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Marin Alsop. Foto: Adriane White
Marin Alsop. Foto: Adriane White
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Absolut wahrhaftige Leidenschaft

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Die künftige ORF-Chefdirigentin Marin Alsop über ihre neue Aufgabe und ihren Mentor Leonard Bernstein
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Seine „Young People’s Concerts“ weckten in ihr den Wunsch, Dirigentin zu werden, 1989 begegnete sie ihrem späteren Mentor Leonard Bernstein in Tanglewood, wo sie den Koussevitzky Preis gewann. Zur Saison 2019/20 wird die US-amerikanische Dirigentin Marin Alsop den Chefposten beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien antreten. Juan Martin Koch hat ihr einige Fragen gestellt.

neue musikzeitung: Das ORF Radio-Symphoniorchester legt einen Schwerpunkt auf zeitgenössische Musik. Hat das eine Rolle für Ihre Entscheidung gespielt?

Marin Alsop: Ich habe eine große Leidenschaft für die Neue Musik und freue mich darauf, in meiner neuen Rolle beim ORF viele neue Stimmen kennen zu lernen!

nmz: Auf welches Repertoire werden Sie in Ihrer ersten Saison einen Fokus legen?

Alsop: Ich darf die Saison hier noch nicht ankündigen … Was ich sagen kann, ist, dass die Programme ein Spektrum vom Standardrepertoire über vernachlässigte Meisterwerke bis zu Neuer Musik des 20. Jahrhunderts und neuen Stücken abdecken werden, Auftragswerke eingeschlossen.

nmz: Sie sind in vielen Ländern, auf verschiedenen Kontinenten aktiv: Welche Unterschiede beobachten Sie in Sachen Gegenwartsmusik?

Alsop: Es sind in Nordamerika, Südamerika, Asien und Europa definitiv unterschiedliche Ästhetiken wirksam. Verallgemeinerungen sind immer gefährlich, aber man kann sagen, dass europäische Neue Musik avantgardistischer, herausfordernder ist. Amerikanische Musik hat oft mehr Humor und zeitgenössische aus Südamerika hat dieses Latin-Aroma …

nmz: Haben Sie eine präzise Klangvorstellung, die Sie mit einem Orches­ter erreichen wollen, oder setzen Sie eher auf die individuellen Charakteristiken der Orchester, mit denen Sie arbeiten?

Alsop: Mein Ideal eines Orchesterklangs ist einer, der sich je nach Repertoire ändert und anpasst. Ich habe eine klare Vorstellung, was bestimmte Kontexte, Stile und Komponisten betrifft, aber ich freue mich darauf, die Stärken des ORF-Orchesters zu entdecken und gemeinsam weiterzuentwickeln.

nmz: Leonard Bernsteins „Young People’s Concerts“ haben Sie dazu inspiriert, Dirigentin zu werden. Was machte ihn zu einem so einzigartigen Musikvermittler?

Alsop: Seine Leidenschaft und Authentizität waren spürbar und absolut wahrhaftig.

nmz: Was haben Sie von ihm als Dirigentin und Musikerin gelernt?

Alsop: Er hat oft die Verantwortung des Dirigenten thematisiert. Er sprach davon, dass man als Dirigent ein Botschafter der Komponisten sein müsse, um dessen „Erzählung“ („narrative“) Ausdruck zu verleihen.

nmz: In Deutschland ist Bernsteins Musik abseits einiger viel gespielter Werke wenig präsent. Anlässlich seines Geburtstages steigt nun das Interesse. Was bedeutet Ihnen der Komponist Bernstein?

Alsop: Ich freue mich sehr, dass nun mehr Zuhörer und mehr Musiker mit seinen unglaublichen Kompositionen in Kontakt kommen. Ich habe seine Musik immer geliebt, und nun kann jeder die außerordentliche Vielfalt seiner Kompositionen erleben.

nmz: Welche sind aus Ihrer Sicht die am meisten unterschätzten Werke?

Alsop: Ich bin eine große Vorkämpferin für „Mass“, für die Symphonien, die Serenade … für alles!

nmz: #MeToo hat auch den Musikbetrieb erreicht. Wie erleben Sie die Diskussion und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Alsop: Ich bin glücklich darüber, dass es mehr Offenheit für Frauen auf den Konzertpodien gibt und hoffe, dass wir dort in Zukunft noch mehr unterrepräsentierte Gruppen erleben werden. Wir sollten alle wachsam sein und dafür sorgen, dass dieser Trend anhält!

nmz: Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die eine Karriere als Dirigentin anstreben?

Alsop: Es ist ein großes Privileg, als Dirigentin arbeiten zu können. Ich bin jeden Tag dankbar dafür, dass ich diese großartigen Werke studieren und mit außergewöhnlichen Musikern, im Orchester und als Solisten, arbeiten darf. Ich glaube, dass jede Frau ihrer Leidenschaft folgen sollte, Dirigieren ist ein toller Beruf – nichts wie ran!

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