„Ohne musikalische Bildung wäre unsere Gesellschaft nicht nur ärmer – sie wäre in vielerlei Hinsicht einfach schlecht dran“, sagte Bundespräsident Horst Köhler in seinem Grußwort zur Eröffnung des Musikschulkongresses des Verbandes deutscher Musikschulen am 15. Mai im ICC Berlin. „Wir brauchen musikalische Bildung und wir brauchen Musikschulen nicht nur für die persönliche Entwicklung der einzelnen Schüler.“
Dabei betonte Köhler: „Wir brauchen musikalische Bildung und Musikschulen auch, damit es unserer Gesellschaft und unserem Land gut geht. Deshalb braucht musikalische Bildung einen festen Platz in der Bildungspolitik – und darum sollten wir sie uns auch etwas kosten lassen. Das ist eine notwendige Investition in die Zukunft. Ich bin mir sicher: Sie wird sich auszahlen – auch wenn das in Geld dann nicht direkt messbar ist.“ Er könne sich vorstellen, „dass viele Kinder und Jugendliche erst einmal lernen müssen, sich zu konzentrieren, zuzuhören, bei der Sache zu bleiben“, so der Bundespräsident. „Aber dann machen sie, wenn es gut geht und der Unterricht erfolgreich ist, die unersetzliche Erfahrung, etwas gelernt zu haben und zu können, was ihnen niemand mehr nehmen kann. Und ich glaube, dass es gerade in unserer Zeit wichtig ist, unverlierbare Schätze zu haben. Musizieren oder Singen können – das sind solche unverlierbaren Schätze.“ Musik helfe aber ebenso, fuhr der Bundespräsident fort, einen Sinn für Gemeinsamkeit zu entwickeln: „Gemeinsames Musizieren führt die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Menschen, die vielleicht sonst gar nicht zusammenkämen. Was trägt besser als Musik zur Integration bei? Hier kommen Alt und Jung zusammen, Menschen mit und ohne Behinderung, Einheimische und Zugewanderte; hier entstehen Gemeinschaften aus einem gemeinsamen Interesse und mit einem gemeinsamen Ziel.“ Natürlich mache niemand Musik, „um ein besserer Mensch oder ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden. Musik macht man, weil man Freude daran hat oder weil andere einen mit ihrer Freude daran angesteckt haben. Kunst und Musik sind zu allererst um ihrer selbst willen da. Es ist das freie und nicht von Zwecken bestimmte Spiel, das – nach Schiller – den Menschen ganz Mensch sein lässt.“
Das Motto des Musikschulkongresses, „Musikalische Bildung öffnet Grenzen – Musikschulen für Vielfalt, Integration und Qualität“, war Thema der gesamten Eröffnung. In seinem Grußwort zitierte der Berliner Bildungssenator E. Jürgen Zöllner eine Erklärung der Kultusministerkonferenz, wonach kulturelle Bildung ein unverzichtbarer Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen sei. Dabei machte er die gestiegene Bedeutung der Kooperation von Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen deutlich: Zur Einführung der Ganztagsschulen sei in Berlin ein ressortübergreifendes Rahmenkonzept für die kulturelle Bildung an Schulen erarbeitet worden, das in den Ausschüssen des Berliner Abgeordnetenhauses mit Zustimmung aufgenommen worden sei. Besonders freue es ihn, „dass es gelungen ist, die Kooperation der Musikschulen mit den Schulen und Kindertagesstätten erheblich zu intensivieren“ und ergänzte: „Ich werde die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit nach Kräften unterstützen.“
Musikschulangebote weiter räumlich und zeitlich erreichbar und zugänglich zu machen, forderte der Vorsitzende des Verbandes deutscher Musikschulen, Winfried Richter, in seiner Begrüßung. Ebenso nötig seien aber auch „qualifizierte Musikpädagogen, die den Menschen von Anfang an und ein Leben lang Hilfestellungen bieten, um das Gute an der Musik und dem Musizieren für sich und in der Gemeinschaft nutzbar zu machen. So kann Musik hervorragend zur Integration beitragen.“
Festredner Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und Geschäftsführer der RUHR 2010 GmbH, warnte im Hinblick auf die Kooperation von Musikschulen und Ganztagsschule in seinem Eröffnungsvortrag davor, „das Leitbild der Musikschule, Leistungen durch Motivation zu erzielen, durch das Leitbild von Schule zu ersetzen, das zusehend auf Leistung durch Druck gerichtet ist“. Die Musikschule solle „in den neuen Konstellationen ihr eigenes Leitbild bewahren und ihre eigenen Stärken beibehalten und entfalten. Und das allgemeinbildende Schulwesen muss seinen allgemeinen Musikunterricht auch weiterhin leisten.“ Schulische und außerschulische Einrichtungen der kulturellen Bildung sollten besser miteinander verzahnt werden und ortsspezifische Konzeptionen und Kooperationen entwickelt werden. „Die Musikschule leistet einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen Grundversorgung, spricht sozial Schwache an und ist eine öffentliche Angelegenheit“, so Scheytt. Im Wechselspiel von Markt, Staat und Zivilgesellschaft komme „gerade in diesen finanzkritischen Zeiten der öffentlichen Hand eine zentrale Rolle zu“. Da die Musikschulen einen öffentlichen Bildungsauftrag erfüllen, der nicht allein dem Markt und der Zivilgesellschaft überlassen bleiben könne, sei die Politik auf Ebene von Ländern und Kommunen gefordert, die Kontinuität und Qualität des Musikschulangebots zu sichern. Dabei hielt er fest: „Musikschulen brauchen fest angestellte Lehrkräfte, nur mit Honorarkräften können Musikschulen keine verlässlichen Kooperationspartner für Ganztagsschulen sein“ und forderte, Musikschulen durch gesetzliche Regelungen aus der Freiwilligkeit herauszuführen. „Der wahre Wert der Kultur liegt in ihrer Unbezahlbarkeit. Daher dürfen wir Musikschulen nicht Marktgesetzen ökonomischer Zweckrationalität überlassen. Musikschulen sind ein Schmuckstück, ein wundervolles Element jeder kommunalen Bildungslandschaft.“ „Ohne Musikschulen bliebe die Bildungslandschaft reichlich öde“, schloss Scheytt und endete mit dem Aufruf: „Lasst Musikschulen blühen!“
Die Notwendigkeit zur Sicherung und Entwicklung der Musikschulstruktur wurde ebenfalls im Berliner Musikschulforum „Musikschule(n) Berlin(s) – ein Strukturimpuls des VdM“ am Kongress-Sonntag von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung wie von den Bezirken wahrgenommen und erkannt. Empfehlungen der vom Land Berlin einberufenen Expertenkommission werden in der weiteren Entwicklung eine Rolle spielen. Das Land Berlin hat dabei angekündigt, mit dem VdM in einen Dialog über den Abschlussbericht der Expertenkommission einzutreten (siehe Bericht von Andreas Kolb auf S. 12).
Wie erfolgreich Integration durch Musik sein kann, konnten die Kongressbesucher bei der Eröffnung direkt erleben: Die integrative Band „Just Fun“ der Musikschule Bochum trat zusammen mit der Damenswingband „Die Schicken Swingschnitten“ der Musikschule Fürth auf, gefolgt von dem türkisch-deutschen Ensemble „Kardes“ aus Berlin. Zum Abschluss führten fünf Formationen von Berliner Musikschulen den Gassenhauer „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“ als musikalischen Querschnitt der Berliner Musikschularbeit auf: gesungen, getanzt, gespielt, gerappt, gejazzt und gerockt.
Begeisterten Beifall gab es am Abend des 15. Mai im rbb-Sendesaal im Haus des Rundfunks für die Deutsche Streicherphilharmonie unter der Leitung von Michael Sanderling und für das Tanzensemble der Musik- und Kunstschule Velbert, die gemeinsam „Die Jahreszeiten“ von Peter Tschaikowsky aufführten. Im ersten Teil dieses Konzertes, zu dem die Intendantin des Medienpartners rbb, Dagmar Reim, die 800 Besucher begrüßte, präsentierte die Deutsche Streicherphilharmonie die Kammersymphonie von Dmitri Schostakowitsch in einer atemraubenden Dichte und Stringenz.
Beim „Berliner Abend“ traten am 16. Mai im ICC Musikschulensembles unterschiedlicher Stilrichtungen auf, wie die „Flintstones Big Band“ der Musikschule Paul Hindemith Berlin Neukölln, „First Drum Affair“ und die „Bigband Volles Rohr“ der Musikschule Béla Bartók Berlin Pankow sowie weitere Formationen. Als verzaubernden Abschluss des Kongresses gestalteten am 17. Mai im ICC Schüler der Joseph-Schmidt-Musikschule Berlin Treptow-Köpenick und des Kinder- und Jugendzirkus’ Cabuwazi das Musical „Traumgespinste“ mit fesselnder Akrobatik und gelungenen Musik- und Tanzdarbietungen.
Über 2.200 Teilnehmer, Gäste und Musiker zählte der 20. Musikschulkongress des VdM, der vom 15. bis 17. Mai im Internationalen Congress Centrum Berlin (ICC) stattfand. In fast 50 Arbeitsgruppen und weiteren Foren bot er aktuelle und innovative Unterrichtskonzepte für musikpädagogische Angebote ab dem frühen Lebensalter, für Klassenmusizieren an den allgemeinbildenden Schulen, für Instrumental- und Vokalunterricht, Ensemblespiel, Musikunterricht für Menschen mit Migrationshintergrund bis hin zu Angeboten für den Dritten Lebensabschnitt.
Neueste wissenschaftliche Forschungsergebnisse trugen zudem zwei hochkarätige Wissenschaftler in den großen Plenen am Kongresssamstag vor: Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Hochschule für Musik und Theater, erläuterte in dem Plenum „Mit Musik die Hirnentwicklung fördern: Musikalische Früherziehung als ‚Nervenwachstumsfaktor‘“ bemerkenswerte Ergebnisse zur Hirnforschung bei Neugeborenen und Kleinkindern; Gerhard de Haan, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft/Umweltbildung an der Freien Universität Berlin und uunter anderem Mitglied im Fachausschuss Wissenschaften der Deutschen UNESCO-Kommission, referierte in dem Plenum „Bildungslandschaften – aus der Zukunft in die Gegenwart geschaut“ über beeindruckende Prognosen der Zukunftsforschung für den Bildungsbereich.
Gefördert wurde der Kongress vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin. Weitere Informationen unter www.musikschulen.de