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Eva Weissweiler: Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine Kultur- und Wirkungsgeschichte in Biographien und Werkbeispielen. dtv, München, 1999. 451 Seiten, 29,90 Mark.
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„Schade, dass sie kein Mann ist, sie wird es sehr schwer haben!“ Was Franz Schreker einmal über seine hochbegabte Kompositionsschülerin Grete von Zieritz äußerte, das gilt trotz der Distanz von mehreren Jahrzehnten auch heute noch für Frauen auf allen Gebieten des Musiklebens (und darüber hinaus). Eva Weissweilers Vorwort zur zweiten Auflage ihres Buchs „Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ (Erstauflage 1981 als „Komponistinnen aus 500 Jahren“) zeichnet zunächst ein vielversprechendes Bild: Seit der Erstauflage ihres Buchs hat sich die Stellung der komponierenden Frau erheblich verbessert – durch Frauenmusikfestivals, spezielle Kompositionswettbewerbe, neue Forschungszentren und Archive nur für das Schaffen von Frauen sind Komponistinnen viel stärker ins öffentliche Bewusstsein getreten. Auf den positiven Auftakt folgt jedoch die nüchterne Realität: In den Fachkreisen, in der Musikwissenschaft, im Konzertwesen und in der Fachliteratur erscheinen Frauen in Deutschland nach wie vor als Randfiguren, die sich gegen fest verwurzelte Vorurteile und eine männliche Übermacht behaupten müssen.
Mit Eva Weissweilers Biografie und Werkdarstellung von Komponistinnen der Antike bis zur Gegenwart erschien 1981 eines der ersten deutschsprachigen Plädoyers für einen in Wissenschaft und Praxis vernachlässigten und benachteiligten, dabei aber keineswegs unbedeutenden Teil des westlichen Musiklebens. Während das einleitende Kapitel, „Musikalisch-schöpferische Frauen von der Antike bis zum Mittelalter“, eine wesentliche Wurzel der Frauenfeindlichkeit in der christlichen Musikwelt freilegt, eröffnen die anderen Kapitel eine größtenteils vergessene – oder verdrängte – Welt weiblicher Kreativität.
Eine weitaus günstigere Ausgangsposition bot sich kreativen Musikerinnen in den USA, aber auch in einzelnen europäischen Ländern wie England und Polen. Zeitgenössische Komponistinnen führen dies einerseits auf die Kulturgeschichte ihres Landes zurück („geistiges Matriarchat“ in Polen, Offenheit für vielschichtige Einflüsse und Vermischung von Unterhaltungs- und „Kunst“-Musik sowie eine bis ins 17. Jahrhundert zurückgehende Geschichte der Frauenemanzipation in den USA), andererseits sehen sie gerade in der langen Unterdrückung weiblicher Kreativität ein nunmehr offenes Potential für neue Ideen.
Allein das zehnseitige ergänzende Literaturverzeichnis in der Neuauf-lage – eine Auswahl der seit 1980 erschienenen Sekundärliteratur zu einzelnen Komponistinnen und Grundsatzfragen – zeugt von der wachsenden Präsenz von Komponistinnen in Forschung und Konzertleben. Neu sind außerdem zwei Kapitel über komponierende Frauen im Nationalsozialismus und in der Avantgarde (Stand 1999). Hier zeigt sich allerdings auch, dass die Frauenforschung allein auf der sprachlichen Ebene nach wie vor ein schwieriges Feld bleibt. So berechtigt die engagierte Kritik an der selbstzufriedenen Vereinnahmung von Komponistinnen in die „von Männern geschaffene ‚Tradition‘“ auf Kosten „kreativer Gegenkonzepte“ (S. 406) sein mag – handelt es sich gleich um Kapitulation, wenn Frauen traditionelle Formen aufgreifen, muss ihre Musiksprache anders sein um jeden Preis? Ist es ein Zeichen besonderen Respekts, wenn die vorgestellten Komponistinnen fast durchweg beim Vornamen genannt werden, oder wird hier nicht eine unangemessene Vertraulichkeit impliziert?
Mit ihrer Interesse erweckenden Schilderung, den häufigen Hinweisen auf Forschungsdesiderata, den ausführlichen Literaturangaben und dem internationalen Adressverzeichnis von Komponistinnenverbänden und Frauenmusikarchiven stellt Eva Weissweiler aber immerhin Mittel zur Aufarbeitung zur Verfügung.