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…und weiter geht es mit Musik…

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Radiomacher und Musikindustrie diskutieren über „Musik und Rundfunk“
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Im Radio spielt die Musik: 300 Radiosender – öffentlich-rechtliche und private – gibt es in Deutschland. Und aus allen Kanälen dudelt es unablässig. Eigentlich könnte die Plattenbranche froh sein über so viel „Werbezeit“, für die sie auch noch Geld bekommt – wegen der von den Sendern zu zahlenden Leistungsschutzrechte. Doch im Gegenteil: Seit Jahren fordert die Musikindustrie eine „Quote für Deutsche Produktionen“, wirft den Radiomachern vor, nur noch die bekannten Hits abzunudeln, anstatt den Nachwuchs zu fördern, und seit kurzem zieht sie nun auch das „Sendeprivileg“ des Rundfunks in Zweifel. Am 27. April lud die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien (BLM) in München zu einem Treffen von Radiomachern und Plattenmanagern.

Pünktlich zum 80. Geburtstag des Radios in Deutschland brachten die Feuilletons nur Missklangs-Ständchen: „Dudelfunk“, „Blödmedium“, „Einheitsbrei“… Gemeint ist natürlich vorwiegend das „Formatradio“. Doch auch die in letzter Zeit reformierten Kulturwellen der öffentlich-rechtlichen Sender werden immer öfter mitgescholten. Und jetzt schießt sich auch noch der Hauptlieferant von „Radiocontent“ auf das Medium ein: Die Plattenindustrie. Das seit Jahren immer wieder diskutierte Thema „Quote für Deutsche Titel im deutschen Radio“ ist vor kurzem auch bei Bundestagspräsident Wolfgang Thierse angekommen – der sich prompt auch dafür aussprach.

„Das Radio ist natürlich nicht schuld an der Krise der Plattenfirmen“, beteuert Peter Zombik vom Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft mit Dackelblick. Dennoch: Zombik zündelt gerne und formuliert pointiert: „Das Radio macht keine Hits mehr, sondern spielt sie tot.“ Andererseits würden neue Titel von Sendern häufig abgelehnt, weil sie nicht ins „Format“ passten. „Es gibt keine Musikredakteure mehr, son-dern nur noch ‚Entscheider’, die ihre Musikplaylisten anhand von Markforschungslisten zusammenstellen“, kritisiert Zombik . In der Tat: Die Vorstellung, dass ein Radiomoderator seinen Zuhörern heute noch seine Lieblingssongs spiele ist so naiv wie obsolet. Seit 20 Jahren besorgt „Kollege Computer“die Musikauswahl. Das letzte Wort aber habe immer noch der Mensch, beteuern Programmchefs unisono. Die Software diene lediglich dazu, lästigen Verwaltungskram wie GEMA- und GVL-Abrechnungen zu automatisieren und Dubletten zu vermeiden. Gleichwohl lassen sich über solche Musikplanungssoftware Titel ganz gezielt ins „Powerplay“ einschieben – nämlich dann, wenn ein Hit „gemacht“ werden soll, durch häufigen Einsatz im Programm.

Doch wann dafür der optimale Punkt erreicht ist oder wann der „Burn-out“-Effekt eintritt, darüber sind die Meinungen geteilt. Walter Schmich von Bayern3 spricht vom „Im-eigenen-Saft-schmoren“: Wenn der Musikredaktion ein Titel allmählich schon zum Halse raushängt, würde er draußen beim Hörer erst richtig ankommen, berichtet Schmich und verweist auf die Hörerwünsche, in denen immer wieder nach eigentlich längst Abgedroschenem gefragt werde. Peter Zombik hingegen will oft beobachtet haben, dass Titel in der „kritischen Verkaufsphase vor dem Durchbruch“ durch zu häufiges Abspielen wieder kaputt gemacht würden.

Doch es gibt auch Gegenbeispiele, wo Radio und Plattenfirmen gemeinsame Sache zum gemeinsamen Wohl machen: Durch „heavy rotation“ im „Airplay“ wurde die deutsche Band Reamonn mit ihrem Song „Supergirl“ vor drei Jahren zu einem Top-Act gepusht. Walter Schmich erzählt gerne die dazugehörige Geschichte: Ein Promoter der Plattenfirma stand eines Tages mit einer Demokassette in der Bayern3-Redaktion. Schmich selbst fuhr dann nach Freiburg, besuchte die Band im Übungsraum und diktierte der Plattenfirma wie der Song zu produzieren sei, damit man ihn im Radio spielen könne. Gesagt – getan.

Früher habe diese Form von „Symbiose“ öfters funktioniert, erinnern sich altgediente Musikredakteure und A&R-Manager der Plattenbranche mit fast schon feuchten Augen. Heute hingegen kenne man sich kaum noch. Denn zwischen sie habe sich eine dritte Branche gedrängt: Die „Musik-Berater“. Firmen, die mit Marktanalysen die Hitchancen von Titeln im Radio erst einmal ausloten. Dem üblichen „repräsentativen Querschnitt“ werden am Telefon „Music Hooks“ vorgespielt, acht bis zwölf Sekunden lange Schnipsel, und dann gefragt, wie’s gefällt.

Die Geschäftsführer vorwiegend privater Formatsender erhalten so quasi sozial-wissenschaftlich fundierte Ergebnisse an die Hand, nach denen sie ihre Hitlisten ausrichten können. Immer die angepeilte Zielgruppe fest im Blick, um sie nur nicht mit einem unpassenden Musiktitel zu verschrecken, und um so für die Werbekunden das optimale Programmumfeld zu schaffen. Musik diene halt nur noch dazu, Werbung zu verkaufen, meint Peter Zombik lakonisch dazu. Dass auch die Plattenfirmen selbst derartige Markterhebungen machten, weist Zombik zurück: „Ansonsten wären viele ‚kantige’ Künstler ja nie produziert worden!“ Radiomacher und Medienfachleute halten dagegen, dass die Musikindustrie lange Zeit „immer schön am Markt vorbei produziert“ hätten. Erst jetzt allmählich würden auch deutsche Produkte in entsprechender Qualität erscheinen. Und der Vorwurf, für Newcomer nichts zu tun, sei schlichtweg falsch, kontert Walter Schmich: Seit drei Jahren laufe auf Bayern3 die „Newcomer-Show“ und die „Bavarian Open“ letzten November im Münchner Funkhaus wären der Versuch, zusammen mit den Kollegen vom „Zündfunk“ die Szene zu erweitern.

Immer deutlicher wurde während der Diskussion in der BLM, dass bei Radio und Plattenfirmen Musik zwar als „Geschäftsmodell“ zu Grunde liegt, dass aber „Radiomusik“ nicht „Plattenmusik“ ist. Sprich: Was im Radio gut läuft, muss sich nicht unbedingt auch gut verkaufen. Oder anders gesagt: Radiohörer sind nicht unbedingt Plattenkäufer und umgekehrt. Da seien zwei „Titanics“ unterwegs, wurde mehrfach eine altbekannte Metapher bemüht: Zwei Medien, die ohnehin vor sich hinkriseln und sich jetzt auch noch gegenseitig das Leben schwer machen. Die Musikbranche – bekanntermaßen – wegen CD-Brennerei, Internet und mp3 –; das Radio, weil es kaum mehr junge Zuhörer an die Lautsprecher lockt. Wie sollte es auch, meint der Radioveteran Rainer Eichhorn, der in den 70er-Jahren bei RTL Luxemburg angefangen, dann deutsche Privatsender aufgebaut hat und heute im Beratungs- und Radiosoftwaregeschäft tätig ist. Außer vielleicht in Berlin gebe es nirgendwo in Deutschland Radiostationen für Jugendliche, die deren Musikgeschmack widerspiegeln. „Die wollen halt nicht Tina Turners ‚Simply the best‘ hören. Wir treiben sie geradezu zu mp3 und Internet“, beobachtet Eichhorn an seiner eigenen 15-jährigen Tochter und gibt zu, dass auch er selbst sich seine Musik auf seinem Apple-iPod zusammenstellt – weil er keinen Sender nach seinem Geschmack finde.

Alles ein „Formatproblem“, meint daher der Berliner Medienberater Klaus Goldhammer: Zwar gebe es 300 Radiosender, doch das seien nicht genug. Anderswo in Europa, in Frankreich, Italien, Spanien, aber vor allem in den USA, sei die Radiolandschaft viel kleinteiliger. Goldhammer belegt seine These dadurch, dass 68 Prozent der Sender in Deutschland auf das Format AC – Adult Contemporary – setzen: eingängige Pop- und Rockmusik der letzten drei Jahrzehnte, für all, die für Neues kaum mehr zu begeistern sind. „Radio für Mittdreißiger, gemacht von Mittdreißigern“, wie das Rainer Eichhorn nennt. Auf Platz 2 der Liste käme dann CHR – Contemporary Hit Radio –, mit 15 Prozent, analysiert Goldhammer: eher für Twens, aber dennoch kein Jugendradio. Große Sender wie Bayern3, SWR 3, Antenne Bayern oder FFH versuchten sogar, beide Formate zu bedienen – je nach Tageszeit. Die Folge: erst ein fünfter Sender eines Gebiets könnte mit dem Gedanken spielen, ein neues Format zu bedienen und nicht bloß zu versuchen, seinen Konkurrenten Marktanteile abzuluchsen.

Goldhammer rechnet weiter und kommt zu dem Schluss: Gäbe es in Deutschland 1.000 Sender, dann würde sich auch fast jeder mit seinem Musikgeschmack wiederfinden. Doch da ist einerseits die Medienpolitik aber in erster Linie die technische Entwicklung vor: Das UKW-Netz in Deutschland ist dicht. Zwar funkt seit Jahren schon das Digitalradio DAB, indem viel mehr Sender Platz hätten, doch bislang wird es von den Radiohörern so gut wie nicht genutzt und daher will kein Sender mehr darin investieren.

Alle Jahre wieder taucht das Gespenst „Sendeprivileg“ in der Diskussion auf. Allzu gerne würden die Plattenfirmen den Rundfunkbetreibern nämlich die vor 40 Jahren erteilte Erlaubnis, alles was auf Platte erschienen ist, auch spielen zu dürfen (gegen Zahlung von Gebühren für die Leistungsschutzrechte natürlich!), wieder entziehen.Eine Diskussion übrigens die es seit Bestehen des Radios schon mehrfach gegeben hat. Erst vor zehn Jahren wetterte der damalige Vorsitzende der Phonoverbände Norbert Thurow heftig und gerne gegen die Radio- und TV-Sender, die „unser Programm“ ausbeuteten. Kurz darauf entstand dann Viva – ein gemeinschaftliches Tochterunternehmen der deutschen Plattenindustrie – justament um Newcomer und deutsche Acts zu promoten. Wie das VivaProgramm stattdessen aussieht, kann man sich 24 Stunden am Tag reinziehen…

Die Zeiten als der unlängst geschasste Chef von Universal Deutschland, Tim Renner, den Satz gesagt haben soll „Wir brauchen das Radio nicht mehr“ sind also vorbei. Hingegen welchen Stellenwert künftig nationale, respektive deutsche Acts in einer weiter von Fusionsträumen getriebenen Musikbranche haben werden, bleibt – allen Beteuerungen der Topmanager dieser Unternehmen zum Trotz – weiter ungewiss.

Dennoch: Fast hätte intensive Lobbyarbeit der Plattenbranche letzten Herbst einen großen Coup gelandet, als die Bayerische Staatsregierung bei der Novellierung des Rundfunkgesetzes dem Bayerischen Rundfunk Quotenvorgaben für Deutsche Titel vorschreiben wollte. Heftige Proteste im Rundfunkrat, der die Programmautonomie in Gefahr sah, wendeten das in letzter Minute ab. Die Staatsregierung machte einen Rückzieher, schaffte es aber immerhin, eine Protokollnotiz in der Ministerratskonferenz unterzubringen, wonach die öffentlich-rechtlichen Anstalten eine „Selbstverpflichtung“ eingehen sollten, künftig mehr neue deutsche Titel und Produktionen zu spielen. Zugleich sah sich Bayerns umtriebiger Medienminister Erwin Huber auf den Plan gerufen und etablierte im Sommer letzten Jahres einen „Runden Tisch“, damit sich Radioverantwortliche, Künstler und Plattenmanager wieder näher kommen. Und während gesprochen wird, geht’s weiter mit Musik.....

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