Am 9. März 1979 trafen sich junge Musiker, die dem Bayerischen Landesjugendorchester entwachsen waren, im Hotel Krone Post in Werneck, auf halber Strecke zwischen Schweinfurt und Würzburg gelegen. Die Karriere hatte sie in alle Herren Länder verstreut, aber sie wollten weiterhin gemeinsam spielen. Damals begann die Geschichte des Bayerischen Kammerorchesters Schloss Werneck, die seit fünf Jahren als die Geschichte des Bayerischen Kammerorchesters Bad Brückenau e.V. weitergeht. Vom 18. bis zum 20. September finden unter dem Motto „Vielklang statt Gleichklang“ Konzerte zum 30-jährigen Jubiläum statt. Die neue musikzeitung traf sich mit dem Orchestervorstand (künstlerische Leitung) Regina Graf und Vereinsvorstand Matthias Rietschel zum Gespräch.
neue musikzeitung: Wie feiert das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau sein 30. Jubiläum?
Matthias Rietschel: Das dreißigjährige Jubiläum zu begehen ist für uns auch deshalb wichtig, weil das Orchester nun fünf Jahre an seinem neuen Ort Bad Brückenau tätig ist. Wir sind hier in einem musikalisch reichen Umfeld angekommen. Hier gibt es einen kompetenten Kammerchor mit Sängern aus der Region und ein sehr gutes Blasorchester. In Bad Brückenau finden wir Schulen vor, in denen 80 Prozent der Schüler Instrumente spielen. Es ist einfach ein großes Verständnis für Musik vorhanden.
Anlässlich unseres Jubiläums binden wir das Kammerorchester und die genannten Ensembles in ein Projekt ein, das wir Wandelkonzerte nennen: sechs Konzerte an sechs Orten von jeweils einer halben Stunde Dauer. Die Orte sind das wunderschöne Staatsbad, die Kirchen, das Hotel Dorint mit seinem Baustil aus der Gründerzeit und das Konzerthaus.
Wir werden ein Festkonzert mit Händels Feuerwerksmusik und mit Feuerwerk geben. Weiter spielen wir neben Werken von Mendelssohn und Haydn auch die Uraufführung einer Komposition unseres Gründungsmitglieds Thomas Bracht. Den Abend wird der Schlagzeuger Pete York mit seinen Freunden musikalisch ausklingen lassen.
nmz: Wer macht beim Bayerischen Kammerorchester Bad Brückenau die Programme?
Regina Graf: So lange wir keinen künstlerischen Leiter haben, bestimmt ein dreiköpfiger vom Orchester gewählter Orchestervorstand in Absprache mit dem Vereinsvorstand die Dirigenten, Solisten und Programme.
Es kommen einem dabei oft die alten Kontakte zugute. Viele aus dem Landesjugendorchester sind Solisten geworden. Albrecht Mayer kennt man von vor 30 Jahren, und aus der Idee „Der könnte ja mal wieder was mit uns spielen“ wurde dann Realität.
nmz: Wie kürzlich geschehen: Das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau war zusammen mit Albrecht Mayer zum Konzert bei Papst Benedikt in Rom eingeladen.
Graf: Wie sich das so gefügt hat, ist eine eigene, aber für die Funktionsweise des Orchesters typische Geschichte. Vor zwei Jahren luden wir Mayer zu einem Konzert in Seligenstadt ein, damit er sich das Orchester nach vielen Jahren wieder einmal anhören konnte. Es gefiel ihm, aber es dauerte dann noch zwei Jahre, bis wir einen Termin fanden. Dann hatten wir im April 2009 zwei Konzerte mit ihm. Der Reiz für ihn war, dass er gespielt hat und dazu noch seine Leidenschaft fürs Dirigieren ausleben konnte.
Dann kam der Zufall ins Spiel. Von einem Konzert in Burghausen führte die Rückreise an Marktl, dem Heimatort des Papstes, vorbei. Albrecht Mayer erinnerte sich, dass er im August ein Privatkonzert beim Papst hätte und unser Kollege Wolfgang Reichelt schlug ihm spontan das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau als Orchester vor.
nmz: Das Orchester lädt hochkarätige Solisten und Dirigenten ein wie Bruno Weinmeister, Oksana Lyniv, Preisträgerin des Deutschen Dirigentenwettbewerbs, oder jetzt zum Jubiläumskonzert Gernot Schulz. Worin besteht die Attraktivität des Orchesters?
Rietschel: Albrecht Mayer sagte zu mir nach dem ersten Probetag: „Ist ja unglaublich, wie die arbeiten, ich will schon aufhören, da meldet sich jemand: Können wir nicht die Stelle noch probieren, oder könnt ihr mal still sein, wir müssen was mit der Bratschengruppe testen, und dann stehe ich da und lerne.“
Was ich damit sagen will: Diese Qualitäten dieses Kammerorchesters sprechen sich herum. Mit diesem Produkt haben wir eine Chance, Solisten anzusprechen, die merken, man kann da im guten Sinne was ausprobieren.
nmz: Wie finanziert sich das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau?
Rietschel: Wir spielen fast 60 Prozent unseres Budgets ein. Das geht deshalb, weil wir keine festen Stellen haben, sondern projektbezogene Bezahlung. Was öffentliche Zuschüsse angeht, so sind wir in der Familie der nichtstaatlichen Orchester in Bayern angesiedelt, neben Nürnberger Symphonikern, Hofer Symphonikern, Bad Reichenhaller Philharmonie und Münchener Kammerorchester. Auch für uns gilt der bayerische Schlüssel: ein Drittel zahlt das Land, zwei Drittel die Region. Bad Brückenau liegt in einer so genannten strukturschwachen Gegend im Dreiländereck Bayern, Thüringen und Hessen. Daher stehen uns verhältnismäßig wenig Sponsoren zur Seite, doch es bewegt sich auch hier etwas.
nmz: Woher kommt das Publikum?
Rietschel: Wir haben einen 100-Kilometer-Radius. Immer mehr Besucher buchen auch eine Übernachtung im Hotel. Das ist heute oftmals für einen Stadtrat die wichtigere Nachricht als die, dass ein Albrecht Mayer in Bad Brückenau spielt.
Für uns ist immer sehr wichtig gewesen, auch ein „neues Publikum“ für unsere Konzerte zu interessieren. Sehr schnell haben wir gemerkt, dass öffentliche Proben und Demonstrationen in Schulen oder an anderen Plätzen gut sind, aber vielmehr ist doch eine kontinuierliche Arbeit mit den Bildungsträgern notwendig. Wir beginnen diese Arbeit immer mit „Sensibilisierungsphasen“, in denen das Hören, das Zuhören und das aufeinander Hören im Mittelpunkt stehen. Dies ist Bestandteil der Workshops mit Schulen über mehrere Tage, als dessen Ergebnisse schließlich kleine Kompositionen oder Improvisationen der Schüler entstehen, die sie mit teilweise selbst gebauten Instrumenten aufführen.
nmz: Wie ist das heutzutage mit der Mitsprache der Orchestermitglieder?
Graf: In den Anfangszeiten Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre diskutierten wir zwei Stunden über drei Takte, danach stimmten wir ab. Das ist nicht lebbar.
Aber Demokratie heißt bis heute: Jeder kann vorschlagen, was er spielen möchte, mit welchem Dirigenten er arbeiten will, welche Solisten er gerne hätte; der gewählte Orchestervorstand entscheidet dann, ist das machbar oder nicht. In der Probenarbeit kann jeder – auch am zweiten und dritten Pult – sagen, ob er etwas anders machen
will.
Das Gespräch führte Andras Kolb