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Enormes Formgefühl: Aribert Reimann. Foto: Schott Music

Enormes Formgefühl: Aribert Reimann. Foto: Schott Music

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Empathie und Form

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Zum Tod des Komponisten Aribert Reimann
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Wenn man Aribert Reimann begegnete, wunderte man sich, dass aus diesem feinen Kopf solche Schmerzensklänge kommen konnten. Troerinnen, Medea, Bernarda Alba, Lear – alles Scheiternde, Gemarterte, Klagende. Die Musik ein Schrei – nach der Gerechtigkeit, die sich in der Geschichte niemals eingestellt hat. 

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Reimann war ein sehr sensibler Geist, der sich zum Anwalt der Opfer machte, selbst wenn sie ihr Unglück selbst verschuldet hatten. Nach der Berliner Erstaufführung der Garcia-Lorca-Oper „Bernarda Albas Haus“ sagte Ute Trekel-Burckhardt, die die Titelfigur verkörpert hatte: „Schon in der Münchner Aufführung nahm ich mir vor, in ihr nicht nur eine böse, giftige, frustrierte Frau zu sehen, sondern auch, soweit die Partitur es zulässt, Farben zu zeigen, die auch die Qual schildern, die in dieser Frau steckt. Damit man ahnt, wie sie auch anders hätte werden können. Sie ist doch ein Mensch.“ So entstehen Menschenbilder auf der Bühne. Empathie alleine hätte Reimann aber wenig genützt. Es waren vor allem Handwerk und Klangfantasie, die seine Themen in so stringente Formen bannten, dass der Zuschauer beziehungsweise die Hörerin ihnen einfach folgen mussten. In seinen Opern lärmte nur das Orchester (und das bei weitem nicht immer), das Publikum war mucksmäuschenstill. Hatte man die eine Reimann-Oper verlassen, wartete man sehnsüchtig auf die nächste. Die allerletzte ist nun, durch seinen Tod am 13. März, neun Tage nach seinem 88. Geburtstag, nicht mehr fertig geworden. Sie war ein Auftrag der Deutschen Oper Berlin, die schon sein vorletztes Bühnenwerk „L’Invisible“ nach drei statischen Einakter von Maeterlinck herausgebracht hatte.

Aribert Reimann war und blieb Berliner. Hier wurde er 1936 geboren, hier verlor er 1944 seinen geliebten älteren Bruder durch eine Bombe. Das musikalische Elternhaus, das seinem Talent ein sicheres Kissen bereitete, prägte ihn ebenso sehr wie frühe Leidenserfahrungen – und im repressiven Adenauer-Deutschland war das Aufwachsen als Schwuler auch kein Vergnügen. In Berlin begann er das Studium des Klavierspiels und der Komposition und arbeitete daneben als Korrepetitor an der Deutschen Oper Berlin, wo er nicht nur das großartige Sängerensemble lieben lernte, sondern die menschliche Stimme überhaupt. Damals trug der große, schlanke Mann noch Anzug mit Weste und Krawatte, wie sich das gehörte.

Als er es noch genauer wissen wollte, ging er für ein paar Jahre nach Wien zum Musikwissenschaftsstudium. Er blieb aber doch immer praktischer Musiker. Als Liedbegleiter von Brigitte Fassbaender, Dietrich Fischer-Dieskau, Ernst Haefliger oder Elisabeth Grümmer entwickelte er eine ähnlich sensible Beziehung zur Stimme wie sein britischer Kollege Benjamin Britten, der ja auch ein großartiger Pianist war. Wie Britten hätte er damit sein Auskommen finden können, aber die Musik in seinem Inneren musste heraus. Sie entzündete sich immer an konkreten Stoffen, auch bei seiner Instrumentalmusik und seinen Liedern.

Seine ersten eigenen Lieder hatte er mit zehn geschrieben und als er 24 war, führte Dietrich Fischer-Dieskau mit den Berliner Philharmonikern bereits „Totentanz“ auf eigene Texte auf. Gemeinsam mit Günter Grass brachte Reimann 1958 („Stoffreste“ in Essen) und 1970 („Die Vogelscheuche“ in Berlin) zwei Ballette auf die Bühne. Der Zusammenarbeit mit der Sängerin Carla Henius verdankte er 1964 seine erste Oper „Ein Traumspiel“ nach Strindberg. Die Kammeroper „Melusine“ wurde 1970 als Auftrag des Südfunks Stuttgart bereits bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt. Reimanns Musiksprache war gefunden und wurde gehört.

Das klang nicht so, wie man für Darmstadt und Donaueschingen schrieb. Da war viel mehr Expressionismus dabei – Reimanns Kompositionslehrer Boris Blacher hatte ihm schon früh den Rat gegeben, sich seinen eigenen Weg außerhalb des Avantgardisten-Mainstreams zu suchen. Zunächst litt er unter der Ausgrenzung durch die Propagandisten der reinen Lehre, doch ab dem „Traumspiel“ war er sich seiner Sprache sicher. Was nicht hieß, dass nicht jedes Stück einen neuen Ansatz forderte: „Das sind Fragen der Konzentration, der rhythmischen Flexibilität, des harmonischen Denkens. All dies verändert sich ebenso wie die Art des polyphonen Umgangs mit dem Material. Erfahrung und Verfeinerung führen zu einer Konzentration auf das Wesentliche.“

Deshalb konnte er sich gar nicht wiederholen. Die Uraufführung einer jeden Reimann-Oper war ein Abenteuer. „Medea“ klang anders als „Lear“, „Bernarda Albas Haus“ mit schroffem Orchester anders als der sensible „L’Invisible“. Auch die Gesangspartien waren grundverschieden, sobald Reimann den Klangraum des Werkes erfunden hatte. 

Seine Personen entwickelten sich, oft noch während des Komponierens: „Wie baue ich das Wort in die Struktur der Figur ein und wie gehe ich damit um? Ich würde mit einem Wort bei Bernarda ganz anders umgehen als bei Martirio. All diese experimentellen Dinge reizten mich wahnsinnig.“

Dass er genauso gut den Witz eines Stückes hervorkitzeln konnte, zeigte sich etwa an Strindbergs „Gespenstersonate“. Wenn Martha Mödl als Mumie aus ihrem Verschlag kam und krächzte wie ein Papagei, war das sowohl ein schrecklicher als auch ein urkomischer Moment. An der alten Mödl hatte er allerdings – wie so oft – ein Geschenk, denn sein Sinn für Sänger war untrüglich.

Sein enormes Formgefühl machte sich auch in seinen Instrumentalwerken bemerkbar, so etwas bei seinem Traumbild „Spiralat halom“ von 2002. Ohne die Bändigung durch zwingende Formen – im Kleinen wie im großen Bogen – hätte er sein Ausdrucksbedürfnis auch gar nicht bändigen können. Dann konnte er auch einmal auf eine so alte Form wie die Passacaglia zurückgreifen, um die Unerbittlichkeit einer Situation zu zeichnen.

Aribert Reimann blieb eine markante Figur im Berliner Musikleben, man lief ihm bei vielen spannenden Ereignissen über den Weg. Bis zuletzt unterstützte der Neugierige junge Komponisten dabei, ihren eigenen Weg zu finden, so durch die Stiftung des Busoni-Preises.

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