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Die Arbeiterinnen (Opernchor) verabschieden sich höhnisch von ihrem Arbeitgeber (und Ausbeuter), dem Kaufmann Zinovoj Borisovich Izmajlov (nicht im Bild). Foto: Erik Berg
Die Arbeiterinnen (Opernchor) verabschieden sich höhnisch von ihrem Arbeitgeber (und Ausbeuter), dem Kaufmann Zinovoj Borisovich Izmajlov (nicht im Bild). Foto: Erik Berg
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Musik statt Chaos – Schostakowitschs „Lady MacBeth auf dem Lande“ in Oslo

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Der Dorsch war allgegenwärtig. Auf den kindsgroßen, staunend glotzenden toten Fischen wurde geschlafen, gegessen, geliebt und gemordet, mit ihnen geprügelt, genotzüchtigt, onaniert: In der Osloer Inszenierung von Schostakowitschs „Lady MacBeth auf dem Lande“ alias „Lady MacBeth von Mzensk“ entluden sich übergärige Libido und ihre dunkle Kehrseite die Aggression auf passend saftig-glibbrigen Fischkörperimitaten.

Zum zweiten Mal eröffnete eine Oper des 20. Jahrhunderts eine Spielzeit der „Norske Opera & Ballett“, die 2008 gegründet wurde und sich innerhalb kurzer Zeit mit hohem Niveau und großen Namen in den internationalen Rang katapultierte. So gastierte etwa am Abend vor der Spielzeitpremiere Sopranistin Hui He als Cio-Cio-San und interessanterweise ist Puccinis Madame Butterfly von Schostakowitschs Lady MacBeth nicht weit entfernt: Beide Frauen sind äußerst liebesbegabt, Virtuosinnen in der Kunst völliger Hingabe – leider an den Falschen – und bereit, für die Erfüllung zu morden.

Im Falle der unbegatteten Kaufmannsgattin Katerina Lvovna Izmajlova waren es Schwiegervater Boris Timofeevich Izmajlov und der impotente Ehemann Zinovij, die ihrer Sehnsucht nach barrierefreier Wollust mit dem strotzenden Knecht Sergej im Wege standen und daher umgebracht wurden – aber wie bei Shakespeare die Mörderin aus dem Grabe heraus verfolgten, der Schwäher dabei immer noch mit Dorschen beladen, Grund und Boden seines Kaufmannwohlstandes.

Geplant war von Schostakowitsch wohl ein Opernzyklus über die Freiheit der russischen Frau, und „Lady MacBeth von Mzensk“ nach der gleichnamigen Novelle von Nikolai Leskow anno 1865, die Schostakowitsch seiner Braut widmete, sollte der Beginn sein. Doch der Plan scheiterte, Schostakowitschs „Tragödien-Satire“ wurde im Auftrag von höchster Stelle verdammt: Mit dem Titel „Chaos statt Musik“ verriss 1936 die „Prawda“ die Oper als „volksfremd“ und „dekadent“, was bei der Uraufführung zwei Jahre zuvor gefeiert wurde. „Er leidet immer noch unter Mahleria“, hieß es dagegen im Freundeskreis über die schwelgenden Passagen – und beide Extreme finden sich in dem Vierakter, tonale Anarchie wie reinste Romantik. Walzer, Couplet, Choral – es gibt wenig Stile, die Schostakowitsch nicht einflocht und seine Genialität umschiffte das chaotische Konglomerat, schuf aus dem Stilgemenge tatsächlich ein vieraktiges, kunterbuntes, organisches Ganzes, erschuf expressiven Realismus von schwarzsatirischer bis pornographischer Deutlichkeit (die Homepage der Oper empfiehlt eine Altersgrenze von 15 Jahren).

Ein Extra-Brass-Ensemble, in der Osloer Version aus zehn ausgemergelten Blechbläsern in norwegischen Schulbanduniformen, die entfernt an Leninpioniere erinnerten, traten auf die Bühne, wenn es sich um Sex oder Tod handelte, begleiteten musikalisch die ekstatische, auf Dorschen gebettete Entjungferung Katerinas mit lautmalerischem Accelerando. Die Szene rief Heiterkeit hervor im Publikum, das vor der Pause noch lau, am Ende frenetisch applaudierte – den Interpreten ebenso wie Regisseur Ole Anders Tandberg, Bühnenbildner Erlend Birkeland, „Koreografi“ Jeanette Langert. Buhrufe haben in Norwegen zum Glück keine Tradition, wären auch nicht am Platz gewesen.

Die Regie war spannend, durchkomponiert, mit schönen Ensemble- und Chor-Formationen, durchaus Werk-konform lüstern gewichtet, manchmal allzu plakativ, allzu vorhersehbar. Hand in Hand ging das drehbare Bühnenbild, ein totes Haus im Dunkeln, dröge und unheilvoll wie das Umfeld Katerinas, durch die eindrucksvolle Lichtregie (Ellen Ruge) in seiner Wirkung potenziert.

Rätsellos

Symbolistische Rätselaufgaben finden sich auf der Bühne Oslo nicht: Szene und Regie ließen dem Werk den Vortritt und der Musik freie Bahn. Einen Extraapplaus bekamen das ausgezeichnete Opernorchester und Dirigent Oleg Caetani, der wunderbar farbig und wechselvoll dirigierte, souverän in jedem Stil, doch nur vor dem Hässlichen Halt machend: selbst in der unverblümten Drastik war noch Schönklang. Bravourös war auch der Chor, darstellerisch wie als Klangkörper, der seine Piano-Qualitäten allerdings noch unter Beweis stellen muss.

Unter den Solisten – die Hauptpersonen waren Native Speaker – wurde Svetlana Sozdateleva rechtens am meisten gefeiert. Die dramatische Sopranistin von der kooperierenden „Komischen Oper Berlin“ – Premiere dort ist am 25. Januar 2015 – war wie Hui He eine Idealbesetzung, die ihre Riesenpartie stimmlich und schauspielend ausnahmslos fantastisch, faszinierend intensiv ausfüllte. Gesanglich an diesem Abend nicht ganz so souverän wirkte der eingesprungene, ebenfalls hervorragend besetzte Sergej alias Tenor Alexey Kosarev, bravourös unheilvoll Bassist Magne Fremmerlid als Boris, gelungen jämmerlich Tenor Marius Roth Christensen als Gatte Zinojij. Überhaupt hing die gesangliche und darstellerische Latte hoch bis in die kleinen Rollen – zu erwähnen etwa Tone Kummervold als Rivalin Sonetka, Hege Høisæter als Köchin Aksinja, Ketil Hugaas als Priester und Mühlenarbeiter Szymon Kubiak.

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