Im Jahr 2008 gründete Ahmad Sarmast das erste Afghanische Institut für Musik ANIM (Afghan National Institute of Music). Das Projekt wurde in Tunis beim dritten „World Forum on Music“ des Internationalen Musikrates mit dem „Musical Rights Awards“ ausgezeichnet. Ruth Jakobi, Generalsekretärin für Strategische Planung und Finanzen beim Europäischen Musikrat, hat mit dem Musikwissenschaftler über seine Visionen gesprochen.
Als Musikwissenschaftler war der Afghane Ahmad Sarmast selbst direkt vom Verbot der Musik durch die Taliban in seinem Land betroffen. Er wanderte nach Australien aus, wo er politisches Asyl erhielt und heute an der Monash University lehrt. Die Liebe zur afghanischen Musik nahm er mit ins Exil, wie auch den Traum, eines Tages das Musikleben in Afghanistan wieder aufzubauen. Anfangs wusste er nicht, ob er diesen Gedanken je zu Lebzeiten in seine Heimat zurücktragen könnte. Heute ist er seinem Traum einen wesentlichen und realen Schritt näher. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung allen musikalischen Ausdrucks ist das erste staatliche Musikinstitut in Afghanistan ein Meilenstein auf dem Weg zu einem neu erblühenden Musikleben in Afghanistan.
Das Institut bietet neben der allgemeinen Schulbildung ab der Grundschule eine intensive musikalische Ausbildung, die nach zehn Jahren zum Abschluss als musikalische Lehrkraft führt, nach zwei weiteren Jahren Ausbildung zu einem künstlerischen Diplom. Es wird sowohl klassische westliche Musik als auch traditionelle afghanische Musik unterrichtet. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, soziale Herkunft oder Religion spielen für die Aufnahme in die Schule keine Rolle. Stolz berichtet Sarmast, dass er dieses Jahr 25 Mädchen in die Schule aufnehmen konnte. Es unterrichten auch Frauen am Musikinstitut, was noch vor wenigen Jahren, als Mädchen sogar die allgemeine Schulbildung versagt wurde, völlig undenkbar war. Jedes Jahr ist eine bestimmte Anzahl von Plätzen für Waisenkinder und Kinder, die auf der Straße arbeiten, reserviert. Sie erhalten ein Stipendium, das ihnen nicht nur ermöglicht, selbst zu überleben, sondern auch noch den „Verdienstausfall“ auf der Straße deckt, so dass die Kinder weiterhin ihre Familien ernähren können und nicht gezwungen werden, die Schule abzubrechen. Handelt es sich beim ersten afghanischen Musikinstitut nun um ein künstlerisches oder ein soziales Projekt? Für Sarmast ist dies eindeutig: „Ziel unseres Institutes ist es, professionelle Musikerinnen und Musiker auszubilden. Bei allen Kindern, bei denen, die wir von der Straße auflesen, und bei denen, die von ihren Eltern angemeldet werden, kommt es auf das musikalische Talent und die Motivation an, nicht auf die soziale Bedürftigkeit. Aber es sollen alle die gleiche Chance erhalten, unser Angebot zu nutzen.“
Es ist Sarmast gelungen, für sein Musikinstitut viele große Sponsoren und Förderer zu gewinnen. Weltbank, Afghanische Regierung, Goethe-Institut, Deutsches Außenministerium, Society of Music Merchants (SOMM), London National College of Music, US amerikanische Botschaft, internationale Verbände von Musikinstrumentenherstellern und viele mehr ließen sich von der Nachhaltigkeit des Projektes überzeugen, es genießt volle Unterstützung der afghanischen Regierung und der Monash University of Australia. Denn wenn die ersten Jahrgänge ihr künstlerisches und pädagogisches Diplom erhalten haben, können sie Orchester gründen, selbst am Musikinstitut lehren, die freie Musikszene in Afghanistan bereichern und so Musik als ökonomischen Faktor für Afghanistan ausbauen.
Das dringendste Anliegen ist derzeit, für die nächsten zehn Jahre Musiklehrkräfte aus dem Ausland zu verpflichten und die Finanzierung für sie aufzubringen, da es während der letzten Jahrzehnte keine professionelle Musikausbildung in Afghanistan gab und dementsprechend im Inland keine qualifizierten Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Und dafür, so Sarmast, seien die Medien teils sein größter Feind, auch wenn Medienaufmerksamkeit natürlich sehr wichtig für die Weiterentwicklung des Musikinstitutes ist. Der internationale Terror sei zwar in Kabul präsent, vielleicht präsenter als anderswo, aber das bedeute nicht, dass man sich nicht auf die Straße oder erst gar nicht in das Land hineintrauen könne. Das Leben in Kabul sei im allgemeinen ruhig und friedlich und es gäbe keinesfalls jeden Tag Blutbäder in allen Straßen, so wie es die Medien mitunter vermitteln.
Der Europäische Musikrat unterstützt Ahmad Sarmast, geeignete Lehrkräfte zu finden und versucht damit, das Weiterbestehen des ersten staatlichen Musikinstitutes in Afghanistan zu sichern.