Künstlerische Doppelbegabungen sind gar nicht so selten. Gershwin oder Schönberg, viele waren auch Maler, und um die Essays von Alfred Brendel oder Glenn Gould genießen zu können, muss man deren Klavier-Aufnahmen noch nicht einmal mögen. Auch Volker Kriegel ist so ein Glücksfall, noch dazu einer, der für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen schreiben kann. Von jeher fährt Kriegel eine Doppelstrategie als Jazzgitarrist, Zeichner und Autor, und in seinen glücklichsten Momenten führt er seine vielen Begabungen zusammen. Seine neueste Schöpfung ist der musikalische Nasenbär „Erwin mit der Tröte“.
Künstlerische Doppelbegabungen sind gar nicht so selten. Gershwin oder Schönberg, viele waren auch Maler, und um die Essays von Alfred Brendel oder Glenn Gould genießen zu können, muss man deren Klavier-Aufnahmen noch nicht einmal mögen. Auch Volker Kriegel ist so ein Glücksfall, noch dazu einer, der für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen schreiben kann. Von jeher fährt Kriegel eine Doppelstrategie als Jazzgitarrist, Zeichner und Autor, und in seinen glücklichsten Momenten führt er seine vielen Begabungen zusammen. Seine neueste Schöpfung ist der musikalische Nasenbär „Erwin mit der Tröte“. Erwin spielt mit seiner Band alles. Trötenkonzerte von Torelli, Bebop-Standards über Piazzolla-Bearbeitung bis zu straightem Rock – die regelmäßigen Samstagskonzerte der Dschungel-Kings auf der kleinen Insel vor Sansibar sind eine stete Überraschung für das Publikum und ein Vergnügen für die eingeschworene Combo. Alex, der Alligator, zuständig für Akkordeon und abenteuerliche Ausreden, mit denen er sein regelmäßiges Zuspätkommen begründet; der Orang-Utan Gismo am Schlagzeug, ein Drummer alter Schule mit unerschütterlichem Timing; Horsti, die Hyäne am Marimbaphon und sein Freund Heinzi, ein ebenso schüchterner wie begabter Arrangeur – lauter liebevolle, lebensechte Charakterporträts, bei denen manche Züge ihre Vorbilder im „United Jazz & Rock Ensemble“ haben dürften, dem Volker Kriegel angehört. Erwin, der „Frontman“ der Band, bedient mit seiner Nase virtuos alle Stilarten, und so ist es kein Wunder, dass er eines Tages von dem Tierstimmenforscher Prof. Higgins entdeckt wird. Higgins überredet ihn, mit nach Europa zu kommen. Er will ihn zu einem international gefeierten Star aufbauen, schon beim Debüt in der Mailänder Scala soll ihm das Publikum zu Füßen liegen. Der ahnungslose Erwin willigt ein, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Ausgenützt von dem gewieften Impresario, hetzt Erwin von Stadt zu Stadt und Land zu Land, bald frustriert und einsam und voller Liebeskummer wegen der Nasenbärin Rosa, die er zurücklassen musste. Doch Erwin weiß sich zu helfen…Kriegel hat eine Hand für Märchen: 1982 ließ er seinen „Rock’n’Roll-König“ durch die Lande ziehen. Wegen seines schweren rhythmischen Hängers, der regelmäßig die Hofkapelle durcheinander bringt, platzt das große Sommerkonzert, und der König begibt sich schließlich vor Scham inkognito „on the road“. Schon hier verriet jedes Detail den bewanderten Tourprofi und den musikalischen Liebhaber, dem unter den Fixsternen von Charlie Parker und den Beatles ein ganzes Firmament leuchtet, indem auch John Mayall und Eric Burdon, die Stones oder Paul Simon Platz haben, und schon hier machte sich der sanfte, hintersinnige Humor aus dem Umfeld der Frankfurter Schule von Robert Gernhardt, Eckehard Henscheid und F. K. Waechter bemerkbar. Auch „Erwin mit der Tröte“ ist musikalisch auf der Höhe der Zeit. Das Synonym für die Generation von Musikern, die wie Erwin gleichermaßen anerkannt Jazz und Klassik spielt, ist Wynton Marsalis – ironischerweise lässt Kriegel Marsalis zusammen mit Keith Jarrett, der ja auch in beiden Lagern reüssiert, sowie Ludwig Güttler und Gidon Kremer in der Scala als Vorprogramm auftreten. Kriegel weiß, was er tut. Die Geschichte der Annäherungsversuche zwischen Jazz und Klassik von Jacques Loussier bis Friedrich Gulda, den Schulstreit zwischen dem Jazzhistoriker Marsalis und Keith Jarrett hat er genauso scharfsinnig verfolgt und in Essays erhellend kommentiert wie die unsinnigen Lagerkriege zwischen Jazz und Rock in den 70ern und 80ern. Wenn Simon Rattle das Debüt dirigiert und Erwin später mit dem English Chamber Orchestra eine CD-Box „Festliche Trötenkonzerte“ einspielt, hat das nichts mit Hintergrundkolorit und Beiwerk zu tun. Erwin erlebt den auszehrenden Alltag des reisenden Virtuosen zwischen austauschbaren Städten und Hotelzimmer, zerrieben zwischen dem Krakeel der Feuilletons und dem gierigen Manager – aber erlebt auch spontane Jamsessions und neue Freundschaften. Auch auf dem Dschungelhochsitz gibt es das harte Brot des Berufsmusikers: „Wer Tröte spielt, muss jeden Tag üben. Ein perfekter Ansatz und eine makellose Intonation kommen schließlich nicht von allein. Genau wie ein Leistungssportler muss auch ein Tröter der Extraklasse sein tägliches Trainingsprogramm hinter sich bringen.“
Und dann hören wir Erwin fluchen, wenn er sich an den schwierigen Stellen Torellis verhakt. „Shit!“ und: „Weil’s so schön war“. Erkennen muss man die vielen Anspielungen nicht. Der feine, liebenswürdige Witz der Zeichnungen, die skurrilen Figuren und die schwungvoll erzählte Geschichte machen das schön ausgestattete Buch für Kinder und Erwachsene auch so zu einem Vergnügen.
Volker Kriegel: Erwin mit der Tröte, Eichborn Verlag. 64 Seiten, gebunden, ISBN 3-8218-3740-3, € 14,95