die Entstehungszeit der Opern-Musik und deren halb erzwungenen, halb in vorauseilendem Anpassungswillen vorgenommenen Revisionen. Der französische Theaterregisseur unterstrich, wie sehr dieses Werk eines sozialen Realismus an konkrete Orts- und Zeitbezüge gekoppelt ist, ohne die es an satirischer Schärfe und die Glaubhaftigkeit der Konstruktion des Plots einbüßt. André Engel bereitete den Weg für all die Inszenierungen, die „Lady Macbeth“ dann in ramponierten Kulissen eines einst real existierenden Sozialismus ansiedelten.

Die bei Opern gerne (aber fast allemal unzutreffend) aufgestellte Behauptung der „Zeitlosigkeit“ wird bei diesem Werk aus den frühen 1930er Jahren in besonderer Weise Lügen gestraft: In einer modernen westlichen Lebenswelt würde sich Frau Katerina Lwowna Ismailowa vermutlich recht rasch und vorteilhaft von ihrem vorm Vater kuschenden impotenten Ehemann scheiden lassen. Zumindest würde eine heftig aufflammende Beziehung zu einem der Angestellten des Familien-Unternehmens nicht notwendig die Auslöschung der gesamten Firmenspitze nach sich ziehen. Das Rattengift bliebe den ungebetenen Mitessern im Souterrain vorbehalten und der Gürtel des Liebhabers müsste nicht zum Morden zweckentfremdet werden.

Andreas Kriegenburgs Inszenierung bei den Salzburger Festspielen profitiert, wie so viele in den letzten 25 Jahren, vom leicht schauerlichen Charme optischer Hinterlassenschaften aus der Zeit vor 1990 in Osteuropa. Doch der von Anfang bis Ende einheitlich gestaltete Bühnenraum lässt keine allzu konkrete Verortung zu. Es könnte sich um den Einblick ins Zentrum einer Stadt Tadschikistans, Tschetscheniens oder der östlichen Ukraine handeln. In Harald B. Thors imposanter Bühnenarchitektur, die sich um ein massiv betoniertes Treppenhaus gruppiert, sind die Einschusslöcher nicht zu übersehen. Architektur und Ambiente einer „freien“ Urbanität sehen anders aus.

Überall bröckelt es. Neue Abwasserrohre wurden noch nicht zur Sanierung des multifunktionalen Wohn- und Geschäftsgebäudekomplexes eingesetzt und gammeln vor sich hin. Aus dem Gebäudeteil links kann Parterre ein modernes gläsernes Schlafzimmer herausfahren (und sich auch wieder diskret zurückziehen), von rechts zeigt sich von Zeit zu Zeit und Fall zu Fall ein Büro. In ihm fügt sich Ehemann Sinowi sich in sein klägliches Schicksal und überbrücken später die Beamten der Polizeidienststelle die bleierne Zeit – mit Stricken und Hobbykünsten aller Arten.

Die stillschweigende Mutation des Imperiums Ismalilow zu einer Verwahrungsanstalt für die zur Lagerhaft in Sibirien Verteilten ist dann naheliegend, aber nur bedingt plausibel. Vielleicht ist es technisch nicht möglich, den schwerfälligen Thor-Bau wegzufahren und den Weg für die große Weite des sibirischen Raums freizumachen. Konsequenterweise gibt es am Ende weder einen tiefen See oder reißenden Fluss, in den sich die Titelheldin mit all dem weithin selbstverschuldeten Elend und der letzten Rivalin stürzen kann. Katerina legt sich und wirft Sonetka ein Seil mit Schlingen an beiden Enden um den Hals, stößt sie und sich von der Balustrade hinunter in den Tod. Dass der gesamte Gebäudekomplex während der Zwischenaktmusiken durch Video-Überlagerung erzittert und das Bild dann wie eine Kreidezeichnung anmutet, gehört zu den frappierenden Momenten der Produktion.

Langeweile, Kurzschlüsse und Tragik

Aus Langeweile erwachsen mitunter schlimme Dinge – Nachbarschaftsstreit und Shit-Stürme in den sozial siegreichen Netzwerken, Menschen- und Tierquälereien, Hobbys und andere Kunstaktivitäten. Vor allem aber „Abenteuer“, Liebeshändel, Seitensprünge, „Affären“ und dergleichen mehr. Der moralische Volksmund hat es schon immer gewusst: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Nina Stemme wirft, in zeitlos aktuelle Mode gekleidet, zu Beginn des ersten Bildes völlig zutreffend die Frage auf, warum sie als unerfüllte und perspektivlose Ehefrau so „nutzlos“ sei. Glaubhaft verkörpert die Sopranistin die aus den Verhältnissen eines nicht hinreichend modernisierten Geschäftshaushalts resultierenden, aber im Besonderen dem sich in den Alkohol flüchtenden Ehemann anzulastenden Unzufriedenheit – und dann, nicht immer mit „schön“ geführter Stimme, sondern parteilich-realistisch eruptiv, den Ausbruch aus diesem Eheknast mit Sergej. Der ist mit der Gestalt und Stimme von Brandon Jovanovich eine Verheißung – wohl nicht nur für Frauen in Notlage: Ein Tenor-Protz wie aus dem Bilderbuch. Da kommt Lust auf.

Die und die aus der etwas allzu ungehemmten Befriedigung resultierenden Probleme begleitet Kriegenburgs Regie detailgenau und ohne Brechung. Sehr gelungen erscheint die Darstellung der von langer Hand motivierten Entsorgung von dem für viel böse Worte, Gewalt und sexuelle Nötigung in der Familie verantwortlichen Schwiegervater und dem kläglichen Ehemann durch kurzfristig reifende Entscheidungen. Zu denen liefern die Opfer jeweils selbst die Stichworte. Das öffentliche Urinieren, Masturbieren und Paaren der leicht historistisch gekleideten ArbeiterInnenschaft seitwärts und im Hintergrund wäre dabei womöglich nicht unbedingt zwingend (vielleicht macht es dem Produktionsteam Spaß).

Den komödiantischen Komponenten der Oper trägt Kriegenburg – dem Wortlaut des Textes folgend – jedenfalls umfassend Rechnung: Sei es bei der Stolperpartie des volltrunkenen Popen Stanislav Trofimov, der in den Suppentopf fällt, oder der Verhaftung und Aburteilung des Lehrers Vasily Efimov im Schnellverfahren, bei der kompetenten Einsatzleitung des Polizeiabschnittschefs Alexey Shislyaev oder beim schäbigen Arbeiter, der zum Denunzianten wird. Als herausragend unter eineinhalb Dutzend Solisten erweist sich Dmitry Ulyanov in der Partie des geilen alten Boris Ismailow – ein bösartiger Patriarch mit imposantem Bass und gelenkiger Darstellung alternder männlicher Verwerflichkeiten.

Präzise Arbeit mit hohem Engagement leisten die in großer Formation im Orchestergraben einsitzenden Wiener Philharmoniker. Mariss Jansons hält sie mitunter zu sachlich gebotener Zurückhaltung an, lässt ihrer Spiellaune und selbst den exzessiv gesetzten instrumentalen Pointen (Posaunenglissandi!) dann immer wieder freien Lauf. Transparent, fein abgestuft, bestens strukturiert, mit betörenden Kraftentfesselungen und immer wieder auch der wünschenswerten Leichtigkeit lässt der Orchestersatz kaum einen Wunsch offen (in der überarbeiteten Partitur der Salzburger Version finden sich etliche Ausbesserungen aus der frühen Fassung der Jahre 1933/34). So fügt sich ein Werk, in dem und dessen Rezeptionsgeschichte sich so viel Leidensgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben hat, zu einem ziemlich gut goutierbaren Sommerschwitzbad. Und ein wenig auch zum Lehrstück: Nina Stemme ruft die sich selbst überfordernde Überforderin Katerina Ismailowa in Erinnerung. So bleibt die diskrete Warnung vor der allzu hemmungslosen Selbstentfesselung, die böse enden kann.

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