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„Von dem Manne werden Sie noch Großes hören“

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Der Wahnsinnige und seine Symphonie: die Tragödie des Bruckner-Schülers Hans Rott
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„Wer ist Hans Rott?“ Gustav Mahler gibt die bedeutungsvolle Antwort: der „Begründer der neuen Symphonie, wie ich sie verstehe.“ Eine Symphonie also hat Hans Rott geschrieben – neben Bruckner, jenseits von Brahms, in Richtung Mahler weisend. Die Zeit ist gekommen, Hans Rott zur Sprache, seine Musik zur Aufführung zu bringen. Seit ihrer späten Uraufführung 1989 erregt die Symphonie in E-Dur von Hans Rott weltweites Aufsehen. Am 20. Oktober wird sie – zusammen mit dem Finale der Neunten Symphonie seines Lehrers und Freundes Anton Bruckner – das Bruckner-Fest Würzburg 2002 im Würzburger Kiliansdom krönen. Ein Wagnis? Ein Ereignis!

Bruckner nennt Hans Rott seinen begabtesten Orgelschüler, den er gerne als Nachfolger an die Orgel des Stiftes St. Florian gebracht hätte. Als Student am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien belegte Hans Rott Komposition bei Bruckners Kollegen Franz Krenn. Was er freilich im Juli 1878 zur Abschlussprüfung vorlegte – den ersten Satz seiner heute so gut beleumdeten E-Dur-Symphonie – das reichte zum Diplom nicht aus: Die Kommission – darin Johannes Brahms – lachte, als der Kandidat sein Stück präsentierte. Einzig Bruckner scheint das Geniale dieser Studentenarbeit erkannt zu haben. Er wandte sich gegen die Kollegen mit der Prophetie: „Lachen Sie nicht, meine Herren, von dem Manne werden Sie noch Großes hören!“

Sie haben nichts „Großes“ mehr von diesem unglückseligen Kandidaten gehört, der als einziger von sieben Examinanden seines Jahrgangs (darunter Gustav Mahler und zwei Mädchen) ohne Siegespreis vom Konservatorium geschieden ist. Hans Rott war zwanzig Jahre, als er den abgelehnten Symphoniesatz schrieb. Die Niederlage überwindend und offenbar an sich selbst glaubend setzte er fort, was er begonnen hatte: Für den langsamen zweiten Satz (A-Dur) lässt er sich Zeit zum Durchatmen, mit dem Scherzo (G-Dur) sprengt er Brucknersche Dimensionen und das Finale streckt er bald eine halbe Stunde aus. Nach zwei Jahren (1880) war ein gewaltiges Werk vollendet, „die neue Symphonie begründet“; aber sie blieb ungehört, wurde verschwiegen, mehr als hundert Jahre. Nur einer hat sich die Partitur gründlich angesehen: Gustav Mahler.

Zwei Jahre waren seit Vollendung der Symphonie vergangen, als Mahler das Werk des Studiengenossen in Augenschein nahm, aber in dieser kurzen Spanne hat sich eine der erschütterndsten Lebenstragödien der Musikgeschichte abgespielt. Dabei hat das Leben von Hans Rott unbeschwert und verheißungsvoll begonnen. Vater und Mutter waren ein populäres Schauspielerpaar am Theater an der Wien, als Hans Carl Maria, so seine Vornamen, 1858 in Wien geboren wurde. Dank eines guten Einkommens lebte die Rott-Familie zunächst in sattem Wohlstand und die beiden Söhne (Hans hatte einen jüngeren Stiefbruder Carl, der noch vor ihm starb) durchliefen eine gediegene Schulausbildung. Der Vater, selbst ein vielseitiger Musiker, konnte es sich leisten, seinen musikalisch über das Maß begabten Sohn Hans sechzehnjährig (1874) an das Konservatorium zu geben.

Die Wende vom Familienglück zur Tragödie begann 1872, als die Mutter in der Blüte des Lebens mit 32 Jahren an Blutkrebs starb. Drei Jahre später nahm die Karriere des Vaters durch einen Bühnenunfall ein jähes Ende. Gichtkrank, verarmt starb er im Februar 1876. Seine Söhne Hans und Carl standen alleine da, in völliger Armut. Mit Betteln bei Freunden und Klavierstunden versuchte Hans, sich und seinen Bruder über Wasser zu halten.An der Piaristenkirche „Maria Treu“ (8. Bezirk) fand er nach dem Tod des Vaters eine nebenberufliche Anstellung als Organist mit Wohnung im Kloster.

Der Organistendienst war beschwerlich („früh aufstehen!“), das Entgelt spärlich, und nach zwei Jahren endete das Dienstverhältnis im heftigen Streit mit dem Prior des Kloster, der seinen Organisten (zu Unrecht) beschuldigte, er habe einen „Band Bach’scher Fugen genommen“. Das wenige Geld, das Hans Rott verdiente, gab er zum Teil nach Studentenart in Gasthäusern aus – nicht zuletzt weil er hierzu von seinem Lehrer Bruckner genötigt wurde. „Soeben wurde ich“, so berichtet Hans Rott einem Freund, „unterbrochen durch einen Besuch Hr. Prof. Bruckners, der mir wegen der mangelhaftigen Riedhof-Frequenz meinerseits die heftigsten Vorwürfe machte, weshalb ich auch heute dieses Local besuchen werde.“

Nach Geld Ausschau haltend bewarb sich Hans Rott um ein Staatsstipendium. Das Problem hierbei: Über die Vergabe hatte (neben Karl Goldmark und Eduard Hanslick) Johannes Brahms zu befinden. In der irrigen Meinung, Brahms mit der inzwischen kompletten Partitur der E-Dur-Symphonie doch noch beeindrucken und gewinnen zu können, stattete Hans Rott dem Gefürchteten Mitte September 1880 einen Besuch ab. Das Urteil war vernichtend. Brahms urteilte zynisch, dass „neben so Schönem wieder so viel Triviales oder Unsinniges in der Komposition sei, dass dies erstere nicht von Rott herrühren könne“. Der Rat, den Brahms dem Gedemütigten gab, traf schmerzlich: „Geben Sie lieber das Komponieren auf!“

Wenig später suchte der Verkannte mit seiner Symphonie Hans Richter auf, den berühmten Dirigenten der Wiener Philharmoniker. Dieser sah sich das Werk wohlwollend an, lobte den jungen Komponisten, aber zur Aufführung des Werkes in einem philharmonischen Konzert konnte er sich nicht entschließen. Nun war für Hans Rott endgültig klar, dass es in Wien für ihn keine künstlerische Zukunft gab.

Wohin sich wenden? In Wien, in Österreich fand sich nichts. Einzig im fernen Mülhausen im Elsass bot man ihm eine Chorleiterstelle an. Nach langem Ringen mit sich selbst sagte er zu – und brachte sich damit in ausweglose seelische Not. Denn die Übersiedelung bedeutete die Trennung nicht nur von Freunden, sondern vor allem von Louise, seiner heimlichen Geliebten. Sie war, wie man heute weiß, eine Schwester seines engsten Freundes Friedrich Löwi (später Löhr). In einem Testamentsentwurf (aus dunkler Todesahnung?) hatte er ihr Ende Juni 1880 seine E-Dur-Symphonie (eine zweite war schon im Entstehen) zugeschrieben: „Meine 1. Symphonie meiner Louise“. Der bevorstehende Abschied von Louise, von seinen Freunden, von Wien, löste eine maßlose Erregung in ihm aus, und er notierte für sich selbst: „Um mich steht es wahrlich bis zum Wahnsinn nicht mehr weit.“ Damit sollte er leider Recht haben.

Vermutlich am Abend des 21. Oktober 1880 bestieg er am Westbahnhof den Kurierzug Wien – München. Die Reise nahm am nächsten Tag (bereits auf bayerischem Boden) ein unerwartetes Ende. Ein im Coupé mitreisender Herr schickte sich an, eine Zigarre anzuzünden; da zieht Rott eine Pistole hervor und zwingt den verhinderten Raucher, das Feuerzeug wegzustecken. Denn: Brahms habe den Waggon mit Dynamit anfüllen lassen, um ihn – Hans Rott – in die Luft zu sprengen…

Die Reise und letztendlich das Leben von Hans Rott endete in der Irrenanstalt. Dort schrieb er wirre, erschütternde Briefe, die erhalten sind, und Kompositionen, die er verbrannte. Die Ärzte konstatierten „Verrücktheit, Verfolgungswahn mit Halluzination“. Mehrere seiner Selbstmordversuche scheiterten. Lungentuberkulose setzte dem Leben von Hans Rott schließlich am 25. Juni 1884 das Ende.

Indessen nahm Friedrich Löwi die Partitur der Symphonie in Verwahrung und händigte sie mehrfach Gustav Mahler zum Studium aus. Dieser hatte damals noch keine seiner Symphonien komponiert, umso williger ließ er sich von den Ideen des Kommilitonen inspirieren. Aus Mahlers Symphonien (bis zur fünften) klingt unüberhörbar „Rott“ heraus. In unseren Tagen nun findet die Musik von Hans Rott wieder ein explosives Interesse. Das Bruckner-Fest Würzburg (11. bis 20. Oktober 2002) wird Gelegenheit bieten, in die Klangwelt von Hans Rott einzutreten.

http://www.brucknerfest.de
http://www.hans-rott.de

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