Wir saßen im großen Kreis. Die eine Hälfte waren Lehrerinnen und Lehrer einer Grundschule, die ab August Ganztagsschule ist, die andere Hälfte waren „Anbieter“. Ich gehörte zu den Anbietern, denn ich kam als Vertreter der Staatlichen Jugendmusikschule und sollte darstellen, welche Angebote die Musikschule für die zusätzlichen sieben Stunden bereithält, die die Schüler demnächst wöchentlich mehr in der Schule verbringen können.
„Die Angebote müssen für ein Jahr gesichert sein. Kürzer dauernde können wir nicht gebrauchen“, sagte die Schulleiterin und eröffnete das Gespräch.
Zufälligerweise kam ich als erster dran. Ich berichtete, dass die Schule alles von uns haben kann, was wir unterrichten, Einzelunterricht, Gruppenunterricht und Klassenunterricht, alle Instrumente, Gesang und Tanz. Dafür müssten die Eltern dann die üblichen Musikschulgebühren bezahlen. Fairerweise wies ich darauf hin, dass die demnächst um circa 35 bis 49 Prozent erhöht würden. Ich pries unsere Bläser-, Streicher-, Perkussions-, Gitarren-, Blockflöten-, Sing - und Tanzklassen an, schwärmte von unseren Musiktheatergruppen und vom Musikmachen mit dem Computer. Dies alles könnte die Schule vermutlich aber auch über eine Mischfinanzierung haben, indem sie dies aus ihren Honorarmitteln bezahlt und die Eltern etwas dazugeben. Die Schule könne es aber auch allein finanzieren. In Hamburg wäre geregelt, dass die JMS-Lehrkräfte 22,11 Euro pro 45 Minuten Unterricht bekommen.
Da schlug das anfänglich sehr freundliche Interesse in Betroffenheit um. „22,11 Euro, wer soll das denn bezahlen! Die Eltern dieser Schule werden nichts bezahlen! 15,03 Euro ist das Maximum, was machbar ist!“ Mein schüchterner Hinweis, dass die 22,11 Euro mit den Hamburger Tarifpartnern ausgehandelt seien und dass die Bildungsbehörde mir gegenüber diesen Satz mehrfach bestätigt hätte, wurde mit dem Aufseufzer beantworte: „Was die Behörde sich immer so denkt! Wie sollen wir mit dem knappen Geld, das uns zur Verfügung steht, denn zurechtkommen!“
Dann kamen die anderen Anbieter dran.
Eine Frau bot an, eine Tanzklasse aufzumachen und hielt eine längere Rede über die Bedeutung des Tanzes, der körperlichen Bewegung und der Musik. Ich hatte den Eindruck, dass das für sie ein recht neues Thema war und sie noch nicht allzu oft davon gesprochen hatte. Jedenfalls hatte sie einen Zettel in der Hand, auf dem ihre Ausführungen sehr ordentlich notiert waren. Ich erschrak ein bisschen: Hätte ich meine Sache erstmal anpreisen sollen? Ich hatte ja gedacht, dass allen ziemlich klar ist, weswegen Tanz, Bewegung und Musik gut sind!
Dann meldete sich der Vertreter eines Vereins. Er bot einen Videokurs an. „Unsere Leute machen das für zehn Euro die Schulstunde. „Wir bringen auch alle Geräte mit, Sie wissen, was die kosten, die kriegen Sie alle so!“
Da schaltete sich der Vertreter eines anderen Vereins ein. „Unser Vereinshaus steht zwei Straßen weiter. Wir können die Kurse in unseren Räumen durchführen, das finden Sie sicher entlastend. Wir machen das für zehn Euro, roundabout – man kann darüber reden. Wir haben einen Zauberer, der war schon mal in Ihrer Schule, der ist doch gut angekommen!“ – „Ja, der war wirklich toll!“, war die begeisterte Antwort auf Schulseite und „mit wie vielen Teilnehmern würden Sie den Kurs denn machen?“ – „13 Kinder“ war die Antwort.
Dann wurde von einer Lehrerin noch für eine Frau geworben, die gar nicht da war, die aber in der Volkshochschule das Töpfern gelernt habe. „Sie würde es auch für weniger machen. Sie mag einfach die Kinder!“ – „Teilnehmerzahl?“ – „Gern auch 13, aber wenn es sein muss auch mehr, 17 oder so.“
Zum Schluss stellte sich noch eine Lehramtsstudentin vor, die kurz vor dem Examen stand und eine AG für Mädchen anbot. „Wir wollen nur Angebote haben, die ein Schuljahr lang gesichert sind“, erinnerte die Schulleiterin. Da erwachte ein Mitbewerber und sagte zur Examenskandidatin: „Wenn Sie jetzt Ihr Examen machen, werden Sie sich doch sofort um einen Arbeitsplatz bemühen. Wenn Sie den kriegen, sind Sie doch weg, auch während des Schuljahrs!“ – „Als Lehrerin habe ich oft nachmittags frei, da kann ich doch nachmittags hier weiter machen“, war die Antwort.
Ich beobachtete aufmerksam diesen ganzen Basar und überlegte, ob es für mich eigentlich peinlich sei, hier zu sitzen, weil ich mich durch meine Vergütungsforderung schlicht (nach oben) deklassiert hatte – oder ob mir einfach die Flexibilität fehlt, verloren aufgrund meiner gesicherten staatlichen Anstellung. Zwischendurch fragte ich mich sogar, ob ich nicht einfach aufstehen und gehen sollte.
Aber dann habe ich mutig noch einmal das Wort ergriffen, habe mit einem Verständnis heischenden Blick zu den Mitbewerbern hin gesagt, dass unsere Leute Diplommusikpädagogen seien, mit einem Hochschulstudium und einem Staatsexamen, dass wir sicher auch musikbetonte Freizeitangebote machen können, aber in der Regel doch richtigen Instrumental- oder Gesangsunterricht. Der sei eben etwas teurer.
Ich sprach nun doch von der grundsätzlichen Bedeutung des Musikunterrichts für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung, erinnerte daran, dass Musik für das gesamte Schulleben gut sei, dass die Schere außerdem doch immer weiter auseinander gehen würde: in einigen Schulen bekommen Kinder dann Instrumentalunterricht, weil die Eltern es bezahlen, in anderen Schulen nicht. (Ich vermied es ausdrücklich, etwas über den Unterschied zwischen Bildung/Unterricht und Spaßprogramm zu sagen, ich vermied es auch, die Schulleiterin aus einem anderen Bundesland zu zitieren, die zu einer Lehrerin, die ein Angebot in der Nachmittagsbetreuung übernommen hatte, gesagt haben soll: „Aber passen Sie auf, dass die Kinder nichts lernen!“)
Dann bekam ich doch Unterstützung von Seiten der Schule. Lehrerinnen betonten, dass sie an ihrer Schule sicher gern eine Bläserklasse oder was anderes Schönes haben möchten, aber ihre Eltern würden todsicher nichts mitfinanzieren. Jetzt müssten sie erstmal sehen, wie weit sie mit dem Geld der Behörde überhaupt kämen, wenn da noch etwas übrig bliebe, würden sie sich gern wieder bei der Staatlichen Jugendmusikschule melden!
Damit war das Treffen nun nicht mehr ganz so peinlich für mich und ich brach getröstet zu meinem nächsten Termin auf.
Die nette Schulleiterin bedauerte noch, dass ich nicht mehr das gemeinsame Mittagessen mit ihnen einnehmen würde, man hätte mich doch eingeladen.